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05.07.08 / Und plötzlich wie blind / Der »Dialog im Dunkeln« ist eine ertastenswerte Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-08 vom 05. Juli 2008

Und plötzlich wie blind
Der »Dialog im Dunkeln« ist eine ertastenswerte Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren
von Rebecca Bellano

Und plötzlich ist da nur noch tiefschwarze Dunkelheit. Unsicherheit kommt auf. „Mama“, fragt das elfjährige Mädchen, das mit seiner Geburtstagsgesellschaft dieses Abenteuer wagt, ins undurchdringliche Schwarz hinein. „Hier Ricarda“, kommt es zurück. „Und ich bin hier“, meldet sich eine Freundin des Geburtstagskindes von links. Dann hört man das Tack-Tack-Tack mehrerer Blindenstöcke, die über den Boden gezogen werden, um wengistens einen ersten Eindruck der Umgebung zu erlangen. „Au“ dringt es aus dem Dunkel, „das war meine Kniekehle.“

„Hallo, ich bin Rolf. Ich geleite Sie durch den ,Dialog im Dunkeln‘.“ Die Stimme von vorne rechts löst sofort Erleichterung bei den Besuchern der „Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren“ in der Hamburger Speicherstadt aus. Immerhin einer, der sich hier auskennt und dessen Stimme Orientierung verspricht. Und noch oft wird der kleine Trupp freudig auf die Stimme reagieren, nur um festzustellen, daß er sich zu weit von der Stimme entfernt hat und wie eine Horde Vollidioten mit dem Rücken zum Raum steht.

Vorsichtig tapst die Gruppe hinter der Stimme her. Die ersten rufen überrascht aus, als ein weicher Untergrund unter ihren Füssen anzeigt, daß sie sich in einem anderen Raum befinden. Die Luftfeuchtigkeit ist hier höher, im Hintergrund hört man Wasser. Die ersten Blindenstöcke klopfen auf einen Untergrund, der sich wie Holz anhört. „Eine Brücke“, ruft einer von den jungen Geburtstagsgästen aus. „Uah“, quietscht ein Mädchen. „Ich bin in einem Gebüsch gelandet.“

„Na, wißt ihr, wo wir sind“, fragt Rolf. „In einem Park“, kommt es von mehreren Seiten, während sich die Besucher des „Dialogs im Dunkeln“ daran versuchen, sich auf dem sich durch Rasen und Moos schlängelnden Steinpfad zu halten. Doch wohin soll man gehen? Immer Rolfs Stimme nach.

„Vorsicht, eine Tür“, warnt diese die Gäste. Und sofort dringt ein etwas muffiger Geruch an die Nasen der unerwartet sich immer mehr auf andere Sinne als auf das sonst so dominante Sehen verlegenden Ausstellungsbesucher. „Na, wo sind wir jetzt“, will ihr Navigator wissen. Inzwischen nehmen immer mehr ihre freie Hand zur Hilfe und tasten außer mit dem Blindenstock nun auch mit der Hand die Umgebung ab. Daß sie, sollte jetzt das Licht angehen, alle total bescheuert aussehen, kümmert die wenigsten. Ihre Neugier ist geweckt und sie trauen sich immer mehr zu in der langsam vertrauter werdenden Dunkelheit. Ein Faß, ein Seil, ein grober Sack. „Wir sind in einem Speicher“, beantwortet jemand Rolfs letzte Frage.

Und schon geht es weiter. Straßengeräusche, ein Bordstein, Stände und ... „Äpfel“, brüllt das erste Kind triumphierend. „Bananen“ ein zweites. „Ja, wird sind auf einem Markt“, lobt der Führer durch das tiefe Schwarz, bevor es im nächsten Raum turbulent wird.

Eine Bootsfahrt mit Gegenwind, Motorengeruckel und Möwengekreische verunsichert die immer selbstbewußter ihre Umwelt Erkundenden.

Danach geht es in einen Klang-raum und zum Schluß an die Bar. Doch wo ist der Tresen, wo das Getränk? Viele greifen mehrfach ins Leere, bevor sie das Erwünschte haben. Aber halt, vorher noch zahlen, doch welche der Geldstücke entsprechen 2,30 Euro? Nicht, daß man hier zu viel zahlt.

Und während alle froh sind zu sitzen, erzählt Rolf seine Geschichte.

Er selbst ist „nur“ sehbehindert, seine Sehkraft beläuft sich schon seit seiner Geburt auf nur wenige Prozent, doch immerhin kann er Hell und Dunkel erkennen, während seine Kollegen teilweise total blind sind.

Für sie bietet der Hamburger „Dialog im Dunkeln“ einen Arbeitsplatz und die Möglichkeit, zwischen lauter Sehenden plötzlich über eine Fähigkeit zu verfügen, die sie über die „Normalen“ erhebt: Sie wissen, wie man sich in einer undurchdringlichen Dunkelheit zurechtfindet, indem man sich auf andere sonst wengier relevante Sinne als auf das Sehen verläßt.

Noch im Dunkeln verabschiedet sich Rolf von seinen Gästen, die nie das Gesicht zur Stimme sehen werden. Jener Stimme, die ihnen in einer Stunde ihres Lebens zum wichtigsten Orientierungspunkt wurde.

Wieder draußen blinzeln alle in das ungewohnte Tageslicht, das auf einmal ungemütlich grell, zugleich aber wie ein Segen auf sie wirkt.

Informationen: „Dialog im Dunkeln“, Alter Wandrahm 4, 20457 Hamburg (Speicherstadt), Telefon (0 40) 30 96 34-0, www.dialog-im-dunkeln.de

Foto: Dunkelheit: In der Nacht sorgen zumindestens Mond und Sterne für ein gewisses Licht.


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