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28.06.08 / Fast ein Preuße / Was Jean-Jacques Rousseau mit Friedrich dem Großen zu tun hatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Fast ein Preuße
Was Jean-Jacques Rousseau mit Friedrich dem Großen zu tun hatte
von Jürgen Ziechmann

Der später so berühmte Philosoph und Aufklärer Jean-Jacques Rousseau wurde am 28. Juni 1712 – also im selben Jahr wie der spätere König Friedrich II. von Preußen – in Genf als Sohn eines Uhrmachers geboren. Er verließ seine Heimatstadt in jungen Jahren und landete schließlich in Paris, wo er sich durch das Abschreiben von Noten ernährte. Er wurde 1750 bekannt durch seine Schrift „Discours sur les sciences et les arts“ (Über die Wissenschaften und Künste), in der er die Verderblichkeit der Sitten verurteilte und die bestehende Zivilisation für die menschlichen Laster und die eigene Verirrung des Menschen verantwortlich machte. Neben seinen philosophischen und politischen Schriften trat er auch – mit unterschiedlichem Erfolg – als Komponist und Musiktheoretiker hervor. Er hatte bald Kontakt zu den Verfassern der „Encyclopädie“, die das umfangreiche Lexikon der Aufklärung herausgaben. Aber seine radikale Ablehnung der etablierten bürgerlichen Sitten, die beispielsweise das Theater als Kulturstätte der Reichen verurteilte und statt dessen große Volksfeste (wie bei den Griechen) favorisierte, brachte ihn bald in Gegensatz zu vielen aufgeklärten Zeitgenossen – wie beispielsweise zu Voltaire, mit dem er sich wegen dessen Gedicht über das Erdbeben von Lissabon 1755 überwarf.

Rousseaus wichtigste Schriften erschienen in den frühen 60er Jahren: „Julie ou la Nouvelle Héloïse“ (Julie oder Die neue Héloïse), „Du contrat social ou principes du

droit politique“ (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes) und „Émile ou de l’éducation“ (Emile oder über die Erziehung). Ihr revolutionärer Inhalt wurde von der Kirche und der politischen Zensur in Frankreich verworfen. Rousseau mußte daher aus Paris fliehen und machte sich auf den Weg nach Genf, wo er aber nicht ankam, denn die Genfer, die ebenfalls ihre etablierte Ordnung durch diesen unruhigen Geist bedroht sahen, hatten seine „Héloise“ auch verworfen. Er wandte sich der kleinen Stadt Motiers zu, die im Fürstentum Neuenburg lag.

Warum gerade Neuenburg? Das schweizerische Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) und Valangin war seit 1708 durch Personalunion mit Preußen verbunden. 1707 war die letzte Fürstin aus dem Hause Orléans-Longueville, eine entfernte Verwandte der Bourbonen auf dem französischen Thron, gestorben, und das im Fürstentum neben der Fürstin regierende Drei-Stände-Tribunal (Trois Etats) hatte sich wegen Zwistigkeiten mit Ludwig XIV. und aufgrund des calvinistischen Bekenntnisses der etwa 30000 Bürger als Nachfolger der verstorbenen Fürstin für einen europäischen König ausgesprochen, der die Unabhängigkeit des Fürstentums garantieren sollte. So war Berlin zu einem weit entfernten Landstrich gekommen, der schon aufgrund seiner Lage sich aus den Wirren der Kriege, die Preußen in der friderizianischen Zeit führte, heraushielt und lediglich durch einen vom König ernannten Gouverneur, der auf die pünktliche Bezahlung der (sehr geringen) Steuern zu achten hatte, verbunden war. Immerhin galt die in Berlin praktizierte geistig-religiöse Toleranz auch hier – besonders, wenn sich die Vertreter der Aufklärung vom katholischen Frankreich absetzten.

Rousseau erbat also seinen Aufenthalt in Neuenburg und schrieb im Juli 1762 in einer Mischung von Dreistigkeit und Schmeichelei an den König: „Ich habe viel Schlechtes über Sie gesagt und werde es vielleicht auch noch ferner tun. Da ich jedoch aus Frankreich, aus Genf und aus dem Kanton Bern verjagt worden bin, habe ich in Ihren Staaten eine Zuflucht gesucht. Vielleicht war es ein Fehler, damit nicht den Anfang gemacht zu haben – dieser Glaube gehört zu jenen Huldigungen, derer Sie würdig sind. Sire, ich habe keine Gnade von Ihnen verdient und bitte auch nicht um Gnade, aber ich habe Eurer Majestät mitteilen zu müssen geglaubt, daß ich mich in Ihrer Gewalt befinde und mich darin befinden will.“ Der damalige Gouverneur von Neuenburg war mit George Reith (1693–1778) ein enger Freund des Preußenkönigs. Er informierte den König sofort.

Friedrich kannte alle wichtigen Publikationen seiner bedeutenden Zeitgenossen, also auch die von Rousseau. Rousseaus Ansichten waren nicht nur in den Salons des interessierten Publikums in Paris Gesprächsthema, sondern dessen mit großer Überzeugungskraft vorgetragene Thesen spielten in der europäischen Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts in zunehmendem Maße eine Rolle. Der König hatte sich schon gelegentlich mit anderen aufgeklärten Geistern über diesen radikalen Denker ausgetauscht. Er hielt dessen Ansichten nicht nur für überzogen, sondern für falsch und mokierte sich über den Eifer des Genfers. Am 1. September 1762 schrieb der König dementsprechend an seinen Freund Keith: „Ich sehe, wir sind in seiner Beurteilung einig. Man muß den Ärmsten unterstützen. Sein ganzes Vergehen besteht in wunderlichen Ansichten, die er aber für gut hält … Er wird mich nie dazu bringen, Gras zu fressen und auf allen Vieren zu laufen … Ich lasse Ihnen 100 Taler zugehen und bitte Sie, ihm davon so viel zuzustellen, als er für seinen Unterhalt braucht.“

Als der Gouverneur Rousseau umgerechnet zwölf Louisd‘or von der Summe anbot, fand dieser das „knick-rig“; den von

Friedrich für später (nach dem Siebenjährige Krieg, der ja kurz vor seinem Abschluß stand) in Aussicht gestellten vom König finanzierten Bau einer Einsiedelei (wo auch immer) fand Rousseau hingegen großzügig. Er schrieb am 30. Oktober 1762 wiederum in dieser Mischung von überzogenem Selbstwertempfinden und Unterwürfigkeit: „Sire, Sie sind mein Beschützer und mein Wohltäter, und ich habe ein Herz, das von Natur dankbar ist ... Könnte ich Friedrich den Gerechten und Gefürchteten seine Staaten mit einem zahlreichen Volke bedecken sehen, dessen Vater er wäre, so wollte J. J. Rousseau, der Feind der Könige, zu Füßen seines Thrones sterben.“

Aber es kam nicht dazu, denn Rousseau hatte sich durch sein merkwürdiges Auftreten (er trug immer ein armenisches Gewand) bei den (zugegebenermaßen: spießigen) Bürgern des Städtchens unbeliebt gemacht. Er wollte das Leben eines Eremiten führen und siedelte sich auf einer kleinen Insel im Bieler See, die dem Berner Krankenhaus gehörte, an. Auch von dort mußte er weg und reiste nach Straßburg. Friedrich soll ihm sogar – in der Vermittlung durch Keith – angedeutet haben, daß Rousseau auch in Berlin würde leben können. Aber Rousseau fuhr nach England – auf Bitten des eng-lischen Philosophen David Hume. Er schrieb an den preußischen König: „Sire, ich verdanke dem Unglück, das mich verfolgt, zwei Güter, die mich trösten: das Wohlwollen des Lord Marschalls und den Schutz Eurer Majestät. Wenn ich auch gezwungen bin, fern von dem Staate zu leben, in dem mein Name in die Liste Ihrer Untertanen eingetragen ist, so bewahre ich mir doch die Liebe zu den Pflichten, die ich dort eingegangen bin. Geruhen Sie, Sire, Ihre Güte mir so weit folgen zu lassen, als ich meine Dankbarkeit mit mir nehme, lassen Sie mir stets die Ehre, Ihr Schützling zu sein, wie ich stets Ihr treuester Untertan sein werde.“

Aber in England fühlte Rousseau sich nicht wohl und litt unter Depressionen, so daß er unter falschem Namen nach Frankreich zurückging, wo ihn zwar die Polizei beobachtete aber in Ruhe ließ. Er kam schließlich auf dem Gut eines Gönners in Ermenoville bei Paris unter, wo er am 2. Juli 1778 starb.

Foto: Jean-Jacques Rousseau: Der Aufklärer starb am 2. Juli 1778.


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