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12.07.08 / Große Verschwörung aufgedeckt? / Der Kampf um die Macht in der Türkei entwickelt sich zum Polit-Krimi

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Große Verschwörung aufgedeckt?
Der Kampf um die Macht in der Türkei entwickelt sich zum Polit-Krimi
von Mariano Albrecht

Steht die Türkei vor einem Bürgerkrieg oder gar vor einem Militärputsch? Droht das Machtgefüge von Ministerpräsident Erdogan und seiner Regierungspartei, der islamischen Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), unter dem Ringen um die Macht im Staat zusammenzubrechen? Was passiert hinter den Kulissen des schwebenden Verbotsverfahrens gegen Erdogans AKP?

Ungefähr zur selben Zeit, als Generalstaatsanwalt Yalcinkaya sein Schlußplädoyer gegen die AKP hält, stürmen Spezialeinheiten der Polizei Dutzende Büros, Wohnungen und Militärkomplexe in Ankara und Istanbul. 21 Personen, unter ihnen zwei Ex-Generäle und der Leiter des Hauptstadtbüros der linksnationalen Tageszeitung „Cumhuriyet“ (Republik), werden verhaftet. Sie sollen Teil des kemalistisch-nationalistischen Verschwörer-Netzwerkes „Ergenekon“ sein, das angeblich das Ziel hat, die Erdogan-Regierung zu stürzen und einen kemalistischen türkischen Nationalstaat zu errichten.

Will Erdogan mit Verschwörungstheorien Stimmung gegen das drohende und sehr wahrscheinliche Verbot seiner Partei machen? Bereits seit einem Jahr geistert das Gespenst der Geheimorganisation „Ergenekon“ durch die türkischen Medien. Seit Januar dieses Jahres kam es zu mindestens 100 Festnahmen. Auch im März, im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Eröffnung des AKP-Verbotsverfahrens, schlugen die Ermittler zu. Trotz Nachrichtensperre sickerten Informationen über Todeslisten, Anschlagsplanungen und Waffenfunde durch.

„Ergenekon“ soll für den Mord an dem Journalisten Hrant Dink, den Priestermorden von Malatya und zahlreiche Anschläge verantwortlich sein, heißt es. In der vergangenen Woche wurden angeblich detailierte Putschpläne bei den Durchsuchungen gefunden. Spätestens im nächsten Jahr sollte die Regierung gestürzt werden, so türkische Medien. Daß die türkische Regierung unter enormem Druck steht, offenbart sich an den fieberhaften Bemühungen Erdogans, an der Neugründung einer Nachfolgepartei der AKP zu arbeiten. Das Urteil im Verbotsverfahren wird für August erwartet.

So kann der Aktionismus um die Enthüllung eines angeblich geplanten Staatsstreiches und die Ermittlungen im Fall von „Ergenekon“ bestenfalls als Verzweiflungsakt gesehen werden. Um bei frühestens im Herbst zu erwartenden Neuwahlen ein Klima gegen die die Atatürk-Prinzipien verfechtenden Kemalisten zu schüren, bedient sich Erdogan der in der Bevölkerung ohnehin vorhanden Abneigung gegen korrupte Strukturen aus Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, die zweifelsfrei existieren.

Daß tatsächlich alle Personen, gegen die zur Zeit im Umfeld der nebulösen Geheimorganisation ermittelt wird, einer Verschwörergruppe angehören, bezweifeln selbst Experten. Sympathie verschaffen sich die AKP-Leute allein schon durch das konsequente Vorgehen gegen den sogenannten „Derin Devlet“, den „tiefen Staat“ oder auch Staat im Staate, dessen Bestandteil die „Ergenekon“-Strukturen offenbar sind. Zum ersten Mal wagt sich eine Regierung in der Türkei an das Netzwerk aus Militär und Wirtschaft. Doch es geht nicht allein um die Regierung. Vielmehr geht es um den Erhalt der wirtschaftlichen und politischen Macht im Hintergrund.

Vorgängerregierungen hatten sich mit den Nationalisten arrangiert, Erdogan strebt zu konsequent in Richtung EU. Ein Beitritt würde die konservativen Nationalisten schwächen, man könnte die Kontrolle über die Wirtschaft verlieren. Es geht also viel weniger um die Trennung von Religion und Staat als um den Erhalt von Machstrukturen.

 

Ergenekon gestern und heute

Die Herkunft des Wortes Ergenekon ist ungeklärt. Es bezeichnet den türkischen Mythos vom neuen Erstarken des alttürkischen Volkes der Göktürken nach vernichtender Niederlage gegen das Chinesische Reich und andere nichttürkische Völker.

So sollen sich die Verbliebenen in ein fruchtbares Tal in den Bergen geflüchtet haben. Der Kämpfe müde, schmiedeten die Göktürken aus ihren Waffen ein eisernes Tor am Eingang des Tals. Geschützt vor allem Nichttürkischen gelangten sie zu neuer Kraft. Als dem Tal eine Überbevölkerung droht, beschließen sie gestärkt den Neuaufbau des türkischen Reiches. Sie schmieden aus dem eisernen Tor Waffen und verlassen das Tal, geführt von einem grauen Wolf.

Der graue Wolf wurde zum Wahrzeichen türkischer Nationalisten und zum Namen der rechtsnationalen Organisation „Graue Wölfe“.

„Ergenekon“ nennt sich auch die Geheimorganisation aus Kemalisten, Militärs und anderen Nationalisten, die mit allen Mitteln den Kemalismus zu verteidigen versuchen. Dabei arbeitet „Ergenekon“ mit Mitteln wie Unterwanderung, Zersetzung und Anschlägen. Die Wurzeln sollen nach verschiedenen Recherchen bis in die Strukturen des in den 50er Jahren gegründeten Gladio-Netzwerkes der Nato reichen.

Foto: Erdogan: Der Ministerpräsident sorgt sich um den Erhalt seiner Partei.


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