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09.08.08 / »Das süßeste Mädel« wird ein Star / Erinnerung an die unvergessene Ufa-Schauspielerin Lilian Harvey und ihre Erfolge

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

»Das süßeste Mädel« wird ein Star
Erinnerung an die unvergessene Ufa-Schauspielerin Lilian Harvey und ihre Erfolge
von U. Klöckner-Draga

Sie war bis 1933 die „Königin des deutschen Films“. Jedes Kind kannte sie, Männer vergötterten sie und Frauen sahen in der zerbrechlich wirkenden Lilian Harvey ein Vorbild an Grazie und Charme. Ihre Kunst war stilbildend und hatte entschieden dazu beigetragen, die filmische Unterhaltung im Zeichen des Rombus – der Ufa bis zur Macht-ergreifung der Nazis – zu formen und weiter zu entwickeln. Einst Mythos für Millionen Kinobesucher in aller Welt, konnte die Harvey nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Ruhm nicht erneuern, der mit dem Film „Der Kongreß tanzt“ 1931 in Berlin begonnen hatte.

In Hollywood gab man ihr den Beinamen „Continental Cocktail“: Das Licht der Welt erblickte sie am 19. Januar 1906 in einem Vorort von London. Sie war das Produkt eines Seitensprungs ihrer englischen Mutter mit einem Deutschen. In Berlin und Solothurn wuchs sie auf. In Wien drehte sie ihren ersten Stummfilm „Der Fluch“ (1924) und in Frankfurt am Main wurde der Filmregisseur und Produzent Richard Eichberg auf die junge Tänzerin aufmerksam und engagierte sie vom Fleck weg. Eichberg reihte sie in seine Fließbandarbeit des schönen Scheins ein und verdiente an ihr eine Menge Geld. Mit den Filmen „Die Liebschaften der Hella von Gilsa“, „Liebe und Trompetenblasen“, „Prinzessin Trulala“ und „Die keusche Susanne“ wurde sie die Verkörperung der modernen, selbstbewußten Frau. Ab 1928 war Lilian Harvey ausschließlich für die Ufa tätig.

Den Sprung in den Tonfilm erlangte sie an der Seite von Willy Fritsch in dem Film „Liebeswalzer“ (1929/30) mühelos. Der Foxtrott „Du bist das süßeste Mädel der Welt ...“ wurde der populärste Schlager aus dem Jahr 1930. Es war das richtige Lied zum richtigen Zeitpunkt. Es wurde Lilian Harveys Lied, ihr Markenzeichen. Außerdem hatte Deutschland sein erstes „Leinwand-Traumpaar“ gefunden. Die Ufa arbeitete von nun an mit seinem höchstbezahlten weiblichen Star polyglott und inszenierte ihre Harvey-Tonfilme in deutscher, französischer und englischer Fassung mit jeweils wechselnden Partnern, da die Technik der Synchronisation noch nicht angewandt wurde. Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, Laurence Olivier, Charles Boyer wurden ihre Co-Stars. Nur die sprachbegabte Lilian Harvey blieb als Protagonistin auf dem Set.

Die Filme konnten noch so belanglos sein, mit ihrem Erscheinen auf der Leinwand bezauberte sie ein Millionenpublikum. In Deutschland konnte man sich von dem Film „Der Kongreß tanzt“ genauso berauschen lassen, wie in Frankreich von „Le Congres s‘amuse“ und in Großbritannien von „The Congress dances“. Daher kann man Lilian Harvey als einen der ersten Pioniere der europäischen Gemeinschaft bezeichnen, denn bereits mit ihrem ersten internationalen Tonfilmerfolg „Liebeswalzer“ / „Love Waltz“ trug sie zu einem „Aneinanderrücken“ der Staaten bei. Franzosen, Engländer und Deutsche konnten „ihre“ Lilian auf der Leinwand singen, tanzen und spielen sehen. Zum Superstar wurde sie durch die heiteren Illusionsmärchen „Die Drei von der Tankstelle“ (1930), „Der Kongreß tanzt“ (1931) und schließlich „Ein blonder Traum“ (1932). Es waren die Jahre, in denen Glanz und Zügellosigkeit faszinierten, eine Epoche, in der das Kino realer schien als das wirkliche Leben. Die Harvey war ein typisches Produkt dieser Zeit und setzte mit ihrer Popularität Maßstäbe. Ihre Frisuren und ihre Kleidung wurden in ganz Europa kopiert. Das Publikum war geradezu süchtig nach ihr. Doch das zunächst gewinnbringende Image der Filmfirma vom „süßesten Mädel der Welt“ wurde für Lilian Harvey später zum Hindernis, denn sie konnte ihrem Rollenklischee nicht mehr entkommen. 1933 ging sie nach Hollywood, kehrte aber zwei Jahre später noch einmal nach Deutschland zurück, wo sich inzwischen das NS-Regime etabliert hatte. Nach dem Erfolg von „Schwarze Rosen“ wurde ihre Filmarbeit bei der Ufa zusehends erschwert. Durch ihr mutiges Eintreten für verfolgte Freunde und Kollegen und „mißliebige“ Äußerungen bei den NS-Behörden wurde die Harvey von der gefürchteten Gestapo zunächst beobachtet und als „verdächtig“ eingestuft.

Nachdem sie sich von ihrer großen Liebe, dem Filmregisseur Paul Martin, getrennt hatte, ging sie nach Frankreich ins Exil und nahm dort Kontakt zum Widerstand auf. Am Anfang des Krieges leistete sie mit großem Einsatz karitative Arbeit, was ihr den Beinamen „Engel von Antibes“ und das „Croix de Guerre“ einbrachte. Nachdem Frankreich von der Wehrmacht besetzt war, wurde Lilian Harvey von der französischen Gestapo mit einem Haft- und Deportationsbefehl gesucht. Nur durch eine erneute Flucht entging sie der Verhaftung. 1941 emigrierte sie in die USA und arbeitete zunächst zwei Jahre lang als Rot-Kreuz-Schwester in Los Angeles. Nachdem alle Versuche, wieder in Hollywood beruflich Fuß zu fassen, gescheitert waren, meldete sie sich 1944 als Bühnenschauspielerin in der Öffentlichkeit zurück. Ende 1946 kehrte Lilian Harvey nach Europa zurück.

Erst 1949 trat sie auch wieder in Deutschland auf. Mehrere Versuche, im deutschen Nachkriegsfilm einen Neuanfang zu starten, schlugen fehl, denn ihr „Harvey-Stil“ war nicht mehr en vogue und kein Produzent bot ihr eine adäquate Rolle an, obwohl sie noch kein seziertes Filmfossil war.

Lilian Harvey zog sich völlig vom Filmgeschäft zurück. Es war kein selbstgewählter Rückzug. Eine hastig eingegangene Ehe mit einem Dänen dauerte nur knapp zwei Jahre. Am 27. Juli 1968 starb der einst vergötterte Filmstar einsam in einem Krankenhaus in Südfrankreich. Sie wurde nur 62 Jahre alt.

Lilian Harvey war eine überaus spannungsreiche, widersprüchliche Frau, fragiles Monument der Zwischenkriegszeit. Zurückgeblieben sind 55 Filme und eine verklärte Erinnerung an die Welt eines Berlin des schönen Scheins der nicht immer „Goldenen zwanziger Jahre“. Aber sie hatte mehr zu bieten als den Kinoruhm und die Floskel vom ehemals schönen, aber vergessenen Filmstar. Die Spurensuche geht weiter.

Foto: Flirt auf vier Rädern: Lilian Harvey in dem Film „Die Drei von der Tankstelle“


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