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19.07.08 / ... und die ÖVP sagte gar nicht leise Servus / Der Zerfall der ungeliebten Großen Koalition in Österreich gibt der FPÖ wieder Aufwind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-08 vom 19. Juli 2008

... und die ÖVP sagte gar nicht leise Servus
Der Zerfall der ungeliebten Großen Koalition in Österreich gibt der FPÖ wieder Aufwind
von H.-J. Mahlitz

Wien, das ist Großes Theater. Staatsoper und Burgtheater genießen Weltruhm, wer hier auftritt, hat es geschafft. Daran versucht sich auch die Politik in der Donaumetropole zu orientieren –  vielleicht ist ja so die Vorliebe der Alpenrepublik für Große Koalitionen zu erklären. Deutlich mehr als die Hälfte der nunmehr 63jährigen Nachkriegszeit teilten sich SPÖ und ÖVP – beide verstehen sich als „Volkspartei“ – Ämter und Würden; nur 27 Jahre ging man zumindest formalrechtlich getrennte Wege.

Der vorerst Letzte, der auf der großen Bühne der Großen Koalition auftrat, wird allenfalls als Fußnote in die Annalen eingehen: der Sozialdemokrat Gusenbauer. Anfang 2007 mit knapper Mehrheit ins Kanzleramt am Ballhausplatz gelangt, von den eigenen Genossen systematisch demontiert, hinterläßt er keine Lücke; er war die Lücke. Einem breiteren Publikum fiel er erst wieder auf, als er nun seinen Abgang einleitete. Sein per Leserbrief publizierter Totalschwenk in der Europapolitik war für den bürgerlichen Partner ÖVP Anlaß genug, der Großen Koalition gar nicht leise Servus zu sagen. So dürfen die Österreicher am 28. September wieder einmal wählen – diesmal vielleicht eine nicht ganz so große Koalition ohne SPÖ. Denn so sympathisch der Gedanke auch scheint, in entscheidenden Fragen wie dem Lissabonner EU-Vertragswerk auch das Volk zu fragen – niemand versteht, warum Gusenbauer und Genossen erst jetzt auf diese glorreiche Idee kamen. Das klang alles sehr populistisch; damit kann man eher Stimmung machen denn Stimmen holen.

So bahnt sich nun ein ÖVP-geführtes Bündnis ohne sozialdemokratische Mitwirkung an. Möglicherweise aber wieder mit der FPÖ, die sich von der Spaltung vor drei Jahren einigermaßen erholt hat und auch ohne den Kärtner Landeshauptmann Jörg Haider auf Stimmengewinne hoffen darf.

Dabei dürfte den Freiheitlichen zugute kommen, daß sie die nun auch von den Sozialisten entdeckte Vorliebe für Volksbefragungen schon seit langem – also glaubwürdiger – auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Die ÖVP aber könnte im Herbst vor dem Dilemma stehen, ihren Wählern zu erklären, warum sie erst eine Koalition aufkündigt, weil der Partner neuerdings in Sachen EU ein Referendum fordert, um dann mit einer Partei zu koalieren, die ebendies schon immer propagierte.

Das Wahlergebnis – und damit die Zusammensetzung der künftigen Regierung – dürfte aber auch davon beeinflußt werden, daß viele Österreicher Kungelei und Postenschacherei Großer Koalitionen gründlich leid sind. Zumal sich diese Unarten nicht auf den engeren politischen Bereich beschränkten, sondern auch von Wirtschaft und Bankwesen Besitz ergriffen hatten.

Allerdings fiel der größte Skandal der österreichischen Nachkriegsgeschichte in die Zeit sozialdemokratischer Alleinherrschaft. Während SPÖ-Übervater Bruno Kreisky am Ballhausplatz residierte, geriet die nur wenige Gehminuten entfernte k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel in den Besitz eines hochgradig Kriminellen namens Udo Proksch. In den Hinterzimmern des altwehrwürdigen Hauses tagte der legendäre „Club 45“, eine Seilschaft hochrangiger Politiker – die Fortsetzung der Großen Koalition im Caféhaus-Séparée.

Proksch, gebürtig aus der Ostseehafenstadt Rostock, blieb auch an der Donau der Christlichen Seefahrt treu, freilich auf wenig christliche Weise. 1977 charterte er den Frachter Lucona, ließ ihn mit einer für 212 Millionen Schilling (über 15 Millionen Euro) versicherten angeblichen Uranerzaufbereitungsanlage beladen und in See stechen.

Auf rätselhafte Weise versank die Lucona da, wo der Indische Ozean am tiefsten ist, sechs von zwölf Besatzungsmitgliedern fanden den Tod. Die Versicherungen schöpften sofort den Verdacht, die Ladung sei nur Schrott gewesen und der Frachter durch eine Sprengladung versenkt worden, doch wurde Proksch jahrelang von seinen politischen Freunden gedeckt. Dank der Hartnäckigkeit des Journalisten Hans Pretterebner nahmen sich Justiz und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß nach „nur“ einem Jahrzehnt des Falles an. Ein Nationalratspräsident, ein Innenminister sowie weitere 16 Politiker, Richter und Spitzenbeamte verloren ihre Posten, 1992 wurde Proksch wegen Versicherungsbetruges und sechsfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Daß in Österreich keine weiteren Tatverdächtigen juristisch belangt wurden, ist nach Ansicht vieler Kritiker auch dem Umstand zu verdanken, daß seit 1987 wieder eine Große Koalition an der Macht war – eine Hand wäscht die andere, selbstverständlich in Unschuld.

Vielleicht ist ja die Erinnerung an den „Fall Lucona“ (so der Titel des immer noch lesenswerten Buchs von Prettenebner) bei den österreichischen Wählern noch stark genug, um das Land vor einer erneuten Großen Koalition zu bewahren.


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