25.04.2024

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19.07.08 / In vollen Zügen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-08 vom 19. Juli 2008

In vollen Zügen

Die S-Bahn war wie jeden Morgen überfüllt. Wieder hatte man vergessen, zusätzliche Wagen im morgendlichen Berufsverkehr an den Zug zu hängen. Die Menschen auf den Bahnsteigen sahen zu, daß sie einen Eingang erwischten, durch den sie sich noch hineindrängeln konnten. Wie die Ölsardinen ...

Mürrisch standen sie da, versuchten, sich nicht anzusehen. Manche blickten gelangweilt auf die großen Werbeplakate, die den Wagen zierten: „Bei uns machen Sie Karriere.“ Ach ja, Karriere, wird der eine denken, da muß ich mich dann nicht in eine übervolle Bahn zwängen, dann fahre ich mit dem Auto. Obwohl, bei diesen Spritpreisen? – Ach was, Karriere wird ein anderer denken, Hauptsache, ich kann meinen Job behalten. Die Gerüchte im Betrieb nehmen kein Ende, von feindlicher Übernahme haben sie gesprochen, zum Teufel mit der Karriere.

Da, plötzlich, drang ein zartes Stimmchen durch das morgendliche Gewusel: „Mama, wann müssen wir aussteigen?“ Die Stimme des Mädchen klang ganz geduldig und nicht weinerlich, wie man es zu dieser frühen Stunde vermutet hätte. „Das dauert noch, Marie“, wies die Mutter sie kurz zurecht und wandte sich wieder ihrer Zeitung zu. Sie sah genervt aus. Das Mädchen jedoch strahlte und war offensichtlich begeistert. „Oh schön, dann kann ich ja noch aus dem Fenster schauen.“ Dort war allerdings im Augenblick nichts zu sehen, denn die Bahn fuhr durch einen Tunnel. Nichts zu sehen? Nun ja, Erwachsene sahen nichts, Kinderaugen aber waren vermutlich anders eingestellt. Gebannt schaute die Kleine auf die vorbeiflitzende Wand des Tunnels. Ab und zu lächelte sie, dann murmelte sie leise vor sich hin, so als hätte sie etwas ganz Besonderes entdeckt. Als die Bahn den Tunnel verließ, blickte sie strahlend in die Runde. Na, habt ihr’s auch gesehen, schien sie zu fragen. Den Erwachsenen war die geheimnisvolle Welt im Tunnel verschlossen geblieben. Das strahlende Lächeln des Kindes aber schien sie aus ihrer Lethargie zu reißen, und viele lächelten zurück an diesem Morgen.     SiS


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