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12.07.08 / Die Parkbank / Ab und an sollte man sich auf das Wesentliche besinnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-08 vom 12. Juli 2008

Die Parkbank
Ab und an sollte man sich auf das Wesentliche besinnen
von Renate Dopatka

Schweißtropfen stehen auf Carls Oberlippe. Die linke Hand ums Lenkrad gekrampft, zerrt er mit der Rechten an seiner Seidenkrawatte, versucht so, sich ein wenig Luft zu verschaffen. Im Rückspiegel sieht er sein gerötetes Gesicht und die stark angeschwollenen Stirnadern. Es ist ein beängstigender Anblick. Zusammen mit dem leichten Ziehen in seiner Brust läßt er Carl fast in Panik ausbrechen. Ein Herzinfarkt mitten im abendlichen Stoßverkehr? Lieber Himmel, nur das nicht! Wer weiß, wieviel Zeit draufgehen würde, bis der Notarztwagen sich einen Weg durch die völlig verstopfte Innenstadt gebahnt hat.

Er denkt an Gerda, die zu Hause sicher schon ungeduldig auf ihn wartet. Beide sind sie für heute abend von Geschäftsfreunden zum Essen eingeladen. Es sind wichtige Leute, die man nicht so einfach vor den Kopf stoßen darf. Auch wenn er sich in diesem Augenblick nur nach Stille und einem schlichten Butterbrot sehnt – seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen kann er sich nicht so ohne weiteres entziehen. Überall präsent zu sein, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen – das ist von jeher seine Devise gewesen und bis jetzt ist er auch glänzend damit gefahren.

Die Ampel springt um auf Grün. Ungeduldiges Hupen ertönt. Ehe Carl sich recht besinnen kann, klopft es hart ans Seitenfenster. Ein wütendes Gesicht starrt ihn an: „Machen Sie ein Nickerchen oder hat Ihre Nobelkutsche den Geist aufgegeben?“

Carl drückt hastig aufs Gaspedal, reiht sich wieder ein ins Menschen- und Blechgetümmel. Sein eleganter Nadelstreifenanzug ist mittlerweile völlig durchgeschwitzt. Diese verflixte Konferenz kurz vor Feierabend hat ihn Zeit und Kraft gekostet. Schon seit Monaten rebelliert sein Körper gegen diese schonungslose Lebensführung. Auch heute wird er ihm nicht die dringend erforderliche Ruhe gönnen.

Statt sich mit einem Buch aufs Sofa zu legen, wird er den Abend mit Menschen verbringen, die denselben Zwängen unterworfen sind wie er selbst. Sie werden zu Alkohol und Tabletten greifen müssen, um sich so gegenseitig Souveränität und Sicherheit vorspielen zu können.

Der Schmerz in seiner Brust verstärkt sich und mit ihm die Angst. Nur mit Mühe hält er die Spur. Das scharfe Gelb der tiefstehenden Sonne blendet ihn, läßt seine Augen tränen, so daß er plötzlich alles wie durch einen Schleier sieht. Einem jähen Impuls folgend, setzt er den Blinker. Statt weiter geradeaus zu fahren, in die untergehende Sonne hinein, schert er aus in eine ihm unbekannte stille Seitenstraße. An ihrem Ende schimmert es verlockend grün, und Carl hält auf dieses Grün zu, klammert sich daran wie an einen Rettungsanker.

Eine kleine Parkanlage mitten in der Stadt empfängt ihn. Hier ist vom Lärm der Hauptstraße nichts mehr zu hören. Die einzigen Geräusche sind das Knirschen von Kies unter seinen Schuhen, ein müder Vogelruf und das in der Abendstille seltsam wehmütig klingende Quaken der Teichenten.

Tiefe Schatten liegen über dem Park, der völlig verwaist scheint. Carl spürt, wie der Schmerz nachläßt. Wie Balsam dringt der Geruch feuchter Blätter in seine Lungen. Auf der Uferböschung, die zum Teich hinunterführt, steht eine einsame Bank, dort will er sich ausruhen.

Erst im Näherkommen entdeckt er den ziemlich ungepflegt wirkenden Mann, der in vorgebeugter Haltung auf der Bank hockt. Es widerstrebt Carl, sich neben diesen – vermutlich betrunkenen – Stadtstreicher zu setzen, aber dann tut er es doch.

Verschmitzte Äuglein mustern ihn forschend, warten, bis Carl den Blick erwidert: „Schönes Plätzchen hier, nicht wahr?“

Carl riecht die Schnapsfahne, sieht das knautschige Gesicht und den zahnlosen Mund, sieht aber auch das leise, zutrauliche Lächeln in den Augen des anderen.

„Ich wüßte im Moment keinen besseren“, bekennt er mit belegter, weicher Stimme. Der Stadtstreicher nickt bedächtig und schaut dann wieder nach vorn, auf die stille Wasserfläche.

Lange Zeit sitzen sie so da, während die Dämmerung weiter fortschreitet. Carl weiß, daß es höchste Zeit ist, nach Hause zu fahren. Doch eigentlich hält der Gedanke, zu spät zu kommen, keinen Schrecken mehr für ihn bereit.


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