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28.06.08 / Ein Schulausflug / »Die Luft ist blau, das Wetter schön ...«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Ein Schulausflug
»Die Luft ist blau, das Wetter schön ...«
von Egon Kopiske

Die Luft ist blau, das Wetter schön, Herr Lehrer, wir möchten spazierengehen!“ stand eines schönen Sommermorgens, der wirklich zu schön war, um im muffigen Klassenzimmer zu hocken, an der Wandtafel. Der Lehrer kam, sah, stutzte, schmunzelte wohlwollend, gab aber zu bedenken, daß man ein solches Unternehmen nicht übers Knie brechen könne, man müsse sich vorher darauf einrichten, mit der nötigen Wegzehrung und Bekleidung versehen. Mit den Holzpantoffeln sei schlecht wandern. Zudem müsse der Schulrat informiert werden. Aber morgen, morgen können wir auf die Wanderschaft gehen. Wohin, war keine Frage – in den Wald natürlich, bis zum See.

Am nächsten Morgen zur üblichen Unterrichtszeit – im Sommer 7 Uhr, die Kleinen hatten schulfrei – ging es los, ausgerüstet mit Speis und Trank, mit Trank vor allem, denn nicht nur Männer leiden unter Durst. Der Himmel war so blau wie am Vortage, die Vögel zwitscherten zum Lobe dessen, der den schönen Morgen hat werden lassen, Hummeln summten um die Blüten am Wegesrand. Kein Motorenlärm belastete den Morgenfrieden. „Im Frühtau zum Walde wir gehn ...“ erklang es frisch aus voller Brust. Beim Wandern wurden Wanderlieder gesungen, sonst war das Wandern kein Wandern, eher eine watschelnde, schnatternde Gänseherde. Zog eine Schulklasse des Weges, traten die Anwohner hervor in Erwartung zünftigen Sanges.

Den Mühlenberg ging es hinab zum Wiesengrund. Heuduft lag in der Luft, der Klang der Sensen und Grasmäher. Wandernden Schrittes am Rande der Wiesen entlang strebte das bunte Völkchen dem Wege zu, der geradewegs zum Walde führte. Am letzten Anwesen jubilierte der Schwarm noch einmal laut: „Wer recht in Freuden wandern will …“ Denn dort erwarteten uns am Kreuzweg die Mitschüler des „Millionenviertels“, der verstreuten Gehöfte in Waldnähe, die wenigstens einmal den kürzeren Schulweg haben durften.

Dann der Eintritt in den Wald, in den Dom, den der Schöpfer selbst erbaut. Für mich immer ein nahezu feierlicher Augenblick. Einem lebenden, grünen Gewölbe gleich schlossen sich die Wipfel der Föhren über dem Wege, die Laute klangen anders, es duftete nach Harz und verlockte tief zu atmen. Von den Emporen sang der Chor der Gefiederten, voran die Buchfinken.

An einer lichten Stelle wurde Rast gemacht. Herrlich eine verdiente Rast, dazu noch im Walde. Jeder kramte seine Brote hervor, vor allem erst einmal die Flasche entkorkt ... Im Sand waren viele kleine Trichter zu sehen. „Herr Lehrer, wat sind dat für Kuhlen?“ – Und der Lehrer erteilte wirklichkeitsnahen Naturkundeunterricht über den Ameisenbär, veranschaulichte uns dessen Lebensweise, indem er eine Ameise in seinen Trichter tat, die prompt von dem in der Trichterspitze unsichtbar lauernden Bären ergriffen wurde. Mir war das neu, der Anschauungsunterricht nachhaltig bis heute.

Gestärkt an Leib und Wissen ging es weiter mit belehrenden Hinweisen wie eben so ein Schulausflug geht, unter hohen Kiefern dahin bis zum See. Man konnte ihn schon von fern riechen. Ein Geruch nach Fisch, Tang und anderen Wasserpflanzen hing in der Luft.

Blau lag er dann vor uns, lud zum Baden. Heiß vom langen Marsch wollte alles Hals über Kopf ... Man kennt das ja. Bremsend und belehrend mußte der Lehrer eingreifen. – Dann aber: Pitschepatsche – klitsche klatsche – Gelärme, dann knurrende Därme – den Rest vertilgt, alles vertrunken – See ade!

Die Sonne, wandernd wie wir, war inzwischen ein gutes Stück vorangekommen. Selbst im Waldesschatten war ihr Wirken bereits lästig. Anfangs kühlten die nassen, über die Köpfe gezogenen Badehosen. Wie war der Wald auf einmal groß und weit ... Nichts mehr mit: „Wer recht in Freuden...“ Selbst die Vögel hatten ihre Gesänge eingestellt. Der Herr Lehrer im vorschriftsmäßigen Anzug mit Schlips und Kragen, ganz Kulturträger, Vorbild – man brauchte nicht zu rätseln wer der Lehrer sei – fuhr ständig mit dem Taschentuch im Gesicht herum. Er hatte wenigstens eins. Ich leckte den von meiner Nase tropfenden Schweiß mit langer Zunge – bäh, wie salzig. Und einen Durst zum Verhungern. Da, endlich der Waldrand! Das erste Gehöft war unser. „Mit Müh‘ und Not erreicht er seinen Hof“, war ein geflügeltes Wort des Lehrers, auch wenn kein Hof da war. Hier aber war einer, sogar mit Pumpe … Leute, die über Biersorten streiten, wissen nicht, wie herrlich Pumpenwasser frisch aus der Erde schmeckt!

Vorerst erquickt, vor Austrock­nung bewahrt, schlich das Hüflein weiter auf schattenlosem Wege. Die im Zenit stehende Sonne lächelte nicht, sie lachte boshaft von wegen spazieren gehen anstatt zu lernen im kühlen Klassenraum. Wir sollten genug des Schönen bekommen. Die „Millionenvierteler“ hatten es gut, waren fast zu Hause. Wir mußten bis zur Schule noch einen halben Kilometer in Freuden unter Sonnenschein wandern. Abgeschlafft, mit Müh‘ und Not erreichten …


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