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26.07.08 / Wo die Schattenwirtschaft blüht / Osteuropa hat massive Probleme mit Steuerhinterziehung, Bilanzfälschungen und Schwarzarbeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Wo die Schattenwirtschaft blüht
Osteuropa hat massive Probleme mit Steuerhinterziehung, Bilanzfälschungen und Schwarzarbeit
von Wolf Oschlies

Rußland verdient Milliarden mit Öl- und Gasverkäufen ans Ausland und wähnt sich auf der ökonomischen Erfolgsspur. Das empfand Ex-Präsident Putin stets als „vorschnell“, als Verschleierung des realen „nationalen ökonomischen Notstands“. Das neue Wachstum sei konjunkturell, während es generell kaum eine „Erneuerung der Wirtschaftsmechanismen“ gegeben habe. Darum verliert Rußland jährlich auch (umgerechnet) 30 bis 50 Milliarden Dollar, vor allem durch entgangene Steuern. Russische Unternehmer klagen seit Jahren über Steuerchaos und Steuerlast im heimischen System. Natürlich hat der russische Staat, wie jeder Staat, „das moralische Recht, die Zahlung von Steuern zu verlangen“ (Putin), aber wenn dieses „Recht“ in Willkür und Ausbeutung ausartet, dann nimmt die Wirtschaft zu Bilanzverschleierung und Steuerverweigerung Zuflucht. 

Diesen Mechanismus hat der US-Ökonom Arthur B. Laffer 1974 erstmals auf der Serviette eines Washingtoner Restaurants skizziert. Das war die Vorstudie zur später berühmten „Laffer-Kurve“, die Zusammenhänge zwischen Steuerpolitik und Steuermoral aufdeckte: Wenn „die da oben“ zu habgierig werden, werden „die da unten“ störrisch und immer größere Wirtschaftssegmente vollziehen sich außerhalb des Rahmens der Gesetze. Dieses Phänomen heißt in Westeuropa „Schattenwirtschaft“, im Osten „graue Wirtschaft“, und es bezeichnet überall dieselben Mißstände: Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Bilanzfälschungen, Schmuggel, Korruption, Unterschlagungen, Betrug am Bau etc. Die „graue“ Ökonomie blüht überall dort, wo Armut herrscht, Verwaltungs- und Steuerbehörden ineffizient arbeiten, die Marktwirtschaft unter politischen Eingriffen leidet, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsmigration hoch sind und Mißstände unzureichend kontrolliert werden.   

Prinzipiell unterscheiden sich West und Ost hierbei nicht, aber graduell. Laut OSZE wurden 2006 im Durchschnitt 14,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ihrer Mitglieder in der Schattenwirtschaft erbracht. Deutschland (14,7 Prozent) lag im guten Mittelfeld, Griechenland (26,2 Prozent) und Italien (23,2 Prozent) deutlich darüber, Malta (5,8 Prozent) beispielhaft darunter. Offiziell sieht es im Osten ähnlich aus: Alle neuen EU-Mitglieder und -Beitrittskandidaten hatten 2005 einen Durchschnitt von 14 Prozent, mit Unterschieden im Detail: Slowenien (fünf Prozent) und Tschechien (zwölf Prozent) besser, Litauen (21 Prozent), Rumänien (18 Prozent) und Ungarn (16 Prozent) schlechter. Kroatien offeriert „Schätzungen“ um 16 Prozent, Serbien 17 etc., aber diese Werte glauben nicht einmal die eigenen Ökonomen. Die rechnen auf dem Westbalkan mit „40 plus / minus zehn Prozent“, was der Lage näher kommen dürfte. Das weiß auch die EU, die seit 2003 die Schattenwirtschaft dem BIP zurechnet, wodurch manche Länder statistisch „reicher“ wurden, ohne daß ihre Bürger mehr Geld besaßen. Dieser Ansatz verbessert auch den Marktwert von Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wo die Schattenwirtschaft wie in Georgien (66,1 Prozent), Aserbaidschan (60,1 Prozent) oder der Ukraine (51,2 Prozent) Rekordwerte erreicht.  

So allgegenwärtig die Schattenwirtschaft ist, so schwer „faßbar“ ist sie auch, wofür das postkommunistische Rußland (Schattenwirtschaft 45,1 Prozent) ein Lehrbuchbeispiel bietet. In kommunistischen Zeiten existierten die staatssozialistische Planwirtschaft und der mafiöse Untergrundkapitalismus, der nach dem Sturz des Kommunismus die Wirtschaftsmacht übernahm. Diese Form von halbkrimineller Marktwirtschaft zeichnete sich zwar durch organisatorische Effizienz aus, sorgte in kürzester Zeit aber für enorme Einkommensdisparitäten, so daß wenige „neue Russen“ über Riesenvermögen verfügen, während die breite Masse in kaum gemilderter Armut lebt. Chaos in Staatsverwaltung und Steuersystem begünstigten die ausufernde Schattenwirtschaft: Wer in Rußland alle Steuergesetze erfüllen wolle, bekannte der damalige Präsident Boris Jelzin, käme auf 111 Prozent seines Einkommens. Das wollte niemand, und so ging die russische Steuermoral gegen Null.

Anfang 2000 wurde Putin neuer Präsident und reformierte als erste Amtshandlung das Steuersystem. Doch: Das nützte nicht viel. Unklare Kompetenzen, verworrene Vorschriften und das Fehlen elektronischer Datenverarbeitung begrenzten die Wirksamkeit der Steuereintreiber. Zudem ließ die zunehmende Demonetarisierung der Steuerschuld durch „Bartergeschäfte“, das heißt Schuldenverrechnung durch den Tausch von Gütern gegen Güter, bald jeden Überblick verlieren. Für „Oligarchen“ und andere Wirtschaftsbosse sind Steuerschulden grundsätzlich „verhandelbar“, woraus dem Staat die erwähnten Milliardenverluste erwachsen. Zudem brachte Putins Streben nach Steuerzentralisierung die Schattenwirtschaft auf ein neues Höchstniveau, denn nun betrieben regionale „Fürsten“, die Oberhäupter der „Föderationssubjekte“, offene Steuerhinterziehung zum Schaden der Zentrale.

In Südosteuropa zeichnet sich inzwischen eine Besserung ab. Wirtschaftsexperten in Belgrad, Zagreb und anderswo fanden an der Schattenwirtschaft auch positive Seiten: Sie ist ökonomische Wertschöpfung, vermindert Arbeitslosigkeit, steigert Kaufkraft und Lebensstandard, unterläuft die rigide Administration und folgt Gesetzen der Marktwirtschaft. Zudem sind manche Wirtschaftsbereiche kaum zu besteuern – Glückspiel, Prostitution, Bauernmärkte, Kioskhandel –, andere sind durch einfache Änderungen von Gesetzen und Steuersätzen aus der Illegalität zu befreien. Wie die kroatische Expertin Snjezana Habulin betont, liegt das „Paradoxon“ der Schattenwirtschaft darin, daß sie überall dort „blüht“, wo die Wirtschaft generell „zurückgeblieben“ ist und durch staatliche Regulierungswut beeinträchtigt wird.

Foto: Schwarzarbeit: Was der Zoll in Deutschland bekämpft, wird in Osteuropa toleriert.


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