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28.06.08 / Rätselhafter Feuerball über Sibirien / Das Tunguska-Ereignis: Vor 100 Jahren ließ ein explodierender Meteorit rund 60 Millionen Bäume umknicken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Rätselhafter Feuerball über Sibirien
Das Tunguska-Ereignis: Vor 100 Jahren ließ ein explodierender Meteorit rund 60 Millionen Bäume umknicken
von Hans-Jürgen Mahlitz

 Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom Himmel herab – so beschreibt das 1. Buch Mose (19;23) jenen rätselhaften Vorgang, mit dem die Bewohner von Sodom und Gomorrha für ihren gottlosen Lebenswandel bestraft wurden. Von vielen Erklärungsversuchen erscheint einer bis heute plausibel: Die vermutlich im heutigen Jordanien gelegenen Städte könnten dem Einschlag beziehungsweise der Explosion eines gigantischen Meteoriten zum Opfer gefallen sein.

Konkrete Spuren, die der himmlischen Strafaktion zugeordnet werden könnten, waren jedenfalls nirgends zu finden. Daß wir dennoch eine konkrete Vorstellung davon haben, was sich damals zu mosaischen Zeiten zugetragen haben könnte, verdanken wir einem „Jahrhundert-Ereignis“ in der zentralsibirischen Taiga. Vor geneu einem Jahrhundert, am 30. Juni 1908 um 7.15 Uhr, zerstörte dort ein gewaltiger Feuersturm alle Vegetation auf einer Fläche von 2000 Quadratkilometer; das entspricht etwa der Größe des Saarlandes.

Im Gegensatz zu Sodom und Gomorrha war die nach dem Fluß Tunguska benannte Region allerdings nahezu menschenleer und somit wohl auch weitgehend frei von Sünde. Ein göttlicher Strafakt kommt als Ursache des Tunguska-Rätsels also nicht in Frage. Was es dann sonst gewesen sein könnte, darüber streiten Gelehrte und weniger gelehrte Verschwörungs-

theoretiker seit nunmehr 100 Jahren. Zwar gab es eine Reihe von Augenzeugenberichten, die noch in über 100 Kilometer Entfernung den riesigen Feuerball am Himmel erspäht hatten. Ansonsten aber wurde das Ereignis in den Wirren des untergehenden Zarenreiches kaum wahrgenommen. Erst ein Jahrzehnt nach der Oktoberrevolution schickten die neuen Herren im Kreml eine von Leonid Kulik geleitete Expedition ins ferne Sibirien, um die noch immer sichtbaren Schäden zu dokumentieren. Die Bilanz aus dem Jahre 1927: Im Umkreis von 60 Kilometern waren rund 60 Millionen Bäume offenbar durch eine Druck- und Hitzewelle vernichtet worden. Fotos jener Expedition zeigen eindrucksvoll ganze Wälder, deren Bäume wie Strohhalme dahingemäht in einer Richtung liegen – immerhin zwei Jahrzehnte nach der Katastrophe.

Was genau geschehen war, konnten Kulik und seine Begleiter nicht klären. So blieb es lange Zeit ruhig um das Tunguska-Rätsel. Erst in den letzten Jahren wurde die menschenleere Region wieder von Forschungsexpeditionen heimgesucht, wobei sich neben den Russen vor allem die Italiener hervortaten. Sie wollen den Cheko-See als Einschlagkrater eines Asteroiden-Trümmers identifiziert haben. Zwar mußte Projektleiter Luca Gasperini einräumen, daß wesentliche Merkmale solcher Krater in diesem Falle fehlen, doch bietet er per Internet auch hierfür eine plausibel klingende Erklärung.

Die russische Forscherin Natalia Artemieva hingegen lehnt die Thesen der Italiener ebenso ab wie jene mehr oder weniger absurden Erklärungsversuche, die von militärischen Geheimexperimenten oder gar von der Explosion eines Raumschiffes außerirdischer Besucher reden.

Einig ist sich Artemieva allerdings mit den meisten ihrer britischen und amerikanischen Fachkollegen, daß es sich sehr wohl um eine Explosion gehandelt haben muß. Rechtzeitig zur Internationalen Tunguska-Konferenz in Moskau anläßlich des 100. Jahrestages legte sie eine computergestützte Rekonstruktion des Ereignisses vor.

Demnach war ein kosmisches Trümmerstück von maximal 80 Meter Durchmesser mit einer Geschwindigkeit von 70000 Stundenkilometer in einem so schrägen Winkel in die Erdatmosphäre eingedrungen, daß es nicht bis zur Oberfläche durchdringen konnte, sondern noch in der Luft explodierte, vermutlich in fünf bis zehn Kilometer Höhe. Die Sprengkraft dürfte mindestens das Tausendfache der Hiroshima-Bombe betragen haben.

Es war einfach Glück im Unglück, daß dieser Meteorit über einer unbesiedelten Region niederging. So blieb es bei gewaltigen, heute noch erkennbaren Vegetationsschäden und – nach amtlicher Lesart – einem einzigen Todesopfer. Hätte der Gesteinsbrocken, der möglicherweise aus dem Asteroiden-Gürtel zwischen Mars und Jupiter stammte, die Erde ein paar Stunden später getroffen, wäre möglicherweise in einer dichtbesiedelten Region Zentraleuropas alles Leben ausgelöscht worden.

Auch wenn in den letzten 100 Jahren seit dem Tunguska-Ereignis kein ähnlich schweres Geschoß unseren Planeten getroffen hat – wir Menschen leben in ständiger Gefahr. Täglich schlagen Hunderte interplanetarischer Körper bei uns ein. Die weitaus meisten sind kaum mehr als staubkorngroß, verglühen vollständig in der oberen Atmosphäre und werden allenfalls als Sternschnuppen wahrgenommen. Aber es sind auch Himmelskörper auf kollisionsverdächtigen Bahnen unterwegs, die durchaus das Potential zu Schädigungen haben wie einst vor 60 Millionen Jahren, als ein Asteroideneinschlag zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aussterben ließ, möglicherweise auch die Saurier.

60 Millionen Jahre – das klingt beruhigend. Ist aber im Maßstab von 4,5 Milliarden Jahren Erdgeschichte eine relativ kurze Spanne – die nächste derartige Katastrophe kann noch ein paar Millionen Jahre auf sich warten lassen, kann aber auch schon morgen passieren. So ist es durchaus sinnvoll, wenn Organisationen wie die amerikanische NASA Millionen-Dollar-Programme auflegen, mit denen Flugbahnänderungen gefährlicher Weltraumgeschosse kontinuierlich überwacht werden.


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