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05.07.08 / Sozialarbeiter an die Basis / Trotz Zusagen haben Bund und Länder in Sachen Kinderschutz noch nicht viel erreicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Sozialarbeiter an die Basis
Trotz Zusagen haben Bund und Länder in Sachen Kinderschutz noch nicht viel erreicht
von Mariano Albrecht

Kevin, Lea-Sophie, Max-Luca, die Namensliste der kindlichen Opfer von Vernachlässigung, Verwahrlosung, Mißbrauch und häuslicher Gewalt ließe sich lange fortführen. Fast täglich berichten die Medien über Grausamkeiten, die Kindern von ihren Eltern angetan werden. Meist sind es Familien aus sozialen Unterschichten, in denen Kinder der Verwahlosung oder der Gewalt ihrer Eltern ausgeliefert sind. Allzu oft haben die Behörden weggeschaut oder nichts bemerkt. Meist wurde nach „Aktenlage“ vom Schreibtisch aus entschieden, welche Fälle an freie Träger der Jugendhilfe zur Betreuung abgegeben werden.

Auch der zweijährige Kevin aus Bremen könnte noch leben. Die Jugendbehörde hatte es hingenommen, daß der drogenabhängige Vater den Jungen betreut, das Kind starb an mehr als 20 Knochenbrüchen. Das war vor anderthalb Jahren. Was ist seit demn passiert?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder haben das Kindeswohl zur Chefsache erklärt. Auf dem zweiten Kinderschutzgipfel am Anfang des Monats haben Merkel und die Landesväter weitere Maßnahmen beschlossen, die das Kindeswohl auf sichere Beine stellen sollen. Doch was war bisher passiert?

Nicht viel, obwohl man sich der Taten rühmt. Es mangelt an Gesetzen, die den Ämtern erlauben, in sogenannte Problemfamilien einzugreifen. Schlimmer noch: Die Jugendämter sind organisatorisch und personell nicht in der Lage, die Fälle auszumachen, in denen ein Eingreifen notwendig wäre. Warum ist das so?

Die Arbeit der Jugendämter ist Ländersache, in der Vergangenheit hatte man sich dort die Schreibtische durch Delegierung der Kinder- und Jugendfürsorge an freie Trägervereine frei gehalten. Doch wer soll junge Mütter bei der Sorge um das Kind begleiten? Es gibt zahlreiche Angebote, doch müssen diese auch durch die Eltern wahrgenommen werden. Bisher gibt es in nur wenigen Bundesländern eine Verpflichtung zur Teilnahme an regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen. Das Problem ist lange bekannt. Die Lösung ist nicht einfach, so soll die Schweigepflicht von zum Beispiel Ärzten bundeseinheitlich auf den Prüfstand kommen, um den Medizinern zu erlauben, das Jugendamt über Anzeichen von zum Beispiel Unterernährung zu informieren. Auch soll der Datenschutz gelockert werden, um beim Umzug einer Familie die Weitergabe des „Falles“ unter den Jugendämtern zu ermöglichen. Doch die Absichten dürften auf breite Gegenwehr stoßen.

Der Datenschutzbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Harald von Bose, hat die Pläne der Landesregierung für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen für Kinder kritisiert. Die angestrebte Erfassung aller Daten von Kindern und Eltern bei einer zentralen Stelle sei verfassungsrechtlich bedenklich, sagte er. Es sei „höchst problematisch“, alle Eltern unter Generalverdacht zu stellen, um einige wenige Fälle von Gefährdung des Kindeswohls zu entdecken. Hier wäre als erstes die Bundespolitik gefragt, denn es geht nicht um Verdachtsfälle. Es geht um staatliche Fürsorge und Obhut, hier ist Aufklärung und Argumentation gefragt. Wie kann ein engmaschiges Netz für die Kinderfürsorge als Überwachung von Eltern angesehen werden? Was hat die Politik versäumt?

Der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, stellt fest: „Gewisse Kompetenzen kann man nicht auslagern. Viele freie Träger der Jugendhilfe, die von den Kommunen beauftragt werden, sich um bestimmte Fälle zu kümmern, haben weder die Befugnisse noch die Möglichkeiten, Familien zu erreichen, bevor es zu spät ist. Es gilt die Qualität der vorhandenen Strukturen zu verbessern.“ Ehrmann stellt fest, daß es bisher nicht einmal einheitliche Diagnosestandards für das Feststellen von Kindeswohlgefährdungen gibt. Wer setzt die Standards?

Um zu beurteilen, ob eine junge Mutter oder eine Familie Hilfe benötigt, ist in erster Linie ein ärztliches Urteil erforderlich. Der erste Arzt, der mit dem jungen Leben in Kontakt kommt, ist der Frauenarzt, der eine Schwangerschaft feststellt. Hier wäre es die Aufgabe der Politik, ein System der Vor- und Fürsorge einzurichten, das eine Mutter von der Schwangerschaft bis zur Erziehung des Kindes begleitet, ohne zu bevormunden. Das kann nur unter der Federführung der Jugendämter und Gesundheitsbehörden funktionieren. Die Arbeit der freien Träger ist hier zweifellos nützlich, die Arbeit der Beamten jedoch können sie nicht übernehmen. Ein erster Schritt in Richtung Kindeswohl wäre wohl die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit von Jugendämtern durch personelle Aufstockung und radikale Reform eingefahrener Verwaltungen. Sozialarbeiter gehören an die Basis und nicht an den Schreibtisch.


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