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16.08.08 / DDR als Erlebnis / Verhöhnung der SED-Opfer: In Berlin lockt die Kneipe »Zur Firma« mit billigen Mitteln Besucher an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

DDR als Erlebnis
Verhöhnung der SED-Opfer: In Berlin lockt die Kneipe »Zur Firma« mit billigen Mitteln Besucher an
von Michael Böhm

Im Berliner Arbeiterbezirk Lichtenberg lädt die Kneipe „Zur Firma“ zu historischer „Erlebnisgastronomie“ ein.

„Kommen Sie nicht zu uns, gehen wir zu Ihnen!“ steht als Anspielung auf Stasi-Zeiten über dem Eingang, und gegen 17 Uhr sind es vor allem ältere Gäste, die in die kleine verrauchte Bierstube gekommen sind. Sie sitzen am Tresen und drehen sich lächelnd um: nach der DDR-Fahne an der Wand, nach Honeckers „Urne“ auf dem Regal, nach der „handge-schredderten Täterakte“ über dem Fenster – und nach vielen anderen Devotionalien.

Eine schon leicht angetrunkene Frau deutet grinsend auf einen Coupon mit den Insignien der DDR-Staatssicherheit, sie verspricht Stammgästen zehn Prozent Nachlaß auf Speisen und Getränke. „IM-Ausweis“ heißt die kleine Karte und spielt auf den „informellen Mitarbeiter“ an, den die DDR-Bürger Spitzel nannten. Die Szene spielt sich im derzeit wohl umstrittensten Restaurant Berlins ab: Die Kneipe „Zur Firma“, dem „konspirativen Treff“ in der Normannenstraße, unweit der ehemaligen Stasi-Zentrale, ist nach der Volksmundbezeichnung für die SED-Geheimpolizei benannt.

Seit Tagen berichten darüber die Medien. Wolle Schmelz, 53, der aus Westdeutschland stammende Mitinhaber, zapft ein Bier nach dem anderen und gibt sich leutselig: Das ganze sei eben „Erlebnisgastronomie“ und ansonsten „satirischer Ernst“, fast 20 Jahre „danach“ solle man doch „entspannter“ damit umgehen.

Vor ein paar Monaten kamen Schmelz und sein ostdeutscher Kompagnon Willi Gau, 60, auf die Idee, zum 20. Jahrestag des Mauerfalls mit einer „DDR-Kneipe“ in- und ausländische Touristen anzulocken.

Das Konzept scheint aufzugehen, denn die 2,80 Euro für „Soljanka“ und die 1,80 Euro für das kleine Bier geben im Moment vor allem Berlinbesucher aus – so zum Beispiel der 69jährige Jürgen Klemm aus Stuttgart. Er ist mit seiner amerikanischen Frau auf Stippvisite in der Hauptstadt und wollte nur einmal vorbeischauen. „Die Sendung von der BBC gestern im Fernsehen hat mich neugierig gemacht“, sagt er, indem er sein Bier austrinkt, und: „Ich finde es okay und einen guten Ansatz, Geschichte erlebbar zu machen.“ Ob er denn auch in ein Lokal gehen würde, wo SS-Runen hingen und Hakenkreuze? „Klar“, meint er lächelnd, „wenn man dort für meine Sicherheit garantiert.“

Seine korpulente Frau mit ihrer goldumrandeten Brille nickt zustimmend. Beide bestellen beim Wirt noch ein Bier, und als Schmelz die Gläser auf die Theke stellt, murmelt er: „Bei mir verkehren selbst ehemalige Stasiopfer und nehmen es locker.“

Zu denen gehört allerdings nicht Siegfried Reiprich. Den heutigen stellvertretenden Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen schloß man in der DDR vom Philosophiestudium aus, er saß im Gefängnis und wurde lange Jahre von der Stasi bespitzelt. Wie viele andere ist er über die Geschäftsidee empört. Auf solch dumme und geschmack-lose Weise den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen ist für ihn „Ausdruck moralischen Niedergangs der Gesellschaft“.

„Es ist Zynismus“, sagt er am Telefon, „Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer Leute.“ Ein anderer Gast, ein älterer Herr, der gleich um die Ecke wohnt, zuckt bei solchen Urteilen nur stumm mit den Schultern.

In der DDR war er in der Armee, nun hat er seine Uniformjacke mitgebracht, um sie Schmelz zu schenken: „Was soll sie zu Hause im Kleiderschrank Platz wegnehmen“, sagt er gleichmütig. „Sie kann genausogut hier hängen.“

Er reicht dem Wirt die Jacke rüber, nimmt einen kräftigen Zug und starrt vor sich hin.

Später wird es an der Theke laut. Ein Mann um die 50 Jahre erklärt aufgebracht, daß er bei der NVA „eineinhalb Jahre eingesperrt“ gewesen sei und „Wessis eh keine Ahnung hätten“.

Die angetrunkene Frau schiebt ihn unwillig zurück, ein Glas fällt um und Bier läuft von der Theke. Schmelz zapft kichernd ein weiteres Glas, der Mann mit der Uniformjacke schüttelt müde den Kopf.

Beim Rausgehen entdeckt man eine Karikatur an der Wand, die ehemalige DDR-Oppositionelle zeigt – „Wiederstandskämpfer“ hat jemand in fehlerhaften Deutsch darunter geschrieben.


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