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12.07.08 / Hat bald jeder Anspruch auf einen Schulabschluß? / Merkel macht Bildung zur Chefsache – Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Befähigung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Hat bald jeder Anspruch auf einen Schulabschluß?
Merkel macht Bildung zur Chefsache – Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Befähigung
von George Turner

Es ist ein löblicher Vorsatz der Bundeskanzlerin, das Thema „Bildung“ zur Chefinnensache zu machen. Wenn die Bildungsrepublik ausgerufen wird, sollte man sich im klaren darüber sein, daß es sich um Fragen der Ausbildung handelt, nicht in erster Linie um Bildung im Sinne dessen, was ein sogenanntes Bildungsbürgertum an Allgemeinwissen aus Literatur, Kunst und Historie für zwingend notwendig hält. Wobei es nicht verkehrt wäre, wenn bei Schulabsolventen mehr davon vorhanden wäre. Es ist gelegentlich erschreckend, daß selbst Abitur-ienten Lücken in Bereichen aufweisen, von denen man meint, Kenntnisse darüber gehörten zum festen Bestandteil des Wissens eines durchschnittlich gebildeten Menschen. Zwar darf man nicht vergessen, daß über das, was zur Allgemeinbildung gehört, zu allen Zeiten gestritten wurde; es ist auch offensichtlich, daß die Jugendlichen von heute über ein Wissen auf technischem Gebiet verfügen, von dem die ältere Generation noch nicht einmal geträumt hat. Dennoch: Wenn es hier kein Defizit bei vielen nach der Schule gäbe, könnte zum Beispiel Dietrich Schwanitz mit seinem „Bildung: alles was man wissen muß“ nicht einen solchen Erfolg haben.

Bei der Initiative der Bundeskanzlerin geht es aber nicht darum. Hier geht es um das Einüben von Fertigkeiten und den Erwerb von Kenntnissen, die für eine berufliche Tätigkeit erforderlich sind. Und auch da sind erschreckende Lücken feststellbar. So wird immer wieder darüber geklagt, daß Absolventen der Hauptschule nicht ausbildungsfähig seien, weil ihnen elementare Kenntnisse im Rechnen, Schreiben und Lesen fehlten, abgesehen von sozialen Kompetenzen, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ordnungssinn.

Unabhängig davon, ob der Anteil der Studierenden an der gleichaltrigen Bevölkerungsgruppe gesteigert werden sollte, ob ein Studium auch ohne Abitur möglich ist, wie der Anteil der Arbeiterkinder oder derer mit Migrationshintergrund gehoben werden kann, wird die Existenz von 16 Bildungsrepubliken Schwierigkeiten bereiten. Hier mögen Bewertung, Transparenz, Wettbewerb und koordinierende Bemühungen der Kultusministerkonferenz zwar hilfreich sein. Zum Teil hat die erst kürzlich umgesetzte Föderalismusreform aber auch Kleinstaaterei zur Folge.

Und was macht man in der Praxis mit den Jugendlichen, die nicht fähig oder nicht willens sind, die Angebote anzunehmen? Ein Programm, wie es die SPD vorschlägt, wonach jeder einen Anspruch auf einen Hauptschulabschluß hat, ist irreführend. Damit wird der Eindruck erweckt, jeder müsse mit dem Zertifikat ausgestattet werden, gleichgültig wie schwach die erbrachten Leistungen waren. Es geht nicht um einen Anspruch, sondern um die Möglichkeit des Nachholens. Diese besteht bereits. Beglückt man jeden mit einem Abschlußzeugnis, auch wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen, entwertet man die Ergebnisse derer, die den Anforderungen genügen. Man sollte zur Kenntnis nehmen, daß die Befähigungen der Menschen unterschiedlich sind und daß dies nur bedingt kaschiert werden kann, wie etwa dadurch, daß jedem ein Minimalzertifikat ausgestellt wird.

Neben der Gruppe derjenigen, deren Befähigung nicht ausreicht, gibt es die Unwilligen, Unvernünftigen, die nicht ansprechbar sind, sich allen Versuchen, sie zu integrieren, entziehen. Es ist sicher erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, auch diese Gruppe einzubeziehen. Aber man macht sich etwas vor, wenn man meint, der Erfolg werde zu 100 Prozent eintreten. Auch wenn die Wortwahl unpassend erscheinen mag: Bildungsrepublikflüchtlinge solcher Art wird man nicht bei der Stange halten können.

Es entspricht zwar nicht der political correctness, aber fragen wird man doch noch dürfen: Kann es sein, daß auch ein Zusammenhang zwischen Befähigung und sozialer Schichtung besteht? Gewiß gibt es Beispiele dafür, daß auch aus problematischem Milieu hervorgegangene Jugendliche nicht nur begabt sind, sondern auch fähig, ihre Talente effektiv einzusetzen – und das nicht nur im Fußball. Wenn aber mit einem anklagenden Unterton festgestellt wird, daß der größte Anteil der Studierenden aus Akademikerfamilien kommt und der Prozentsatz aus Arbeiterfamilien unverhältnismäßig gering ist, wäre es doch folgerichtig, nach den Ursachen zu forschen. Daß Familien mit ihrem Umfeld stimulierend wirken, steht außer Frage. Daß Kinder aus Familien mit einem akademischen Hintergrund es deshalb „leichter“ haben, kann man nachvollziehen. Aber ist es wirklich so, daß die Befähigungen breit gestreut sind und nur geweckt werden müssen oder gibt es einen Zusammenhang zwischen sozialer Schichtung und persönlichen Voraussetzungen zu schulischem Erfolg?

In den Zusammenhang gehört auch die Frage, ob es denn erfolgreich und sinnvoll sein kann, die Quote der Studierenden zu steigern. Die Koalitionsvereinbarung nennt als Ziel mindestens 40 Prozent der in Betracht kommenden Altersgruppe, das heißt der 20- bis 25jährigen. Derzeitig sind zirka 35 Prozent eingeschrieben. Erreicht werden soll die Steigerung durch Anreize, Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten zur Hochschulreife und zum Studium zu führen. Dabei ist auch an Jugendliche mit Migrationshintergrund gedacht. So richtig es ist, allen Talentierten die Chance für eine weiterführende Ausbildung zu ermöglichen, so problematisch ist es aber auch, hier etwa eine Quotenregelung anzustreben, derart, daß der Anteil an Arbeiterkindern, der derzeit in der Tat gering ist, auf das Niveau des Nachwuchses von Akademikern gehoben werden sollte.

Die Bemühungen haben einen weiteren Haken. Dem akuten Mangel an Naturwissenschaftlern, besonders Ingenieuren, soll durch eine Werbung für das Studium begegnet werden. Dafür aber müssen die Weichen in der Schule gestellt werden. Verkürzung des Unterrichts in den naturwissenschaftlichen Fächern und eine verbreitete Technikfeindlichkeit haben sich als kontraproduktiv erwiesen.

So ist denn die neue Initiative gewiß gut gemeint; ob sie auch Gutes bewirkt, bleibt abzuwarten.


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