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26.07.08 / Europäer am Dnjepr / Warum deutsche Landwirte Felder in der Ukraine bestellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Europäer am Dnjepr
Warum deutsche Landwirte Felder in der Ukraine bestellen
von Klaus J. Groth

Eine gebrauchte Dieselpumpe stinkt nun mal nach Diesel, wenn man sie auch noch so gründlich reinigt. Für eine Dieselpumpe ist dieser Umstand nicht unbedingt nachteilig, es sei denn, sie soll im Fluggepäck befördert werden. Nach Diesel stinkendes Fluggepäck ist verdächtig. Da verweigert selbst die Fluggesellschaft „Ukraine International“ den Transport. Notgedrungen mußte Landwirt Heiner Nissen* ohne die Pumpe fliegen. Dabei wurde sie dringend benötigt, dort auf den Ländereien in der Ukraine, die Nissen seit einem Jahr mit einer Gruppe von zehn anderen Landwirten gepachtet hat und bewirtschaftet.

Europa ist in dem Land am Dnjepr bereits angekommen, noch bevor sich die Ukraine entschlossen auf den Weg nach Europa macht. Die Fruchtbarkeit der ukrainischen Erde ist sprichwörtlich, und dennoch lag dieses Land in weiten Teilen brach. Der wertvolle Ackerboden versteppte und verbuschte. Diese Entwicklung setzte ein mit dem Ende der Sowjetunion. Damals wurden die Kolchosen in der Ukraine aufgelöst und das Land unter jenen verteilt, die in den landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet hatten. Das waren viele und darum wurden die großen Ländereien zerstückelt. Zwei bis drei Hektar nannte nun jeder sein eigen. Für eine ordentliche Landwirtschaft ist das zu wenig und für die sogenannte Hauswirtschaft, mit der die ländliche Bevölkerung in der Ukraine traditionell ihren Eigenbedarf deckt, war das zuviel Arbeit. Folglich verkam der nicht genutzte Boden. Bis Europa kam.

Genauer gesagt, es kamen Landwirte aus alle Ecken Europas. Spanier kamen, Holländer, Engländer, Serben, Litauer – und 60 deutsche Bauern. Als kürzlich eine Landwirtschaftsaustellung in Kiew stattfand, da reiste der für die deutsche Landwirtschaft zuständige Minister Horst Seehofer an, 60 Landwirte sind schließlich eine nicht zu vernachlässigende Größe. Heiner Nissen war auch dabei. Schließlich gab es mit dem Minister ein paar Probleme zu besprechen.

Nicht, daß Nissen zu klagen hätte. Im Gegenteil, die Ernte dieses Jahres – Weizen und Raps – verspricht prächtig zu werden. Bei dem zu erwartenden Ertrag wird es sogar zu verschmerzen sein, daß der Weizen nicht zum Weltmarktpreis verkauft werden kann. In der Ukraine wird der Preis für den Weizen vom Staat festgelegt. Und der liegt verläßlich unter dem Weltmarktpreis – denn würde das Brot teurer, wäre das das Ende einer jeden Regierung.

Nein, die Probleme sind anderer Natur. Etwa von der Art, wie eine Dieselpumpe zu transportieren ist. Oder wie man an andere Ersatzteile kommt. Die Grundausstattung des Betriebes hat Nissen sowieso selbst in die Ukraine gebracht. Fünf Tage lang zockelte er auf dem Trecker im Konvoi mit vier weiteren Treckern aus dem Norden Deutschlands bis in den Süden der Ukraine. Fünf Tage selten mehr als Tempo 30 – Stettin, Pila, Lodz, Lemberg, Vinnytia. Auf den Hängern lag, was der Bauer so für die Grundausstattung eines Betriebes braucht. Und das war eigentlich alles. Denn was Nissen vorgefunden hatte, als er die Pachtverträge abschloß, das erforderte schon mehr als unerschütterliches Vertrauen in die Zukunft. Die Scheunen und Lagerhallen waren verfallen, landwirtschaftliches Großgerät nicht vorhanden oder absolut unbrauchbar, elektrische Leitungen lebensgefährlich marode, die Brunnen vergammelt.

Aber die Qualität der Bodenproben, die Nissen untersuchen ließ, die versprachen Entschädigung für alle Mißlichkeiten. Darum tat sich Nissen mit anderen Landwirten zusammen. Gemeinsam pachteten sie die Ländereien von vier Dörfern. In mehr als 1400 Einzelverträgen, denn jeder Partner hatte schließlich nicht mehr als zwei bis drei Hektar einzubringen. Trotzdem läpperte sich das zusammen und am Ende kam ein Betrieb von respektheischendem Ausmaß zusammen: 3500 Hektar. Was das bedeutet, läßt sich nur im Vergleich ermessen: Ein ordentlicher Betrieb in Schleswig-Holstein wirtschaftet auf 250 Hektar, in Mecklenburg-Vorpommern kommt man auf eine Durchschnittsgröße von 500 Hektar. In der Ukraine mißt ein einzelnes Feld drei Kilometer in Länge und Breite.

Beinahe wäre Nissen zu spät gekommen. Denn als die Ukraine nach Investoren rief, um die marode Landwirtschaft wieder auf die Beine zu bringen, da war das Echo groß. Und das erste Dorf, mit dem der Landwirt aus Deutschland später seine Verträge abschloß, hatte sich bereits einem Landwirt aus Serbien versprochen. Doch als der Deutsche anklopfte, entschied sich die Bürgermeisterin des Dorfes um. In einer Blitzaktion holte sie die Frauen und Grundeigentümerinnen des Dorfes aus dem Garten, vom Feld, von den gemeinschaftlich gehüteten Kuhherden. 120 Frauen mit Kopftuch, Schürze und Gummipantinen und auch ein paar Männer saßen wenig später im Gemeindesaal. Die Bürgermeisterin sagte, für das Dorf sei es besser, wenn die Deutschen pachteten, auch wenn man niemals vergessen dürfe, was Deutsche dem Land und seinen Menschen im Krieg angetan hätten, aber dies nun sei eine andere Generation, und was man von den einstigen sozialistischen Brüdern zu halten habe, nun ja, das wisse man ja auch. Offenbar überzeugte dies Argument. Wenig später wurden die ersten Pachtverträge mit Hilfe von ukrainischen Maklern abgeschlossen. Zu Bedingungen, die die deutschen Pächter erst begreifen lernen mußten, dann akzeptieren: Überwiegend wird der Pachtzins nicht ausgezahlt, sondern in Naturalien abgegolten. Die Verpächter brauchen Futter für ihre Kuh oder ihre zwei Schweine. Vieh ist mehr wert als Geld. Was man hat, das hat man. 

Die deutschen Landwirte mußten und müssen viel lernen. Auch wie man eine dringend benötigte Dieselpumpe möglichst schnell in die Ukraine verfrachtet. Solche Teile bringt Nissen jetzt zum ZOB nach Hamburg. Von dort geht jeden Tag ein Bus in die Ukraine. Und deren Fahrer, die kennen Nissen schon.

* Name geändert

Foto: Mit Kopftuch und Pantinen: Bäuerin treibt ein Rind durchs Dorf.

 

Zeitzeugen

Viktor Juschtschenko – Der 1954 geborene Juschtschenko stieg 1997 zum Vorsitzenden der ukrainischen Nationalbank auf. Als Kandidat der Oppositionspartei „Unsere Ukraine“ besiegte er Ende 2004 den Postkommunisten Viktor Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen. Wenige Wochen vor der Wahl war er mit Dioxin vergiftet worden, die folgende Erkrankung entstellte sein Gesicht. Juschtschenko wurde daraufhin erst recht zur Symbolfigur der „Orangen Revolution“ vom Winter 2004/2005.

 

Julia Timoschenko – Die Frau mit dem Zopfkranz wurde 1960 in einfachen Verhältnissen geboren. Nach dem Ende der Sowjet-Ära machte sie im Ölhandel Karriere. Während der „Orangen Revolution“ stand Timoschenko an der Seite Juschtschenkos, wurde Premierministerin. Nach einem Streit entließ er sie jedoch. Bei den Parlamentswahlen 2007 erreichte ihre Partei 31 Prozent, seit vergangenen Dezember ist Timoschenko erneut Premier der Ukraine.

 

Nikita Chruschtschow – Der starke Mann der Sowjetunion nach dem Tode Stalins schenkte der Ukraine 1954 die vormals russische Krim im Tausch gegen das vergleichsweise unbedeutende Bjelgorod. Damit schuf Chruschtschow (1894–1971), ohne es ahnen zu können, einen Zankapfel, der seit dem Ende der UdSSR die Beziehungen zwischen Moskau und Kiew belastet.

 

Wladimir Klitschko – Der 1976 geborene Boxer ist derzeit die Nummer eins der Welt in seinem Sport. Mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Vitali begann er seine Profikarriere in Hamburg, genießt daher auch in Deutschland große Popularität. Anläufe seines Bruders zu einer politischen Karriere (Kandidatur zum Kiewer Bürgermeisteramt und zum ukrainischen Parlament) schlugen indes fehl.

 

Nikolai Gogol – Der Schriftsteller wurde mit seinen volkstümlichen ukrainischen Erzählungen bekannt. Im fortgeschritteneren Alter wurde Gogol (1809–1852) seelisch krank, litt an einer Form der Schizophrenie. In dieser Lebensphase entstanden seine düsteren Werke wie „Die toten Seelen“, mit denen Gogol in die Spitze der Weltliteratur vorstieß.


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