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12.07.08 / »Meine … Kläre ist nicht mehr« / Noch vor den preußischen Reformen verlor Scharnhorst seine geliebte Ehefrau

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

»Meine … Kläre ist nicht mehr«
Noch vor den preußischen Reformen verlor Scharnhorst seine geliebte Ehefrau
von Dirk Klose

Der preußische General Gerhard Johann David von Scharnhorst (1755–1813) hat an Popularität und Ansehen wie wenig andere preußische Militärs alle Wirrnisse der deutschen Geschichte überstanden. Im 19. Jahrhundert war er ein geschätzter Reformer des preußischen Militärwesens, das NS-Regime appellierte besonders in der Schlußphase unter Verweis auf Scharnhorst auf unbedingte Pflichterfüllung, die Nationale Volksarmee der DDR verlieh als höchste Auszeichnung den Scharnhorst-Orden und in der Bundesrepublik Deutschland erscheint seit einigen Jahren eine sorgfältige Edition aller Schriften und Briefe des Generals.

Als Scharnhorst im Juni 1813 einer Verletzung aus dem Gefecht gegen Napoleon bei Großgörschen erlag, wurde er in einem Nachruf als „freundlich, herzlich, zart und edel und einer der liebenswürdigsten Menschen“ gerühmt. Zeitgenossen haben neben diesen menschlichen Eigenschaften seinen geradezu unbändigen Lerneifer und Wissensdurst hervorgehoben. Er hatte sich aus allereinfachsten Verhältnissen empor gearbeitet. Aus einem kleinem Ort bei Hannover stammend, sein Vater war Bauer, fiel er früh durch sein Wissen auf, wurde Eleve der damals berühmten Kriegsschule Feste Wilhelmstein, wo er die Artillerie-Laufbahn einschlug, die einzige, die bürgerlichen Zöglingen offenstand; aber es war auch die zukunftsweisendste, wurden doch hier vor allem Mathematik, Ingenieurswesen, Taktik und Geographie gelehrt. 1793 nahm er an mehreren Feldzügen gegen das revolutionäre Frankreich teil, wobei er sich derart auszeichnete, daß er 1794 Generalquartiermeister der hannoverschen Armee wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war er schon zehn Jahre verheiratet, und alle Briefe, die er seinem „Klärchen“ (mitunter auch „Kläre“) aus dem Feld oder während zahlloser Inspektionsreisen schrieb, bezeugen einen ungewöhnlich herzlichen Ton, eine innige Zuneigung zu Frau und Kindern, die während der ganzen 20 Jahre dauernden Ehe anhielt. Clara Schmalz war die Tochter eines Kanzlisten in Hannover, ihr Bruder Theodor übrigens 1810 der erste Rektor der neugegründeten Universität Berlin. Kurz vor der Heirat hatte Scharnhorst ihr geschrieben:

„Donnerstag Abend acht Uhr – über dem Deister ist es rot und so wölkigt helle, als wollte es eine beständige gute Wittrung geben. Der Mensch hat in der Tat vieles mit der Pflanze ähnlich. Stehet die Pflanze vor der Blüte, bricht sie aus in ihrem größten Glanze, und dies, liebe Klärchen, ist die Liebe, ist die Reife unseres irdischen Daseins.“

Aber dann wurden die Zeiten rauher. Aus Flandern, wo hannoversche und britische Einheiten gegen französische Stellungen vorrückten, schreibt er im April 1793 voller Sehnsucht: „Liebe Kläre, wenn ich Dich mit unseren Kindern eine halbe Stunde nur sehen könnte, dafür gäbe ich alles, was ich nur, ohne daß es Euch abginge, geben könnte. Wie unendlich lieb ich Dich, meine liebe Frau, habe, weiß ich erst jetzt, wo mich Deine Traurigkeit immer vor Augen ist. Überlaß Dich nicht dem Harm und der Traurigkeit, tue dies aus Liebe für uns. Ich habe einen Brief an beide Kinder mit eingelegt; daß Wilhelm auch an mich schreibt und daß Julchen mich eine Blume zeichnet. Ich bin Dein Dich innigst liebender Mann S.“

Scharnhorst war ehrgeizig, er wollte an eine führende Position kommen, was nach Lage der Dinge aber einem Nicht-Adeligen kaum möglich war. Vor allem sah er mit Bitterkeit, wie die Kommandierenden in den deutschen Armeen, in denen durchweg das starre friderizianische Liniendenken alle Strategie bestimmte, mit der offenen Taktik der Franzosen überhaupt nicht zurechtkamen. Deprimiert äußerte er:

„O meine Kläre, es ist auf der Welt keine sichere, keine dauerhafte Glückseligkeit, es ist Katzbalgerei, und ich habe bei allem, o glaube mir, keine Absicht als die allein auf Eure, auf meiner lieben Kläre und meiner Kinder Glück­seligkeit abzielet.“

Aber dann hielt es ihn doch nicht; er bewarb sich um eine Anstellung in Preußen, die bewilligt wurde. Im Mai 1801 trat er als Oberstleutnant im 3. preußischen Artillerieregiment an. Aber dort blieb er nicht lange; sondern wurde Lehrer an einer neuen Akademie für junge Offiziere, auf der – im Gegensatz zu den traditionellen Kadettenanstalten – das neue Wissen über Natur und Technik vermittelt wurde. Das neue Milieu behagte ihm. Voll Freude schrieb er nach Hannover:

„Liebe Kläre, ich habe vorigen Mittewochen in einer Art Freimaurer-Gesellschaft gegessen. Nach dem Essen hielt der berühmte Oberkonsistorialrat Zöllner eine Vorlesung über die Naturlehre mitten im Garten … Ich habe die Partie ergriffen, mit jedem gut zu sein, ich werde mich durchaus zu keiner Partei schlagen, sondern immer neutral bleiben, man kömmt damit auf die Zukunft doch am weitesten. Adieu, meine liebe Kläre, ich bitte Euch, schreibt viel, aber klein, denn das Postgeld ist allzu hoch. Dein Dich zärtlich liebender S.“

Und bald darauf: „Wie freue ich mich auf Eure Hierkunft. Seid nur vorsichtig, damit Ihr auf der Reise kein Unglück habt. Adieu, meine innigstgeliebte Kläre und meine lieben Kinder, kommt nur bald in meine Arme. Euer S.“

Aber das gemeinsame Glück in Berlin ist dann nur von kurzer Dauer. Am 12. Februar 1803 schreibt er einen bewegenden Brief an einen Freund in Hannover: „Mein wertgeschätzter alter und langjähriger treuer Freund! Meine mir innigstgeliebte Kläre ist nicht mehr. Ein hier grassierendes Entzündungsfieber überfiel zuerst Wilhelm und darauf meine Frau. Ein Nervenfieber gesellte sich bald dazu und aller Sorgfalt und Mühe ungeachtet starb sie dennoch am 17ten Tage der Krankheit, sanft, ohne daß sie es ahnete. Wenn es auf innere Güte des Herzens ankam, aufs Gefühl für Leiden anderer, so übertraf sie ihre Nebenmenschen. Aber sie selbst war dabei nicht glücklich; von trauriger Gemütsart floh sie alle Freuden … Empfehlen Sie mich ihrer Frau Gemahlin, Herrn Sohn und Mamsell Tochter; haben Sie auch die Gütigkeit, Beckendorfs in meinem Namen alles das zu sagen, was ich Ihnen, mein liebster Freund, hier geschrieben habe. Adieu mein bester alter Freund.“

Scharnhorst hat nicht wieder geheiratet, vielleicht weil ihn die stürmischen Ereignisse der kommenden Jahre völlig in Anspruch nahmen. Als Adjutant des preußischen Oberbefehlshabers erlebt er die Katastrophe von Jena und Auerstedt mit. Danach schlägt endlich seine Stunde: Er wird Vorsitzender der neugebildeten „Militär-Reorganisierungskommission“, bald darauf Chef des Generalstabs. Zusammen mit Gneisenau, Clausewitz und Boysen leitet er die vielgerühmten Militärreformen in Preußen ein: Allgemeine Wehrpflicht, Abkehr von der starren friderizianischen Strategie zugunsten der Mobilität kleinerer Einheiten, Aufhebung der Prügelstrafe, Öffnung des Offizierscorps für alle Fähigen.

In den beginnenden Befreiungskriegen gegen Napoleon wird er Stabschef bei Marschall Blücher, also wieder nicht alleiniger Kommandierender. Ein Beinschuß im ersten Gefecht gegen französische Truppen bei Großgörschen scheint harmlos zu sein; doch Scharnhorst will von Bettruhe nichts wissen, reist in geheimer Mission nach Wien, so daß die Wunde bösartig wird und schließlich zum Tod am 28. Juni 1813 in Prag führt.

Carl von Clausewitz, dem Scharnhorst zeitlebens ein väterlicher Freund war, stand zu diesem Zeitpunkt noch in russischen, nicht in preußischen Diensten. Er habe, so sagte er seiner Frau, den „teuersten Freund seines Lebens“ verloren. In einem öffentlichen Nachruf schrieb er über den toten Freund:

„In der Tiefe des Herzens Gerechtigkeit, Redlichkeit und Unbestechlichkeit; in allen Äußerungen des Umgangs in und außer dem Geschäftsleben Nachsicht und Duldung, Ruhe und Freundlichkeit; im vertrauten herzlichen Zusammenleben die kindlichste Teilnahme und offenste Ergießung, die freundlichste Nachgiebigkeit, der fröhlichste Scherz – niemals wurde es ihm schwer, in den Ideenkreis der jungen Welt, die ihn umgab, mit Wärme einzugehen.“

Foto: Gerhard von Scharnhorst: Der Heeresreformer überlebte seine Ehefrau Clara um ein Jahrzehnt.


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