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09.08.08 / Am Rande des Chaos / Kein Verbot der türkischen Regierungspartei AKP, doch die Lage im Land bleibt instabil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Am Rande des Chaos
Kein Verbot der türkischen Regierungspartei AKP, doch die Lage im Land bleibt instabil
von Mariano Albrecht

Ein Bombenanschlag im Umfeld des Verbotsverfahrens gegen die türkische islamistische Regierungspartei AKP hat in Ankara wilden Verschwörungstheorien Auftrieb gegeben: Am Vorabend des Richterspruchs kommen bei einer Doppelexplosion im Istanbuler Stadtteil Güngören 17 Menschen ums Leben. Noch am selben Abend sind sich die verfeindeten säkularen Kemalisten und die regierende AKP einig: Hinter dem Anschlag steckt die PKK.

Indes: Bis zum heutigen Tag fehlt jegliches Bekennerschreiben. Doch ein Anschlag ohne Forderungen und „Unterschrift“ ist für Terroristen nichts wert. In der Vergangenheit hatten die kurdischen Kämpfer stets ihre Aktivitäten angekündigt, um auf sich und ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Warum diesmal nicht? Steckte die PKK wirklich hinter dem Anschlag, wäre ein Leugnen der eigenen Sache nicht dienlich, Terroristen wollen Aufmerksamkeit.

Der PKK-Funktionär Zübeyir Aydar behauptet, der Anschlag sei das Werk „dunkler Kräfte“, die die Tat mit Blick auf den AKP-Prozeß und das Verfahren um den mutmaßlichen Putschversuch des nationalistischen Netzwerks „Ergenekon“ verübt hätten. Ist der PKK-Mann glaubwürdig?

Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) hat Zweifel an der offiziellen türkischen Version, daß die kurdische Guerilla für das Attentat verantwortlich ist. BND-Präsident Ernst Uhlau kommentiert in der „Bild“-Zeitung: „Das Attentat in Istanbul paßt nur schwer zur PKK.“ Sowohl die Technik als auch Ort und Zeit des Anschlages deuteten eher auf einen islamistischen oder innertürkischen Hintergrund hin. Der BND gilt in der Türkei als ausgezeichnet informiert. Eine Täterschaft der islamistischen Al-Kaida sei „nicht auszuschließen“. „Wir wissen, daß islamistische Terroristen auch in der Türkei am Werke sind“, so Uhlau. Eine Verantwortung von Islamisten für den Anschlag am Vorabend eines möglichen Verbots der Regierungspartei hätte der AKP allerdings das Genick gebrochen und lediglich die Nationalisten gestärkt. Das hätte weder islamistischen Terroristen noch der AKP gepaßt.

Mit dem Fehlen von nur einer Richterstimme konnte die AKP am Tag nach dem Attentat ihrem Ende entgehen. Eine Überraschung, denn für Experten wie für Teile der Öffentlichkeit schien so gut wie klar, daß die AKP mit einer Niederlage zu rechnen hätte.

Die Lage in der Türkei ist nach der Stärkung der AKP durch den Richterspruch bei weitem nicht entspannt. Im Hintergrund liefern sich Kräfte aus verschiedenen politischen Richtungen harte Kämpfe.

Terrorabsichten und ans Tageslicht gebrachte Putschpläne der nationalistischen säkularen Geheimorganisation „Ergenekon“ hatten schon im Vorfeld des Verfahrens für Unruhe im Land gesorgt. Mit Hochdruck verfolgt die Regierung die Ermittlungen gegen die Geheimbündler. Mit jeder Verhaftung eines weiteren Geheimbündlers sehen sich Ministerpräsident Erdogan und seine AKP gestärkt.

Also doch eine innertürkische Verschwörung? Hinter „Ergenekon“ sollen hohe Militärs stehen, die sich gegen alles Religiöse in der Politik erheben. Doch der Staatsfeind Nummer eins ist die separatistische PKK.

Wenn es um die Aufrechterhaltung der laizistischen Ordnung und die nationalistische Ausrichtung des Landes geht, sind Aktivitäten der PKK schon in der Vergangenheit gern zur Stärkung der Argumentation der Militärs, denen auch der angeblich lasche Umgang der islamischen Regierung mit der Guerilla nicht paßt, herangezogen worden. Bereits im Mai 2007 explodierte in Ankara eine Bombe, während sich Armeechef Yasar Büyükanit mit Erdogan über einen Einmarsch türkischer Truppen zur Bekämpfung der Kurdenmiliz in den Nordirak stritt. Auch damals galt schnell die PKK als Urheber des Attentats. Kurz darauf gab Erdogan sein Ja zum Einmarsch. Die tatsächliche Rolle der PKK, die sich auch zu dem Anschlag von Ankara nicht bekannt hatte, blieb ungeklärt.

Im Jahr 2000 wurde bekannt, daß das türkische Militär und der Geheimdienst „MIT“ im Kampf gegen die PKK mit der türkischen islamistischen Terrororganisation Hizbullah (nicht zu verwechseln mit der libanesischen Hizbollah), kooperiert hatte, die auch Anschläge gegen den türkischen Staat verübte. Offensichtlich wird von Religiösen wie Nationalisten innerhalb und außerhalb von Regierungen ein schmutziges Spiel gespielt, das dem eigenen Machtgewinn dient.

Daß die AKP vor Gericht nur knapp einem Verbot entgehen konnte, kann mit Blick auf die Zerstrittenheit der Kräfte im Land allenfalls als Pyrrhussieg gewertet werden. Der Kampf mit allen Mitteln um die Macht in der Türkei wird auch mit einer einstweiligen Stärkung der AKP weitergehen. Von politischer Stabilität ist die Türkei so weit entfernt wie lange nicht.

Foto: Trauerzeremonie: Erdogan (r.) versucht das Attentat für sich zu nutzen.


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