© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Das Tüpfelchen auf dem »I« war orange

Sie war klein und zart und hatte ein richtiges Puppengesicht. Aus ihren großen, dunklen Augen blitzte allerdings der Schalk. Ihre weiße Strick-mütze saß kess „auf halbacht“ und war geradezu das berühmte Tüpfelchen auf dem „I“. Dunkle Locken lugten vorwitzig unter dieser Mütze hervor. Eine besonders widerspenstige ringelte sich auf dem orangefarbenen Pullover. Die Beinchen steckten in einer olivfarbenen Hose, die viel zu lang war und dem Mädel einen etwas verwegenen Anschein verliehen.

Konkurrenz im Hinblick auf das I-Tüpfelchen machte der weißen Mütze allerdings just in dem Augenblick, da ich im Supermarkt um die Ecke eines Regals bog, eine geradezu riesige Mohrrübe. Diese hielt das kesse Mädel in der Hand und nagte genüßlich an dem frischen Gemüse. Das Orange der Mohrrübe paßte haargenau zum Orange des Pullovers. dazu die dunklen Augen, die mich fragend anblickten. Würde die Tante etwas sagen?, schien das Mädel zu denken. Dann aber zuck-te es nur mit den Schultern (wie eine Alte, dachte ich) und zog vondannen – mit der Mohrrübe natürlich.

Einige Minuten und einige Einkäufe weiter trafen wir uns an einem anderen Regal wieder. Sie blickte mich an – natürlich war die Mohrrübe noch immer mit von der Partie – zog wieder die Schultern hoch, so als wollte sie sagen, was soll’s, es ist doch nur eine Mohrrübe, und zwinkerte mir lächelnd zu. Geradezu verschwörerisch grinste ich zurück. „Marina, nun komm doch!“ hörte man eine Stimme aus Richtung der Kasse rufen. Die Kleine zog wieder die Schultern hoch. Was soll ich machen, schien sie sagen zu wollen und schlenderte, immer noch genüßlich an der Riesen-Mohrrübe knabbernd, zur Mutter. „Na, hast du wieder eingekauft? Und dann schon gleich gefuttert?“ Die Mutter lächelte, zog die Schultern hoch (aha, daher) und bezahlte – natürlich auch die Mohrrübe.          SiS