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09.08.08 / Inhaftiert im Fünf-Sterne-Gefängnis / Radovan Karadzic trifft im Scheveninger Hochsicherheitstrakt auf alte Feinde und Freunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Inhaftiert im Fünf-Sterne-Gefängnis
Radovan Karadzic trifft im Scheveninger Hochsicherheitstrakt auf alte Feinde und Freunde
von Wolf Oschlies

War was los in Belgrad am 29. Juli? Laut Korrespondentenberichten haben 15000 Radikale mit ihren Protesten gegen die Verhaftung und Auslieferung von Radovan Karadzic das Zentrum der serbischen Hauptstadt verwüstet. Nichts davon trifft zu, denn es geschah nichts, das etwa die Stadion-schlachten der Fußball-Fans von „Roter Stern“ und „Partisan“ überboten hätte. Die Serbische Radikale Partei (SRS), bei den Wahlen im Mai den „Europäern“ unter Präsident Tadic eindeutig unterlegen, wollte ein „Meeting“ für Karadzic, hatte aber zu wenig Anhänger und versteckte sich hinter obskuren Organisationen wie „Europazentrum der serbischen Diaspora“, „Allserbische Versammlung“ und ähnlichem. Die ließen ihre Redner aufmarschieren – 30 Namen umfaßte die Rednerliste, und das war den rund 10000 Anwesenden zu langweilig. Um 19 Uhr begann die Kundgebung auf dem zentralen „Platz der Republik“, um 21 Uhr verließen die meisten die Stätte, die dann von Gruppen alkoholisierter Jugendlicher verwüstet wurde. Die Polizei, so die stets kritische Belgrader Presse, habe „gehandelt, wie es sich gehört“: Botschaften und öffentliche Gebäude geschützt, die Randalierer erst gewarnt, dann mit massiver Gewalt auseinander getrieben, dabei viele verhaftet. Gesamtschaden (umgerechnet) 390000 Euro – da hat Belgrad schon weit schlimmeren Vandalismus erlebt.

Karadzic selber hat in seiner Zelle des Belgrader Sondergerichts den ganzen Aufruhr verschlafen, um für seinen Hollandtrip am nächsten Tag fit zu sein. Ziel war  das „Huis van bewaring“, das Hochsicherheitsgefängnis in Scheveningen, einem Vorort der niederländischen Stadt Den Haag. In der residiert das „Internationale Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien“ (ICTY), das in Scheveningen einen Flügel mit 84 Zellen, auf mehrere Etagen verteilt, für seine Angeklagten gemietet hat. Nur 37 sind mit durchweg reiferen Herren – Altersdurchschnitt derzeit 56,8 Jahre – belegt. Im zweiten Stock sitzt nun Radovan Karadzic, vormals Präsident der Republika Srpska in Bosnien, seit 1996 auf der Flucht vor zwei ICTY-Anklagen, am 21. Juli vom serbischen „Aktionsteam zur Verhaftung der Haag-Flüchtlinge“ gestellt und am 30. Juli von der serbischen Justizministerin Snezana Malovic nach Den Haag geschickt.

In Scheveningen bezog Karadzic ein „Zatvor s pet zvezdica“ (Fünf-Sterne-Gefängnis), wie die Belgrader Tageszeitung „Danas“ spöttelte. Außer dem wunderbaren Nordseeblick bekam der neue Gefangene davon nichts mit, denn auf ihn wartete das Initiationsritual: Vorstellung der Kommandanten dieser „UN-Detention Unit“ (DU), Information über Pflichten und Rechte – wie das Recht auf private Telefonate, was Karadzic sofort nutzte, um sich bei seiner Frau Liljana zu melden –, medizinische Untersuchung, später noch ein erstes Zusammentreffen mit dem zuständigen Richter, dem Niederländer Alfons Orie, einem der erfahrensten ICTY-Juristen. Der bevorstehende Karadzic-Prozeß wird die Amtszeit des ICTY, die 2010 enden sollte, um Jahre verlängern.

Bis dahin bleibt Karadzic in der DU, die seit 1997 Timothy McFadden leitet, ein 55jähriger Ire, der zuvor Direktor einer Haftanstalt für IRA-Terroristen in Irland war. Die Ausstattung der Scheveninger Anstalt vergleicht McFadden mit dem eines guten Hotels – mit einem kleinen Unterschied: „In einem Holliday-Inn dürfen Sie Ihre Schlüssel behalten, bei uns nicht.“ Das war ein Scherz, aber zutreffend ist, daß die Haftbedingungen in Scheveningen überdurchschnittlich gut sind. Jede der hellen und gut belüftbaren Zellen mißt 15 Quadratmeter und ist ausgestattet mit Bett, Tisch, Schrank, Regal, Waschbecken, Toilette und Fernseher. Jeder Gefangene darf einen Computer benutzen, jedoch ohne Zugang zum Internet. Die Zellen sind für Einzelbelegung gedacht, sie werden morgens um 7.30 Uhr geöffnet, abends um 20.30 Uhr geschlossen, dazu mittags eine einstündige Schließung, während der die Wächter essen oder Schichtwechsel machen. In der restlichen Zeit können die Gefangenen, die als Untersuchungshäftlinge noch der „Unschuldsvermutung“ unterliegen, frei miteinander kommunizieren, Anwälte oder Bekannte empfangen, sich ungestört auf ihre Prozesse vorbereiten. Sogar „intime Zimmer“ für den Besuch von Ehefrauen stehen bereit, und in denen, weiß Direktor McFadden, wurden bereits Babies gezeugt. Die Rücksicht auf die Gefangenen ist unglaublich: Langschläfer dürfen morgens nach Belieben auspennen, wer mit der Masse seiner Akten und Dokumente in Raumnot gerät, bekommt eine zweite Zelle.

Das Gefängnis verfügt über einen eigenen medizinischen Dienst mit Ärzten. Den Gefangenen stehen Fitneß-Räume, eine Bibliothek, Gesellschaftszimmer und ein „geistlicher Raum“ offen, in dem nach Konfessionen getrennte Gottesdienste stattfinden. Sie können täglich eine Stunde im Freien spazieren gehen oder ein reiches Programm an Berufs- oder Sprachkursen besuchen, Besitz eigener Bücher und Bezug heimischer Zeitungen sind erlaubt, sogar Käfige mit Singvögeln.

Über 130 Häftlinge sind bisher durch Scheveningen gegangen – einige wurden freigesprochen, wenige sind in der Haft verstorben (etwa 2006 der serbische Diktator Slobodan Milosevic), die meisten zu langen Haftstrafen verurteilt, die sie in Ländern verbüßen, welche sich zu ihrer Aufnahme bereit erklärten.

Bis zu ihrer Verurteilung können Jahre vergehen, in denen Direktor McFadden ihnen ein „möglichst normales Leben“ verschaffen will. Das bedeutet zunächst ethnische und biographische Mischung: Der serbische Ex-General neben dem Gangsterboß aus Mostar, kroatische Militärs neben kosovarischen Terroristen. Gestrige Todfeinde entdecken, daß sie vorgestern auf derselben Militärakademie waren, und tragen heute ihre Rivalitäten an Schachbrett oder Pingpongplatte aus. Die sich in Bosnien blutig bekriegten, fungieren heute gern als Trauzeugen oder Brautführer, wenn einer von ihnen im Gefängnis heiratet. Irgendwie kommen sie einander näher, entdecken ihre „jugoslawische“ und sprachliche Gemeinsamkeit wieder, feiern gar zusammen. Dafür steht ein 150 Quadratmeter großer Saal bereit, in dem beispielsweise Milosevic als Meister im Spanferkelbraten Freude verbreitete. Als er unerwartet 2006 tot in seiner Zelle aufgefunden wurde, veröffentlichten über 30 seiner Mitgefangenen eine Traueranzeige, die sogar der kroatische Ex-General Ante Gotovina signierte. 

Foto: Demonstrieren für Karadzic Freilassung: In Belgrad gingen Tausende auf die Straße und feierten ihr Idol.


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