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09.08.08 / Heimat – in Bernstein geschnitzt / Der ostpreußische Meister in der Bearbeitung des »samländischen Goldes« Alfred Schlegge wird 85

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Heimat – in Bernstein geschnitzt
Der ostpreußische Meister in der Bearbeitung des »samländischen Goldes« Alfred Schlegge wird 85
von Ruth Geede

Schiffe haben ihre Geschichte. Auch Modelle aus Künstlerhand. Besonders wenn sie aus Bernstein sind, diesem so wundervoll leichten, leuchtenden Harz der Vorzeit. Nun auch zu sehen in dem vor kurzem eröffneten Internationalen Maritim Museum Hamburg, wie die Fregatte „Fried-rich III.“, die in der „Schatzkammer“ des Museums ihren Platz gefunden hat. Mit der „Hollandia“ und der „Adler von Lübeck“. Alle drei stammen von einem Meister, und es ist kein Wunder, daß er Ostpreuße ist: Alfred Schlegge, Bildhauer und Bernsteinschnitzer aus Königsberg. Am 15. August feiert er in Detmold seinen 85. Geburtstag. Wie man zu sagen pflegt: „In alter Frische.“ Denn für den weißhaarigen Mann gibt es keinen Stillstand und erst recht kein Aufhören, solange er das Material in die Hand nehmen kann, das sein künstlerisches Schaffen ein Leben lang bestimmt hat: Bernstein, das Gold seiner Heimat.

Er saß schon als Lehrling in der Königsberger Bernstein-Manufaktur an der Drehscheibe, bearbeitete das Rohmaterial, das in Palmnicken an der Westküste des Samlands aus der „Blauen Erde“ geholt wurde. Aber bald erkannte der damalige Direktor Gerhard Rasch die künstlerische Begabung des jungen Mannes und nahm ihn deshalb in die Bernsteinschnitzerlehre, die er 1941 erfolgreich abschloß. Während des anschließenden Studiums an der Kunst- und Gewerkschule in Königsberg arbeitete Alfred Schlegge weiter, um die erworbenen Kenntnisse zu vervollkommnen.

Die konnte er dann bei der Restaurierung des – inzwischen zur Legende gewordenen – Bernsteinzimmers einsetzen, als dieses bei einem Dachstuhlbrand im Königsberger Schloß, in dem es sich zu jener Zeit befand, beschädigt wurde. Vermutlich hatte Löschwasser bei einem Dachstuhlbrand den Bernstein verfärbt. Für den 19jährigen war es ein Privileg, an diesem einmaligen Kunstschatz arbeiten zu dürfen, der aus Platzmangel nicht vollständig im Schloß gezeigt wurde, ein Viertel lagerte im Schloßkeller in großen Kisten. Auch von den Mosaikbildern waren nur drei vorhanden, deshalb wurde Alfred Schlegge auch eingehend befragt, als vor elf Jahren eines der Bilder in Bremen aufgetaucht war und die Debatte um das verschwundene Bern-steinzimmer einheizte. Der Bernsteinschnitzer glaubt, daß es in Königsberg verbrannt ist.

Aber die Erinnerung an diese Arbeiten an dem berühmtesten Kunstwerk aus Bernstein blieb unvergessen. Mehrere Wochen hatte der junge Mann an dem beschädigten Teil gearbeitet, das sich in vier Metern Höhe befand. Die weißen Spuren, die das Löschwasser hinterlassen hatte, mußten abgeschmirgelt und poliert werden, keine leichte Tätigkeit von der hohen Leiter aus.

Da war eine andere Restaurierung schon leichter auszuführen: Die kostbare Bernsteinkogge „Danzig“ gar leicht beschädigt von der Weltausstellung in Madrid wieder nach Königsberg zurück-gekommen und erhielt unter Schlegges Händen ihre volle Schönheit wieder. Diese Kogge hatte es ihm angetan und stärkte in ihm den Wunsch, selber Bernsteinschiffe zu bauen. Er verwirklichte ihn: Seine ersten beiden Bernsteinschiffe entstanden noch in Königsberg.

Aber dann kam die Einberufung zur Wehrmacht, die Zerstörung seiner Vaterstadt, das Kriegsende. Die Segel seines Lebensschiffes trieben den heimatlos Gewordenen in die sowjetische Besatzungszone. Er landete in Wismar, schloß dort sein Bildhauerstudium ab, nahm noch rechtzeitig Kurs nach Westen und ging dann 1957 in Detmold vor Anker. Aufgrund seiner Fähigkeiten konnte er beruflich Fuß fassen, es waren zumeist Werbegeschenke aus Plastik, die er entwarf und gestaltete, aber in seiner Freizeit ging er seiner wahren Berufung nach, schuf Figuren aus Holz, Elfenbein, Ton und Stein. Und so hielt er eines Tages das erste Stück Rohbernstein in der Hand, das er bearbeiten sollte. Auftraggeber war ein Unternehmer aus Erbach im Odenwald, Friedrich Kolletzky – auch ein Königsberger, der aber bereits vor dem Krieg nach Berlin gegangen war. Er fand in Alfred Schlegge einen kongenialen Partner. Der Bernsteinschnitzer konnte nun wieder seine Kunst beweisen in vielen großen und kleinen Exponaten, die unter seinen Händen in der Detmolder Werkstatt entstanden. Und auch sein größter Wunsch ging in Erfüllung: Er konnte im Auftrag der Erbacher Firma wieder Bernsteinschiffe bauen. So entstand ein Schiff nach dem andern – Koggen, Fregatten, Korvetten – oft in jahrelanger Arbeit wie die „Wappen von Hamburg“, das mit über 150 Zentimeter Länge wohl größte Bernsteinschiff überhaupt, für dessen Herstellung der Künstler 40 Kilogramm Bernstein benötigte.

Zu seinen schönsten Schiffen gehört die nun für jeden Besucher des neuen Hamburger Museums sichtbare Fregatte „Friedrich III.“ – und hier bestätigt sich, daß jedes Schiff seine Geschichte hat. Schon lange hatte Peter Tamm das Modell in seiner maritimen Sammlung – unter falscher Herkunftsbezeichnung. Es galt als 1935 in Königsberg gefertigt! Künstler unbekannt! So wurde es leider auch im Ostpreußenblatt wiedergegeben, da keine belegbaren Nachweise vorhanden waren. Der „unbekannte Künstler“ meldete sich: Alfred Schlegge erklärte, daß er die Fregatte 1987 im Auftrag von Friedrich Kolletzky geschaffen hatte. Nun hat das filigrane Kunstwerk die richtige Beschilderung. Das wird den bescheidenen Mann erfreuen, dessen Lebenswerk kaum zu überschauen ist. Denn es sind ja nicht nur Bernsteinschiffe, die in seiner Detmolder Werkstatt entstanden. Und entstehen! Jedes Stück Rohbernstein regt den Künstler zur individuellen Bearbeitung an. Dieses Spiel der Farben, das erst die Hand des Künstlers zum Leuchten bringt, von Sonnengelb über Rotglühend bis zum warmen, dunklen Braun, die Konsistenz des fossilen Harzes, ob milchig, borkig, honigklar – es gibt wohl kaum ein Material in Künstlerhand, das so viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet wie Bernstein. Und zur Geduld zwingt – auch etwas Kostbares in unserer rastlosen Zeit, in der ein Beruf wie der des Bernsteinschnitzers zu den seltensten Metiers gehören dürfte.

Wie akribisch diese Arbeit ausgeführt werden muß, schildert Klaus Rudat in seinem Buch „Bernstein – ein Schatz unserer Küsten“ (Husum Druck- und Verlagsgesellschaft) anhand der Entstehung des 41 Zentimeter langen und 38 Zentimeter hohen Korvettenmodells „Roter Löwe“, dessen Vorbild, seinen Heimathafen in Pillau hatte. Als authentische Angaben hatte Schlegge lediglich die Zeichnungen des Decks und eine Seitensicht zur Verfügung. Die handwerkliche Arbeit begann mit den Holzarbeiten. Der Rumpf mußte aus Lindenholz geschnitzt und mit einer Sperrholzplatte in Größe des Decks verleimt werden. Dann wurden die ausgesuchten Bernsteinstücke in Scheiben geschnitten und zu geometrischen Figuren geschliffen. Die meisten mußten Wölbungen oder Biegungen erhalten, um dem Rumpf angepaßt oder Teile eines Segels zu werden. Die komplizierteren Teile wie Kanonen, Beiboote, Deckaufbauten wurden durch Fräsen und Bohren hergestellt. Immer wieder mußten die Einzelteile dem Ganzen angepaßt, mußte nachgeschliffen werden, ehe das Stück poliert werden konnte. Die polierten Teile wurden nun auf- und miteinander verklebt. Bis dann die Segel mittels eines dünnen Golddrahtes an den Rahen befestigt wurden und das Spannen der Takelage dem ganzen Schiff den notwendigen Halt gab, vergingen noch viele Arbeitsstunden. Übrigens hat auch Alfred Schlegge ein Geheimnis: Das ist sein von ihm entwickelter Spezialkleber.

Wer eines der Modelle von einem der Letzten seiner Kunst, von Alfred Schlegge, besitzt, darf sich glücklich schätzen. Dazu gehört der ebenfalls in Königsberg geborene Wolfgang Petschukat in Eutin. Der ehemalige Berufsoffizier beschäftigt sich nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst intensiv mit dem „samländischen Gold“ und freut sich über jedes schöne Stück, das er entdecken kann. Ein besonderes, auf die ostpreußische Heimat bezogenes Exemplar in seiner Sammlung ist eine wundervolle Arbeit von Alfred Schlegge: ein Elchkopf auf einem handtellergroßen Bernsteinstück, das somit zwei ostpreußische Symbole verbindet. Wolfgang Petschukat konnte mit vielen Anregungen und Angaben zu dieser Biographie über den – leider fast unbekannten – Bildhauer und Bern-steinschnitzer beitragen, der auch wundervolle Replikate schuf wie eine Schatulle mit den Figuren des Großen Kurfürsten und seiner Gemahlin Luise Henriette. Das Original wurde wahrscheinlich von Jacob Heise Mitte des 17. Jahrhunderts in Königsberg geschaffen wie auch die Gefäße in Form einer Nautilusschale aus honiggelbem Bernstein. Wie stark Alfred Schlegge mit seiner Heimat Ostpreußen verbunden ist, zeigt eine 38 Zentimeter hohe Figur: Ännchen von Tharau, nachgebildet dem Ännchen-Denkmal in Memel. Und daß der Künstler nicht nur Koggen und Fregatten schnitzt – inzwischen sind es wohl mehr als 20 geworden! – zeigt das Modell einer Tolkemitter Lomme, dem für das flache Frische Haff typischen Segelkahn. Auch Tierminiaturen wie Fisch und Bär zeugen von dem unermüdlichen Schaffen des Künstlers, der mit seinen Bernsteinarbeiten die Heimat für sich und seine Landsleute bewahrt.

Fotos: „Königsberg“: Eine von Alfred Schlegges Bernsteinkoggen mit Bezug zur ostpreußischen Heimat; Alfred Schlegge


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