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26.07.08 / Belgien bricht weiter auseinander / Seit einem Jahr versucht Premier Yves Leterme vergeblich Wallonen und Flamen zu einen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Belgien bricht weiter auseinander
Seit einem Jahr versucht Premier Yves Leterme vergeblich Wallonen und Flamen zu einen
von Hans Heckel

In Belgien breitet sich lähmende Ratlosigkeit aus. Zum dritten Mal binnen eines Jahres gestand Premierminister Yves Leterme das Scheitern seiner Bemühungen um eine Regierungsbildung ein. Den angebotenen Rücktritt lehnte König Albert II. indes ab und schickte den Flamen mit der wallonischen Mutter abermals aus, um es noch einmal zu versuchen.

In seiner Rede zum Nationalfeiertag vergangenen Montag appellierte der Monarch an sein in Flamen und Wallonen zerrissenes Volk: „Wie Sie wissen, hat unser Land mit ernsten politischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Doch Schwierigkeiten und Krisen bieten auch die Gelegenheit, sich wieder zu fangen und einen neuen Anlauf zu nehmen. Die Spaltung der Mentalitäten ist kein Schicksal.“

Der König weiß: Es geht nicht allein um die „Mentalitäten“ von Flamen und Wallonen, die den belgischen Staat immer tiefer spalten, es geht auch um Geld. Der reichere flämische Nordteil will weniger an Transfers an die ärmere Region Wallonien im Süden leisten. Eine Staatsreform soll insbesondere die Finanzbeziehungen der beiden Hälften neu ordnen. Leterme bemühte sich seit den letzten Parlamentswahlen im Juni 2007 vergeblich um jene Reform. Er hatte sich und seinen Verhandlungspartnern zuletzt eine Frist zum 15. Juli gesetzt. Sie verstrich ohne Erfolg.

Nun hat der König drei Vermittler eingesetzt, die bis zum 31. Juli einen Bericht vorlegen sollen über den Stand der Verhandlungen zur Staatsreform. Die schwere Aufgabe übertrug er bewußt den beiden wallonischen Politikern Raymond Langendries (Zentrum) und Francois-Xavier de Donnèa (Liberale). Als dritter im Bunde fungiert der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Ost-Belgien, der Sozialist Karl-Heinz Lambertz. (Lambertz sitzt im Vorstand der wallonischen Sozialisten, da das Gebiet der deutschsprachigen Belgier mit Eupen als Hauptstadt politisch zum französischsprachigen Wallonien gehört.)

Alberts Logik: Nachdem der Flame Leterme im Regen stehen blieb, sollen nun zunächst Repräsentanten der französisch- und der deutschsprachigen Gemeinschaften versuchen, einen Ausweg aufzuzeigen.

Was die drei zum Monatsende tatsächlich zu Wege bringen werden, kann sich in dem Zehneinhalb-Millionen-Einwohnerland kaum jemand so recht vorstellen. Vertreter von Flamen und Wallonen hatten sich zuletzt immer heilloser ineinander verkeilt. Knack-punkte sind neben der Finanzpolitik auch regionale Streitigkeiten im Umland von Brüssel, das einen Sonderstatus zwischen den beiden großen Regionen genießt. Dabei geht es um die Frage, ob der große Wahlbezirk Halle-Vilvoorde vor den Toren der Hauptstadt mit dem flämischen oder wallonischen Landesteil wählt.

In Belgien gibt es flämische oder wallonische Parteien, die ausschließlich in ihren jeweiligen Landesteilen antreten. Halle-Vilvoorde gehört zur Provinz Flämisch Brabant. Daher soll es nach dem Willen der Flamen dort nur flämische Parteien geben. Die Mehrheit der Einwohner besteht jedoch aus Wallonen, weshalb man dort bislang die wallonischen Parteien wählen konnte. Dieses Privileg will die wallonische Bevölkerungsmehrheit in dem Gebiet auf keinen Fall aufgeben. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.

Vom europäischen Ausland aus betrachtet scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis das kleine Land in mindestens zwei noch kleinere Hälften zerfällt. Belgien ist mit rund 30000 Quadratkilometern so groß wie Brandenburg und Berlin zusammen und hat mit 10,5 Millionen so viele Einwohner wie Baden-Württemberg. Die Flamen bilden mit rund 60 Prozent die Mehrheit vor den Wallonen mit etwa 40 Prozent. Zu ihnen gesellt sich die kleine deutschsprachige Gemeinschaft mit gut 70000 Angehörigen.

An eine immer wieder beschworene Spaltung des Landes wollen Beobachter indes noch nicht glauben, auch wenn manche Umfragen den Eindruck erwecken, daß das Ende Belgiens näherrücken könnte. In einer Leserumfrage der flämischen Zeitung „De Standaard“ kurz nach dem jüngsten Rück-trittsgesuch von Premier Yves Leterme antwortete fast die Hälfte der Teilnehmer auf die Frage, was nun werden solle: „Den Staat teilen.“ Doch solche Augenblicksaufnahmen scheinen nur bedingt aussagekräftig.

Aber was soll nun werden? Neuwahlen? In diesem Falle fürchten die etablierten Parteien ein Erstarken radikal-regionalistischer Kräfte, vor allem des flämischen „Vlaams Belang“, weshalb sie einen Urnengang zum jetzigen Zeitpunkt unbedingt vermeiden wollen.

Pessimisten fürchten, daß die Lähmung der belgischen Politik mindestens noch bis zum Sommer 2009 anhalten könnte. Dann sind Regionalwahlen.

Bis dahin, so die düstere Erwartung, dürfte keine der Parteien zu größeren Zugeständnissen bereit sein, um ihre eigene Klientel nicht zu verärgern. Dann wäre Belgien insgesamt zwei Jahre ohne voll handlungsfähige Regierung.

Foto: Schreiten von Mißerfolg zu Mißerfolg: Yves Leterme (l.) und Belgiens König Albert II.


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