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02.08.08 / Bodenständige Gerichte / Wo Paul Bocuse einst das Kochen erlernte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Bodenständige Gerichte
Wo Paul Bocuse einst das Kochen erlernte
von Angelika Fischer

Paul Bocuse gilt nicht nur als der renommierteste und höchst dekorierte Koch der Welt, er ist gleichzeitig auch der berühmteste Sohn seiner Heimatstadt Lyon. Im Gegensatz zu manch anderem ist er seinen Wurzeln treu geblieben und nicht in die Hauptstadt Paris abgewandert. Stattdessen hat er maßgeblich dazu beigetragen, aus seiner Region eine einmalige Feinschmeckerhochburg zu machen mit einer Ansammlung von Sterneköchen, die weltweit ihresgleichen sucht.

Gelernt hat der mittlerweile über 80jährige „Jahrhundertkoch“ sein Handwerk von einer Frau: Bei „Mère Brazier“, einer der berühmten „Mütter“ von Lyon, ging er in die Lehre. Sie weilt natürlich nicht mehr unter den Lebenden, aber ihr Restaurant, das ihren Namen trägt, gibt es immer noch. Diese „Mères Lyonnaises“ genannten Frauen waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Lyon eine Institution. Sie führten eigenständig ihr Restaurant, standen selbst am Herd, kochten bodenständige Gerichte aus frischen Produkten der Saison zu erschwinglichen Preisen und stellten so einen Kontrapunkt dar zur raffinierten, bisweilen schon dekadenten „Haute Cuisine“ des Großbürgertums.

Eine der ersten dieser „Mütter“ war Eugénie Brazier, Jahrgang 1895, die als 20jährige Bauerstocher vom Lande in die Stadt kam, zunächst in Privathaushalten und dann bei Mère Fillioux die nötigen Kochkenntnisse erwarb, um 1921 ihr eigenes Restaurant zu eröffnen. 1933 erhielt sie als erste Frau überhaupt den dritten Michelinstern – eine Auszeichnung, die außer ihr in Frankreich nur drei weiteren Frauen jemals zuteil wurde.

Im Restaurant „La Mère Brazier“ weht noch immer ein Hauch des Geistes dieser legendären Frau durch die Räume. Am Fuße des „Croix-Rousse“, des ehemaligen Seidenweberhügels gelegen, empfängt den Gast ein nostalgisch-gemütliches Ambiente. Die Wände in warmem Weinrot, das Mobiliar aus dunklem Holz, die Lampen in schönstem Jugendstil. Nachdem sich Eugénie Brazier 1968 im Alter von 72 Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen hatte, führte ihre Enkelin das Lokal noch bis ins Jahr 2004 weiter. Dann wurde es schweren Herzens verkauft an einen Freund der Familie, den heutigen Besitzer Philippe Ber-trand. Der könnte, so wie er ausschaut und mit nur einer weiteren Köchin den Laden „schmeißt“, Eugénies Urenkel sein. „Le Père Brazier“ taufen wir ihn bei unserem Besuch, und er strahlt ob dieses Ehrentitels!

Bodenständige Gerichte geben auch heute noch auf der Karte den Ton an. Aus jeweils sechs Vorspeisen, Hauptgerichten und Desserts stellt der Gast sich sein „Ménu du Marché“ zusammen – drei Gänge für 25 Euro, ein absolut fairer Preis!

Auf halber Treppe hoch in den ersten Stock begegnen wir Eugénie Brazier dann doch noch persönlich in Form eines ganz und gar lebensecht wirkenden Portraits. Sie sieht weder schön aus noch elegant, dafür rund und gesund, resolut und rustikal, wie es sich für eine echte Bauerstochter vom Lande gehört. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie sie einst „Liebe  und Hiebe“, beides wohl dosiert, zum Einsatz brachte, um dem jungen Paul Bocuse das Einmaleins des Kochens beizubringen!

Foto: Führt die Tradition fort: Philippe Bertrand


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