19.04.2024

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02.08.08 / Eine Frau zeigt Zivilicourage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Eine Frau zeigt Zivilicourage
von Gabriele Lins

Mit Behagen genoß Margie den heißen Cappuccino. Um sie herum fröhliches Geschwätz. Neben ihr ein junger Türke in angeregtem Gespräch mit einem Farbigen. Am Tisch vor ihr setzte ein Behinderter seine leere Tasse zurück, um mit seinem Rollstuhl ins Freie zu fahren.

In diesem Augenblick, als das sperrige Gefährt den Eingang verstopfte, wollten drei junge Männer das Café betreten, Skinheads, angetan mit schwarzen wattierten Jacken und genagelten Stiefeln.

„Eh, Krüppel haben hier nichts verloren!“ Eine scharfe Stimme. Der Angesprochene, schon auf der Straße, ignorierte die drei. „He, Pflaume, willste etwa nich mit uns sprechen?“

Den Mann auf das Pflaster zu kippen, ihn in die Seite zu treten und mit Fäusten zu bearbeiten, war eins. Das Vergnügen war den Männern anzusehen. Weitere Hiebe hagelten auf den Wehrlosen nieder, der doch schon am Boden lag.

Schnell hatten sich Passanten angesammelt, die das Geschehen in achtungsvoller Entfernung verfolgten. Die meisten von ihnen blickten erschrocken oder angewidert, aber keinem fiel es ein, dazwischenzutreten. Auch Margie war sich ihrer Ohnmacht schmerzlich bewußt. Ihr Herz hämmerte. Der Mann am Boden wimmerte und hielt sich die Hände schützend über den Kopf. War es nicht feige, einfach zuzusehen? Hier geschah ein Verbrechen am hellen Tag, mitten in einer Stadt voller Menschen. Ablenken! schoß es ihr durch den Kopf. Als junge Mutter hatte sie immer versucht, ihre kleinen „Zornnickel“ vom Gegenstand ihrer Wut wegzuführen, indem sie ihnen etwas Interessanteres bot. Dieses Rezept hatte oft geholfen.

„Halt mal!“ Sie fiel dem Kerl in den Arm, der gerade wieder zuschlagen wollte. Freundlich lächelte sie die drei an. „Hören Sie, meine Herren, ich möchte Sie mal was fragen. Ja, etwas für mich Wichtiges. Ich bin Schriftstellerin und wollte schon lange mehr über das Leben der Skinheads und Neonazis erfahren, nicht nur über die Sachen, die immer in den Zeitungen stehen, sondern über vieles mehr. Verstehen Sie?“

Sie verlor keinen Blick für den Mann am Boden. „Und das Gehörte will ich dann aufschreiben. Zum Beispiel möchte ich Ihre Gründe wissen, warum Sie sich in Gruppen zusammenfinden, möchte Ihre Gedanken über dies und jenes erfahren. Könnten Sie mir nicht ein bißchen was über sich erzählen? Ich lade Sie gern in das Café hier ein. Die haben ganz leckeren Kuchen. Wie wär‘s?“

Ehe die drei etwas erwidern konnten, wandte sie sich an den ihr zunächst stehenden Mann: „Legen Sie den Herrn doch bitte mal auf die Seite! Und Sie rufen bitte den Notarzt, ja?“

Schnell trat sie wieder auf die jungen Männer zu. „Meine Herren, was sagen Sie nun?“ Sie schienen unschlüssig. Der eine kratzte sich verlegen. „’n Bier wäre mir lieber als Kuchen. Kommt das, was wir dir vorsingen, in so’ne Zeitung?“ Margie nickte. „Kann schon sein!“

Der Dritte, wohl der Tonangebende, sagte mit scharfem Ton: „Laßt die Alte! Auf Gruftis habe ich jetzt keinen Bock!“ Er machte kehrt. Seine Kumpane folgten ihm zögernd. Der mit der riesigen Kette um den Hals tippte grüßend an die Stirn. „Tschö, gnä Frau, vielleicht ein ander Mal!“

Sie schoben ab. Von ferne drang – stetig näher kommend – der laute Sirenenton eines Rettungswagens zu ihnen. Dicht hinter ihm hielt ein Polizeiauto. Eine Frau im Morgenmantel zeigte auf Margie. „Die müssen Sie festnehmen! Die hat gemeinsame Sache mit den Typen gemacht!“

Zwei Sanitäter kümmerten sich um den Verletzten, der einen dankbaren Blick zu Margie schickte. Erst jetzt begann diese am ganzen Leibe zu zittern.

Foto: Rollstuhlfahrerin: Schon in Alltagssituationen können Mitmenschen behilflich sein.


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