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02.08.08 / Autoritär, nicht demokratisch / ARD-Korrespondent Thomas Roth über die vielen Gesichter Rußlands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Autoritär, nicht demokratisch
ARD-Korrespondent Thomas Roth über die vielen Gesichter Rußlands

Findet Rußland doch noch zur Demokratie? Diese Frage bewegt die Gemüter im Westen immer wieder, zumal es nach Boris Jelzins Widerstand gegen den Putsch von Altkommunisten im Jahre 1991 wirklich so aussah, als habe das Land endlich die Fesseln der Vergangenheit abgeworfen. ARD-Korrespondent Thomas Roth berichtet seit 1991 (mit kurzen Unterbrechungen in Köln und Berlin) aus Moskau. Dank seiner journalistischen Fähigkeit, seiner russischen Sprachkenntnisse und seines Einfühlungsvermögens in die russische Mentalität hat er dort viele Freunde gewonnen und exzellente Verbindungen knüpfen können. Man spürt das an seinem neuen Buch auf jeder Seite: Es ist ungemein informationsreich, gut lesbar und mit sicherem Urteil geschrieben – wohl das Bestes, was man derzeit über Rußland lesen kann.

Genau genommen ist es ein Buch über das von Präsident Putin in den vergangenen Jahren geprägte Rußland. Vermutlich ist es, anders als bei einer Darstellung eines großen westlichen oder Drittweltlandes, bei russischen Verhältnissen unumgänglich, den jeweils starken Mann in den Mittelpunkt zu rücken. Womit man beim entscheidenden Punkt ist: Roth ist sehr skeptisch, ob Rußland wirklich auf dem Weg zur Demokratie vorangekommen ist. Für ihn ist eher das Gegenteil der Fall; nach dem Aufbruch in den ersten Jahren unter Jelzin ist das Rad Stück für Stück zurück-gedreht worden: Die damalige Vielfalt in Presse und Fernsehen gibt es nicht mehr; die politische Opposition (freilich in sich selbst auch heillos zerstritten) hat wenig Chancen, sich öffentlich zu artikulieren; der versprochene Reichtum aus Öl und Gas ist bislang nur wenigen skrupellosen Oligarchen zugute gekommen.

Roth hat Putin bei zahlreichen öffentlichen Auftritten kennengelernt, mit ihm auch einige intensive Interviews führen können. Er ist beeindruckt von der Energie und Tatkraft, auch vom persönlichen Charme des ehemaligen KGB-Funktionärs, beurteilt aber insgesamt den einstigen Präsidenten und heutigen Ministerpräsidenten im Hinblick auf sein Demokratieversprechen äußerst skeptisch: „Der Kreis um Putin, das sogenannte ‚Petersburger Lager‘, ein Bund von Vertrauten und Freunden, etliche davon mit KGB-Hintergrund, hat in der Ära Putin eine ausgefeilte Technik entwickelt, Demokratie in einer Art ‚potemkinscher‘ Kampagne zu imitieren und dabei zu generieren. Deshalb spielen die Spindoktoren des Kreml und ihre journalistischen wie intellektuellen Claqueure unablässig auf dem rhetorischen Klavier und erfanden Formulierungen, von der ‚gelenkten Demokratie‘ (Putin) zur ‚souveränen Demokratie‘ bis zum ‚eigenen russischen Weg‘“.

Putin habe, so Roth immer wieder – mit Blick auf die Wirtschaft, die Politik, aber auch auf Bildung und Mentalität der Russen –, keine demokratischen, sondern autoritäre Strukturen in Staat und Gesellschaft geschaffen und verfestigt, womit sich das Land grundlegend von westlichen Demokratien unterscheidet. Es ist zum Glück ein gemäßigter autoritärer Stil, gleichwohl, so Roths indirekt geäußerter Rat, sollte man dies bei allen Kontakten mit Rußland im Auge behalten.

Was das Buch darüber hinaus anregend, ja wirklich spannend macht, sind Roths Schilderungen von Aufstieg und Sturz mehrerer Oligarchen, die sich entweder Putin fügten oder sonst zum Untergang (bis zu Gefängnis und physischer Vernichtung) verurteilt waren. Er ruft die dramatischen Tage des Putsches gegen Gorbatschow in Erinnerung und beschreibt den erstaunlichen Wiederaufstieg der orthodoxen – erneut oder schon wieder – staatsnahen Kirche. Am anrührendsten lesen sich die Passagen über einfache Menschen: Fischer und Siedler am Baikalsee, Taxifahrer in Moskau, Studenten in St. Petersburg, Bewohner in Sotschi, die die bevorstehende Winterolympiade eher fürchten (wegen der immensen Bauvorhaben). Den Leser beeindruckt einmal mehr deren Herzlichkeit, aber auch deren Leidensfähigkeit. Viele haben in den schlimmen 90ern durch Inflation und Geldentwertung alle Habe verloren, wohnen noch immer beengt in miserablen Wohnungen und wünschen nichts sehnlicher als Frieden, Sicherheit und ein halbwegs gutes Auskommen. So gesellt sich zur Skepsis gegenüber dem offiziellen Rußland die Zuneigung für die leidgeprüften Menschen dieses riesigen Landes – eine Erfahrung, die man bei wirklich guten Büchern über Rußland eigentlich immer macht.            Dirk Klose

Thomas Roth: „Rußland – Das wahre Gesicht einer Weltmacht“, Piper Verlag, München 2008, geb., 332 Seiten, 19,90 Euro


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