25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.08.08 / Hühnerauge und Saft / Eine saubere Handschrift ist eine sichere Sache – für den Patienten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Hühnerauge und Saft
Eine saubere Handschrift ist eine sichere Sache – für den Patienten
von Heinz Kurt Kays

Ärzte – das weiß man – haben fast alle eine schier unleserliche Handschrift. Drastischer ausgedrückt: Sie besitzen eine „fürchterliche Klaue“. Zu dieser weitverbreiteten Spezies gehörte unzweifelhaft auch Sanitätsrat Bruno Moraske, welcher seit mehr als zwei Jahrzehnten in der masurischen Kreisstadt Neidenburg eine wohlrenommierte Praxis mit ausgedehntem Patientenkreis betrieb.

Selbstverständlich hatte der Arzt, wie damals jeder seiner Altersgenossen – ob Lorbaß oder Marjell – während seiner Volksschulzeit Unterricht in jenem Fach erhalten, welches „Schönschrift“ hieß und als obligatorisch galt. Also war der junge Bruno durchaus geübt darin, die von einem Herrn Sütterlin geschaffenen Buchstaben korrekt und sauber auf die Schiefertafel oder auf Papier zu bringen.

Aber das war nun schon reichlich lange her, und der Herr Sanitätsrat Moraske hatte immer größere Probleme damit, eine unschwer lesbare Rezeptur zu erstellen. Belastet wurde mit seinem Kritzeln und Krakeln nahezu immer sein Freund, der Apotheker Hartmut Wysoch, der nur zwei Häuser weiter sein Pharmaziegeschäft betrieb, welches den Namen „Zum Einhorn“ trug.

Dieser hatte deshalb im Laufe der Zeit eine große Routine darin entwickelt, das wirre Geschreibsel von Bruno Moraske zu entziffern. Und es gelang ihm in den allermeisten Fällen, die richtige Bedeutung zu ergründen. Aber auch der Pharmazeut wurde nach und nach älter und das „Adlerauge“ seiner Jugendzeit verlor allmählich seine Schärfe. Schließlich half ihm selbst die beste Brille kaum noch.

Was dann zu jener Begebenheit führte, die hier in der gebotenen Kürze erzählt werden soll. In der Apotheke „Zum Einhorn“ erschien eines Tages die biedere Briefträgers-Gattin Johannchen Merkisch und legte ein Rezept auf die Tonbank, welches von diesem Herrn Sanitätsrat ausgefertigt worden war.

Hartmut Wysoch nahm den Zettel pflichtschuldigst entgegen, schob die Augengläser zurecht und studierte ebenso aufmerksam wie angestrengt, was sein ärztlicher Freund wieder einmal zu Papier gebracht hatte. Nach einigem Stirnrunzeln und Kopfschütteln schien er zu einem Ergebnis gekommen zu sein.

„Für wen“, so fragte er jedenfalls seine Kundin, „für wen soll sie sein, die Medizin?“

„Nu, für mein Mannchen doch“, lautete die Antwort. „Ich soll sie heiß machen und ihm zu trinken geben. So hat er gesagt, der Herr Doktor.“

Apotheker Wysoch schaute völlig entgeistert: „Heiß machen und trinken? Wie soll das denn gehen, gute Frau? Auf diesem Rezept steht doch“ – er stockte ein Momentchen, um schließlich zu vollenden – „da steht doch ... Hühneraugensalbe!“

Die recht umfangreiche Briefträgers-Gattin schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Erbarmung aber auch! Von Hühneraugensalbe weiß ich rein gar nuscht. Holunderbeersaft soll ich holen, weil – er hat einen bösen Husten, mein Alterchen.“

Natürlich gab der Pharmazeut die Geschichte dieses Mißverständnisses alsbald zum besten, und zwar am abendlichen Honoratiorenstammtisch im „Preußischen Adler“, dem besten Gasthof von Neidenburg. Und er erntete schallendes Gelächter der ganzen Runde.

Auch Bruno Moraske, der eigentliche Urheber, stimmte mit ein. Doch klang sein Lächeln etwas gequält und wirkte reichlich gezwungen. Fortan aber ließ er die Rezepte von seiner Frau ausstellen. Die war natürlich in ihrer Kindheit ebenfalls in „Schönschrift“ unterrichtet worden und hatte nichts davon verlernt.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren