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12.07.08 / Der schönste Liebesbrief / Amor kam diesmal in menschlicher Gestalt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Der schönste Liebesbrief
Amor kam diesmal in menschlicher Gestalt
von Gabriele Lins

Was ist nur mit dir los? In letzter Zeit benimmst du dich wie eine Seufzerbrücke“, sagte Andreas zu Paul. Die beiden Freunde saßen vor ihrer Lieblingspizzeria und genossen ihren Feierabend. Als Antwort verdrehte Paul die Augen und schickte einer hastig vorübergehenden Studienkollegin sehnsüchtige Blicke nach. „Ich stelle fest: Du bist verliebt“, mutmaßte sein Freund, und damit hatte er ins Schwarze getroffen. Nach und nach bekam er heraus, daß sich Paul in Miriam verguckt hatte, die eben noch an ihnen vorbeigegangen war, bildhübsch, schlank und schwarzhaarig wie ehemals Schneewittchen. Daß ihre Nase ein kleines bißchen zu groß war, schien ihn nicht im geringsten zu stören.

„Das Blöde ist“, meinte Paul, „daß ich schüchtern bin.“ Das ungläubige Lachen des Freundes wischte er mit einer wütenden Geste beiseite. „Miriam braucht mich nur anzulächeln und schon werde ich puterrot und kriege kein vernünftiges Wort mehr heraus. Wie soll ich ihr nur verklickern, daß ich mit ihr ausgehen möchte. Stotternd vielleicht?“

„Dann schreibe es ihr doch einfach“, meinte Andreas, „aber so, daß sie rot wird, und zwar vor Freude.“ Diesen Rat befolgte der junge Mann.

Er schrieb ihr, nicht etwa durch eine Mail, sondern auf ganz altmodische Weise einen Brief, in dem er sie um ein Treffen bat. Er legte sein Herz vor sie hin. Worte in Hülle und Fülle lagen fertig aufgereiht in seinem Hirn, purzelten auf das Papier und mußten nur noch geordnet werden. Es wurden drei eng beschriebene Seiten, in denen er ehrlich zugab, daß er schüchtern sei.

Noch am selben Tag ging er zu ihrem Haus. Längst hatte er herausgekriegt, wo sie wohnte, gar nicht weit von seiner kleinen Studentenbude entfernt. Sein Herz klopfte viel zu schnell, als er das kostbare Schreiben in ihren Briefkasten warf. Sehnsüchtig sah er zu ihrem Fenster hinauf und hätte am liebsten eine Serenade für sie gesungen. Leider fehlte ihm dazu die Geige zur Begleitung und der Mut.

In den folgenden Tagen lebte er in einem Zustand der Angst, der Unsicherheit und des Zweifels, weil er Miriam nicht mehr traf. Wo war sie plötzlich? War sie krank geworden? Oder mied sie ihn, weil sie ihn lächerlich fand?

„Sie ist verreist“, klärte ihn Andreas auf, „meine Freundin hat mir erzählt, daß Miriam weggefahren ist, um heimlich zu heiraten.

Und weißt du, wer der glückliche Ehemann sein wird? Dr. Hoffmann. Der ist doch schon immer hinter ihr hergeschwänzelt.“

Paul ging in die nächste Pizzeria, um seine Enttäuschung in mehreren Litern roten Weines zu ertränken. Andreas half ihm freundschaftlich dabei.

Ein paar Tage später saß Miriam auf einer Treppenstufe der Uni und biß mit vergnügter Miene in ihr Brötchen, daß es krachte, und ihre Schneewittchenhaare flatterten mutwillig im Frühlingswind. Paul wollte schon an ihr vorübergehen, aber sie sprach ihn an. Wie sie zu ihm auflächelte! Sein Herz schien verrückt geworden zu sein, weil es so pochte. Miriam schluckte den letzten Bissen hinunter. „Hallo Paul, ich habe ihn erhalten, den schönsten Liebesbrief der Welt. Ich mußte aber leider erst zu meiner kranken Mutter fahren. Doch nun hätte ich Zeit. Du wolltest mich doch einladen. Oder?“ Erstaunt blickte sie ihn an. „Ist dir nicht gut? Du bist so blaß um die Nase.“

„Bist – bist – du denn nicht verheiratet?“, stotterte er, und sein Gesicht nahm die Farbe einer ausgereiften Tomate an.

Sie lachte. „Wie kommst du denn darauf? – Ach so, vorige Woche war ja der Erste. Da hat dich wohl jemand kräftig in den April geschickt.“

Paul schluckte. Na warte, Andreas! Diesmal war er ein bißchen zu weit gegangen! Aber schließlich hatte er die Idee mit dem Liebesbrief gehabt. Und heute – also heute konnte er ohnehin keinem Menschen böse sein.


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