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09.08.08 / Brauchtum oder Aberglaube? / An der Kräuterweihe zu Mariä Himmelfahrt scheiden sich die Geister

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Brauchtum oder Aberglaube?
An der Kräuterweihe zu Mariä Himmelfahrt scheiden sich die Geister
von Manfred Müller

Wenn in unserer Kindheit vor vielen Jahren in dunkler Nacht schwere Gewitter über Hof und Haus und Feld losbrachen, die Donner rollten und flammende Blitze den Himmel in ein Lichtermeer verwandelten, dann weckte uns die Mutter aus den Betten. Vor dem Kreuz im Herrgottswinkel brannte die an Lichtmeß geweihte Wetterkerze und auf der Herdpfanne [war] eine Handvoll von den Sommerkräutern, die die Kirche am großen Frauentag im Blumenhochamt geweiht hatte. Und wenn der Duft der würzigen Kräuter durch die Stube zog und unser inbrünstiges Beten wie Weihrauch zum Himmel trug …, dann fühlten wir uns trotz der unheimlich tobenden Elemente sicher und ruhig im Arm der Mutter unter dem Schutzmantel Mariens geborgen.“

Diese Erinnerung an die Kindheit publizierte 1941 der renommierte Volkskundler Philipp Schmidt – sicher nicht zur Freude neuheidnisch orientierter nationalsozialistischer und völkischer Zeitgenossen. In dem Zitat spricht er den uralten Brauch an, am 15. August, dem Festtag Mariä Himmelfahrt, aus Blumen und Kräutern Büschel zusammenzustellen und diese im Festgottesdienst segnen zu lassen.

In vorreformatorischer Zeit war dieser Brauch im ganzen deutschen Volksraum verbreitet. Schon der Sachsenspiegel des 13. Jahrhunderts erwähnt die „Kräutermesse“ in der Form der „Kru­demisse unser liben Frawen“. Reformation, Aufklärung und Industrialisierung setzten dem Brauch arg zu, doch hielt er sich vor allem im süddeutsch-österreichischen Raum. Neben Mariä Lichtmeß ist Mariä Himmelfahrt das älteste Marienfest der Christenheit. Die mit diesem „großen Frauentag“ verbundene Kräuterweihe reicht ganz offensichtlich in die heidnisch-germanische Zeit zurück und fußt auf Vorstellungen des Volksglaubens und der Volksmedizin. Kirchliche Erklärungsversuche, wie man sie etwa noch im alten Schott-Meßbuch nachlesen kann, wirken zwar nicht abwegig, aber doch bemüht-konstruiert:

„Die ,Kräuterweih‘ hat eine sinnige Beziehung auf Maria, die ,Blume des Feldes und die Lilie der Täler‘ und auf den Wohlduft ihrer Tugenden. Vielleicht hängt diese Weihe auch zusammen mit der frommen Legende, nach der die heiligen Apostel, als sie das Grab der seligsten Jungfrau noch einmal öffneten, darin nicht mehr deren heiligen Leichnam, sondern Blumen fanden.“

Von Landschaft zu Landschaft, und oft von Ort zu Ort, wechseln die Angaben, welche Blumen und Kräuter mit besonderer Heilkraft in einen „Kräuterwisch“ gehören. Eine vorreformatorische Schilderung der Kräuterweihe an diesem Marienfest zählt unter anderem Fenchel, Baldrian, Hanf, Mohn, Liebstöckel, Wermut, Heideblumen, Butterblumen, Getreideähren und Flachs auf. Anderenorts gehören Frauenschuh, Eisenkraut, Johanniskraut, Baldrian, Beifuß, Minze, Schafgarbe, Salbei und Rainfarn dazu.

Geheimnisvolle Zeremonien und Formeln haben noch lange in christlicher Zeit in den kirchlichen Weihevorgang hineingewirkt. So beanstandete etwa 1310 die Synode von Trier unter Bischof Balduin „Mißbräuche“ und schärfte den Klerikern ein, sie dürften nur die kirchlich genehmigten Gebetsformeln, nicht aber heidnische Zauberformeln benutzen.

Auch die Verwendung der geweihten Kräuterbüschel zur Gefahrenabwehr in Haus, Stall und Feld sowie bei Krankheiten und Unwettern weist auf heidnische Zusammenhänge zurück. Weithin war es Brauch, den Eheleuten und Kindern solche gesegneten Blumen ins Bett und in die Wiege zu legen, beim Neubau eines Hauses unter die Schwelle. Gesegnete Kräuter gab man in Heiltränke, ins Viehfutter und ins Saatgetreide, geweihte Büschel hängte man in Scheunen und Ställe.

Die innerkirchliche Aufklärung führte im späten 19. Jahrhundert zur teilweisen Abschaffung der Kräuterweihe. So hob 1875 der Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde in Grefrath am Niederrhein diese Segnung an Mariä Himmelfahrt auf. Rituell-Äußerliches, vermeintlich Magisches störte ihn und sicherlich auch noch manch anderen vom Geist der Spätaufklärung erfaßten Konfrater.

Wer dagegen romantische Volkstumspflege schätzte, konnte die Kräuterweihe nicht anstößig finden. In der Nachbargemeinde Lobberich notierte 1893 der Volksschullehrer Wilhelm Schmitz: „Viel Mühe und Fleiß verwendeten in manchen Orten die Schulknaben darauf, um in den Tagen vor dem Maria Himmelfahrtsfeste doch ja die zwölferlei Blumen und Kräuter, die nach altem Herkommen in den ,Kruutwesch‘ gehören, aufzufinden. Noch an manche andere Kräuter oder Blumen knüpft der Volksmund an, weiß von ihnen die wunderlichsten Zaubersagen oder legt ihnen sogar mythische Bedeutung bei.“

Der Brauch der Kräuterweihe hat in Bayern und Österreich bis heute Bestand. In manchen Gegenden des deutschen Kulturraums, in denen er nach dem Zweiten Weltkrieg eingeschlafen war, lebt er wieder auf. Nicht als heidnischer Mumpitz, sondern entsprechend der christlichen Auffassung, daß alle Heilkräfte der Natur eine von Gott verliehene Gabe sind, um die man am Festtag Mariä Himmelfahrt betet. Dementsprechend sieht auch das neue Benedictionale, eine Zusammenstellung von Segensgebeten, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführt worden ist, eine Kräuterweihe vor.


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