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26.07.08 / Dolmetscher der spröden Natur / Vor 100 Jahren schied der Maler Walter Leistikow aus dem Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-08 vom 26. Juli 2008

Dolmetscher der spröden Natur
Vor 100 Jahren schied der Maler Walter Leistikow aus dem Leben
von Silke Osman

Als Walter Leistikow vor 100 Jahren, am 24. Juli 1908 nach langer, qualvoller Krankheit seinem Leben ein Ende setzt, hinterläßt er einen großen, ihn verehrenden Freundeskreis, darunter die Dichter Max Halbe und Gerhart Hauptmann, den Maler Lovis Corinth. Der Ostpreuße, der erst wenige Tage zuvor seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte, schrieb über das Werk des Freundes: „Ihm gingen plötzlich die Augen auf über die herbe Schönheit der märkischen Wälder und Seen. Der melancholische Reiz, der in den Kieferwaldungen liegt, wie sich die dunklen Wipfel knorrig gegen die wehenden Wolken absetzen und zu Füßen sich in schwarzen Dümpeln spiegeln, hat Leistikow verstanden wiederzugeben wie kein anderer. Er ist für die Welt zum Dolmetsch dieser spröden Natur geworden. Nicht als ob er überhaupt zuerst diese Motive gefunden hätte, aber seine Bilder zwangen zuerst vor allen andern Künstler und Laien zur Bewunderung. Man nannte ihn den Maler der Mark Brandenburg.“

Max Liebermann hielt dem Freund und geschätzten Kollegen bei der Trauerfeier am 29. Juli im Sezessionsgebäude, in dem Leistikow zehn Jahre lang organisatorisch gewirkt hatte, die Abschiedsrede: „Die Werke, die eben erst unter seinem Pinsel hervorgegangen waren, zeugten von so viel Frische der Auffassung, von so gesunder Lebensfreude, waren mit solch kühner und temperamentvoller Faust herunter gemalt, daß man vergaß, einem todkranken Manne gegenüberzustehen … Als hätte die Natur gewußt, daß Leistikow in jungen Jahren sterben müsse, hat sie all ihre Gaben frühzeitig in ihm zur Reife gebracht, und nur so können wir die Fülle seiner Produktion, die selbst für ein langes Leben noch reich erscheint, verstehn. Noch auf der Hochschule zeigen seine Arbeiten die ausgeschriebene Handschrift des Meisters, und ohne Wanken und ohne Schwanken, instinktiv geht er den richtigen Weg, der ihn zur Originalität führen sollte. Er sucht nicht weitab oder in fremden Ländern seine Motive, sondern er malt, was er sieht: Fast vor den Toren Berlins findet er die Sujets für die Werke, welche seinen Namen in der Geschichte der deutschen Landschaftsmalerei unsterblich machen werden ... 

Es ist Leistikows unvergänglicher Verdienst, den Stil gefunden zu haben für die Darstellung der melancholischen Reize der Umgebung Berlins … Ein Künstler, dem gelungen, daß wir die Natur mit seinen Augen sehn, hat sich ausgelebt. Er hat sein Ideal erreicht: uns zu überzeugen.“

Walter Leistikow wird auf dem städtischen Friedhof an der Bergstraße in Steglitz beigesetzt. Seine Bilder, die einst so viel Aufsehen erregten, gehören heute zu den großen anerkannten Kunstwerken in vielen Museen.

„Bilde Künstler, rede nicht, pflegen sie (die Kunstkritiker, d. Verf.) den schreibenden Malern und Bildhauern warnend zuzurufen, indem sie dabei wunder glauben, wie gebildet und sarkastisch sie selbst sind ...“, monierte Lovis Corinth in seinem Buch über das Leben des Freundes Walter Leistikow. Und Corinth hat sich tatsächlich, ähnlich wie Leistikow, kaum an diese Mahnung gehalten. Er schrieb fürs Feuilleton verschiedener Zeitungen, veröffentlichte ein Lehrwerk „Über das Erlernen der Malerei“ und schilderte sehr anschaulich sein eigenes Leben.

Mit dem Buch „Das Leben Walter Leistikows – Ein Stück Berliner Kulturgeschichte“ (1910 / 2000) legte der Maler Corinth schließlich ein äußerst farbiges Erinnerungsbuch für den viel zu früh verstorbenen Freund vor. Dieses Dokument einer Künstlerfreundschaft gewinnt nicht zuletzt durch die Nähe des Verfassers zu seinem „Hauptdarsteller“. Eine unerschöpfliche Quelle für alle, die sich für die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begeistern können.

Walter Leistikow wurde am 24. Oktober 1865 in Bromberg geboren. Ersten Zeichenunterricht erhielt er bereits in seiner Vaterstadt. Mit 17 Jahren zog er nach Berlin, als Aspirant an die Hochschule für die bildenden Künste. Nach einem halben Jahr wurde er jedoch als talentlos (!) zurückgewiesen.

Leistikow ließ sich allerdings nicht entmutigen, war es doch sein größter Wunsch, Maler zu werden. Schon als Kind soll er zu seiner Mutter gesagt haben: „Nur einen Tag Maler sein und dann sterben“ (Zitat nach Corinth).

Er nahm Privatunterricht bei Hermann Eschke und bei Hans Gude. 1886 beteiligte er sich erstmals am Berliner Salon. 1887 dann begegnete er Lovis Corinth in Berlin. Doch erst 1890 lernten die beiden Künstler sich bei einem Aufenthalt Leistikows in Königsberg besser kennen. Corinth: „Unsere Bekanntschaft wurde dann zu einer Freundschaft, die nur mit seinem Tode aufgehört hat, gegenseitig zu wirken.“

Eine zentrale Rolle spielte der Bromberger bei der Gründung der Berliner Sezession, wenn auch Corinths Darstellung, die Ablehnung eines Bildes von Leistikow durch die Jury der Großen Berliner Kunstausstellung sei der Grund für dieses Engagement gewesen, heute nicht mehr unkritisch hingenommen werden kann.

So existieren Belege dafür, daß nicht Leistikow, sondern heute nahezu unbekannte Künstler die Initiative zur Gründung der Sezession ergriffen haben, wie Reimar F. Lacher in seinem Nachwort zu der Leistikow-Biographie schreibt.

„Die Berliner Kunstgeschichte“, so Lacher, „kann ohne Walter Leistikow nicht geschrieben werden. In der über die Region hinausreichenden Sicht paßt sich sein Werk in die Landschaftskunst seiner Zeit ein, die im Spannungsfeld zwischen Naturalismus, Impressionismus und Jugendstil eine Hochblüte trieb.“

Seine Bilder „imaginieren Landschaft als Ausdruck von Sehnsucht und bieten dabei doch die Vision von Harmonie, die Aufhebung der Sehnsucht. Sie verbildlichen Schwermut und gleichzeitig Trost. Vielleicht ist es dieses Unbegreifliche, was Leistikows künstlerischen Rang am besten belegt.“

Foto: Walter Leistikow: Grunewaldsee oder Schlachtensee (Öl, ohne Jahrgang)


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