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28.06.08 / »Spiegel« erlaubt Kritik an »Sonderweg«-These / Nun soll an der preußisch-deutschen Geschichte doch nicht alles schlechter als an jener des Westens gewesen sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

»Spiegel« erlaubt Kritik an »Sonderweg«-These
Nun soll an der preußisch-deutschen Geschichte doch nicht alles schlechter als an jener des Westens gewesen sein
von Rebecca Bellano

Preußen lebt, jedenfalls die Diskussion über Preußen. Und seit einiger Zeit bewegt sie sich sogar wieder in eine realistischere Richtung. Hatten doch über Jahrzehnte hinweg linke Historiker das öffentliche Bild von Preußen bestimmt und Preußen als aggressiv, kriegstreiberisch und Vorstufe zum Nationalsozialismus bezeichnet, so kommen langsam wieder gemäßigtere Töne in die Debatte. Nicht daß es nicht immer Verteidiger des preußischen Staates gegeben hätte, nur wurden sie in der öffentlichen Diskussion ausgeblendet, erhielten keine Plattform und wurden als Faschisten und Ewiggestrige verschrien. Von einem „preußisch-deutschen Sonderweg“ war die Rede, der nur hierzulande einen Diktator wie Hitler ermöglicht habe.

Doch nun soll es diesen „Sonderweg“ plötzlich nicht mehr gegeben haben? Und diese Erkenntnis wurde 2007 auch noch im „Spiegel“ veröffentlicht. Anhänger Preußens sind verwirrt, waren sie doch gerade vom „Spiegel“ gewöhnt, daß er ohne Rück­sicht auf Verluste und Argumente als Wortführer auf Preußen eindrosch. Und jetzt ist es der „Spiegel“, der es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Preußens Ruf zu rehabilitieren? Ist es ein Generationswechsel bei den Historikern und Redakteuren, Überzeugung des vor wenigen Monaten skandalträchtig gefeuerten „Spiegel“-Chefs Stefan Aust, oder muß das Hamburger Magazin einfach seine Einstellung zu Preußen ändern, um überhaupt noch etwas schreiben zu können? Egal was die Motive waren, das vom „Spiegel“ herausgegebene Buch „Preußen – Die unbekannte Großmacht“ überrascht einfach mit einem von dieser Seite völlig unerwarteten Wohlwollen bei der Betrachtung Preußens.

Ermöglicht hat diesen extremen Kurswechsel wohl in erster Linie der in Cambridge lehrende Australier Christopher Clark. Die von ihm im vorliegenden Buch abgedruckten Aussagen basieren auf einer Argumentationskette, die so klar vorgetragen ist, daß Widersprüche einfach abprallen müssen. „Die Sonderweg-These war fruchtbar, weil sich die klügsten Geister damit auseinandergesetzt haben. Und sie erfüllte einen volkspädagogischen Zweck, denn sie ermöglichte es, verschiedene Problemkomplexe wie Militarismus, Gehorsamskult, Autoritätsgläubigkeit über den Begriff Preußen zusammen mit dem Nationalsozialismus in einen Topf zu werfen. Das hat die Entstehung einer liberalen Bundesrepublik erleichtert. Aber jetzt ist es Zeit, andere Fragen zu stellen und Raum zu schaffen für neue Sichtweisen“, erklärt der Australier Christopher Clark. Demnach hätte die vereinfachende Sonderweg-These durchaus einen Nutzen gehabt, doch der habe sich jetzt überlebt. Zudem sei Preußen keineswegs historisch besonders zu bewerten. „Ist Preußen wirklich so viel widersprüchlicher als andere Staaten, daß dies nach einer eigenen Erklärung verlangt? Wenn es im 19. Jahrhundert ein Land gibt, das modern und kapitalistisch ist, mit einer freiheitlichen Verfassung, dann die USA. Zugleich finden Sie dort Sklaverei, Rassismus und die Ausrottung der Indianer mit einem beinahe genozidalen Krieg …“ Clark klagt Historiker an, die Preußen immer eine negative Einmaligkeit zusprechen wollen, und verhöhnt ihre Logik. Hätten beispielsweise die Preußen sich gegenüber den Polen derartig kaltblütig verhalten wie die Engländer gegenüber den Iren während der dort 1845 herrschenden Hungersnot, hätten zahlreiche Historiker gleich behauptet, dies sei „ein Vorspiel zur Polenpolitik des ,Dritten Reiches‘“ gewesen. Auch rechnet Clark mit dem Vorurteil ab, preußische Junker seien die Personifizierung des Bösen gewesen. Die Bauern hätten bereits früh eigene Rechte gehabt und von den Pflichten, die ihre Junker ihnen gegenüber hatten, auch profitiert. „Den Bauern in Brandenburg ging es besser oder zumindest nicht schlechter als in Süddeutschland. Es fehlte nie an Einwanderern, die bereit waren, sich auf die preußischen Verhältnisse einzulassen.“

Auf die Frage des „Spiegels“, ob die vom Staat von oben durchgesetzten Preußischen Reformen gleichwertig mit denen durch das Volk erzwungenen seien, antwortet Clark mit einer Gegenfrage. „Was ist eigentlich besser: Daß eine Verwaltung vernünftige Politik macht und dem Volk Reformen gewährt oder eine Situation wie in Frankreich mit den revolutionären Exzessen? Wo hätten Sie lieber gelebt: in Paris 1793 während des jakobinischen Terrors oder im zugegebenermaßen etwas langweiligen Berlin? Es gehört zur Meistererzählung, die wir nur ungern loslassen, daß Revolutionen an sich etwas Fabelhaftes sind.“

Christopher Clark ist keineswegs der einzige Autor, der mit eigenen Beiträgen und in dem bereits zitierten Interview zu Wort kommt. Auch andere Historiker und „Spiegel“-Redakteure künden von einer neuen Sichtweise des linken Magazins auf Preußen. Und natürlich hängen sich immer noch einige Autoren an Preußens Faible zum Militärischen, der aber nun mal der Wahrheit entspricht, man muß ihn nur in den richtigen historischen Kontext einordnen – und das geschieht hier überwiegend.

Der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., wird hier sogar als ein äußerst dynamischer Reformer beschrieben, der eben eine Leidenschaft für alles Militärische hegte. Nur eine Marotte also? Manchmal übertreibt es der „Spiegel“ sogar, denn so positiv, um nicht zu sagen undifferenziert, wie Friedrich Wilhelm I. hier jetzt beschrieben wird, würde es trotz aller Zuneigung zu Preußen und seinen Herrschern selbst die Preußische Allgemeine nicht tun. Irgendwie wechselt der „Spiegel“ fast von einem Extrem ins andere. So bleibt auch jetzt nur aufmerksames Lesen und Hinterfragen. Trotzdem bringt die Lektüre Spaß und ist außerordentlich unterhaltend, denn die meisten Autoren sind Meister im Schreiben. Historie mit Hilfe vieler Anekdoten und atmosphärischer, reportagehafter Einstiege lebendig zu machen, gelingt ihnen exzellent.

Die Autoren schildern Preußens Herrscher, Preußens Kultur, Preußens Kriege, Preußens Gesellschaft und die Folgen Preußens. Und natürlich gibt es noch vereinzelt Formulierungen wie: „Immerhin hielt das Kaiserreich trotz nationalen Größenwahn über 40 Jahre Frieden mit den Nachbarn, ehe es Europa dann doch 1914 mit Krieg überzog, nicht als Alleinschuldiger, aber als Hauptschuldiger.“ Eine Entdramatisierung der Wortwahl und weitere Hintergrundinformationen würden hier durchaus zu noch mehr Objektivität und mehr Lesegenuß führen. Wenn man unter anderem schon von „nationalem Größenwahn“ spricht, dann sollte man auch erwähnen, daß dieser in ganz Europa gerade im „Trend“ lag, andernfalls liegt nämlich wieder der Verdacht nahe, daß das preußisch-deutsche Kaiserreich einen „Sonderweg“ beschritten hätte.

Während Klaus Wiegrefe schreibt, daß Preußen passé sei und man nicht mehr von Preußen lernen könne, führen seine Kollegen und ja, sogar er selbst den von Preußen initiierten Fortschritt an, der bis heute nachwirkt. Ob Aufklärung, Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft, preußische Tugenden und vieles mehr, all jenes läßt die Menschen der Gegenwart und auch der Zukunft noch heute von Preußen lernen. Und daß Beschäftigung mit Preußen noch heute für die Allgemeinheit neue Erkenntnisse bringt, schreibt beispielsweise Jan Friedmann. „Die preußischen Junker gelten als Inkarnation von Militarismus und Untertanengeist. Neue Forschungen relativieren das Bild von den bornierten Chauvinisten.“

Stephan Burgdorff, Norbert F. Pötzl, Klaus Wiegrefe (Hrsg.): „Preußen – Die unbekannte Großmacht“, DVA, München 2008, geb., 318 Seiten, 19,95 Euro


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