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16.08.08 / Der Anfang vom Ende / Der »Prager Frühling« 1968 setzte für den gesamten Ostblock Zeichen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Der Anfang vom Ende
Der »Prager Frühling« 1968 setzte für den gesamten Ostblock Zeichen
von Hans Heckel

Man ist klüger, wenn man vom Rathaus kommt – das alte Sprichwort warnt davor, Entwicklungen, die im Nachhinein vollkommen logisch erscheinen, für historisch zwingend zu halten. Stets gilt: Es hätte auch anders kommen können.

Beim Blick auf den „Prager Frühling“ vor 40 Jahren fällt es jedoch schwer, keine durchgehende Linie von seiner Niederschlagung am 21. August 1968 zu den demokratischen Revolutionen des Jahres 1989 zu entdecken. Die rollenden Panzer von Prag manifestierten endgültig die totale Entfremdung der kommunistischen Machthaber von ihren Völkern und zerstörten bei Millionen Menschen die letzte Hoffnung, daß es ein Leben in Freiheit und Würde im Sozialismus jemals geben könnte.

Vom Arbeiteraufstand in der DDR 1953 über den Ungarn-Aufstand 1956 bis zum Mauerbau 1961 hatten die roten Machthaber zwar schon mehrfach demonstriert, daß es mit ihnen keinen wie auch immer gearteten „Aufbruch“ geben würde. Dennoch keimte in den 60er Jahren erneut Hoffnung auf. Teilweise war sie von der Führung selbst beflügelt worden. Seit Ende 1961 wurde in etlichen Ostblockstaaten, auch in der CSSR, Polen und der DDR, offiziell über Wirtschaftsreformen nachgedacht.

Als die Machthaber etwa in der DDR erkannten, daß aus den Wirtschaftsreformen eine Reform der Machtstrukturen hätte erwachsen konnten, stoppten sie den gerade begonnenen Prozeß der Öffnung. Das Jahr 1965 markiert die Rolle rückwärts, beileibe nicht nur in der Wirtschaftspolitik. Beispielhaft mag der 1965 gedrehte DDR-Film „Spur der Steine“ mit Manfred Krug in der Titelrolle eines aufmüpfigen Arbeiters stehen.

In der CSSR indes ging der Reformprozeß behutsam weiter, um 1968 seinen spektakulären Höhepunkt zu erreichen. Auch Hunderttausende Deutsche aus der DDR reisten im Sommer jenes Jahres an die Moldau und erlebten den atemberaubenden Aufbruch. Sie trugen den Bazillus der Sehnsucht nach Veränderung mit in ihre Heimat. Durch Polen fegte 1968 eine offene studentische Protestwelle.

Nach der Niederschlagung des Prager Experiments hagelte es auch außerhalb der CSSR Verhaftungen, kam es zu vereinzelten Protestaktionen in der DDR und anderswo. Die bleierne Epoche, die nun einsetzte, bekam später das Siegel „Zeit der Stagnation“. Paradox bis heute: Just in jenem Jahr, als westdeutsche, westeuropäische und amerikanische Studenten und Intellektuelle den Sozialismus als Heilslehre massenhaft für sich entdeckten, war diese Idee für Millionen ihrer desillusionierten Alterskollegen in den sozialistischen Ländern ein für allemal gestorben.

Die Ruhe, die nach 1968 im Ostblock einkehrte, war jedoch oberflächlich. Schon 1970 erschütterte der nächste Arbeiteraufstand Polen, seit 1977 nahm die tschecho-slowakische Dissidentengruppe „Charta 77“ mit Vaclav Havel die kommunistischen Führungen bei dem Wort, das sie in der KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 gegeben hatten.

Die große Mehrheit schloß sich ein in ihren „Nischengesellschaften“: Angesichts der Aussichtslosigkeit, das System von innen heraus zu reformieren, richtete man sich so gut es ging ein. Es folgten Jahre eines fragilen Burgfriedens, in welchen die Führung versuchte, dem Volk durch materielle Verbesserungen entgegenzukommen.

Als sich in den späten 70er Jahren indes die materielle Versorgungslage zu verschlechtern begann, erodierte nach und nach jener vordergründige Frieden. Das Fanal des letzten Akts setzten die polnischen Arbeiter mit dem Solidarnosc-Aufstand vom August 1980 bis zur Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981.

Die parallel zu den wieder aufkeimenden politischen Unruhen weiter abwärts zeigende wirtschaftliche Entwicklung ließ die Unzufriedenheit ebenso steigen wie das Gefühl, daß die scheinbar allmächtige sozialistische Führung Alltagsproblemen hilflos gegenüberstand.

Anfang der 80er Jahre häuften sich die Zeichen des ökonomischen Verfalls. Gleichzeitig sammelten sich in der DDR erste Oppositionszirkel in kirchennahen Gruppen. Während in Intellektuellen-Kreisen indes weiterhin die Idee eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, einer verbesserten DDR also, ventiliert wurde, hatten große Teile der normalen DDR-Bevölkerung ihre Lehre aus den zurückliegenden Enttäuschungen gezogen. Dies sollte sich 1989/90 zur großen Enttäuschung vieler DDR-Intellektueller überdeutlich erweisen: Nicht mehr die Reform des Sozialismus stand auf der Agenda der Demonstranten, sondern seine Abschaffung, nicht eine bessere DDR war ihr Ziel, sondern die deutsche Einheit.

Mit dem Machtantritt von Michail Gorbatschow in Moskau stieß 1985 ein Mann an die Spitze der sowjetkommunistischen Staatenwelt, der die Unweigerlichkeit einer grundlegenden Wende erkannt hatte. Die erstarrten Führer der Satellitenstaaten standen nun in der Klemme: In ihren Völkern hatten sie jeden Kredit verspielt, mit Gorbatschow zerstob nun auch noch ihr panzerbewehrter Rückhalt durch den Kreml.

Bezeichnend ist, daß Prags Machthaber Gustav Husak von allen „Betonköpfen“ am schnellsten begriff, daß jede Hinhaltetaktik zum Zwecke des Machterhalts zwecklos war. Er trat noch am Tage der „Samtenen Revolution“, dem 10. Dezember 1989, zurück, während etwa die SED-Führung noch um die Reste ihrer erodierenden Macht feilschen wollte. Doch den Zeitpunkt für solche Manöver hatten die roten Despoten lange verpaßt, spätestens seit jenem 21. August 1968.

Foto: Geschafft: 1989 ließen die Soldaten die Menschen gewähren.

 

Zeitzeugen

Alexander Dubcek – Mit seinem Aufstieg zum Ersten Sekretär der Tschechoslowakischen Kommunisten begann Anfang 1968 die Reformpolitik. Nach dem Ende des Prager Frühlings wurde der Slowake Dubcek (1921–1992) Schritt für Schritt degradiert und mußte sich nach seinem Ausschluß aus der Partei 1970 als Waldarbeiter durchschlagen. 1989 rehabilitiert  starb er 1992 an den Folgen eines Autounfalls, dessen Umstände bis heute nebulös blieben.

 

Gustav Husak – Husak (1913–1991) folgte Dubcek 1969 an der Spitze der KP. Obwohl in den 50ern selbst lange in politischer Haft und am Prager Frühling beteiligt, wurde er ein treuer Satrap Moskaus. Zuletzt noch Staatspräsident trat Husak am Tage der friedlichen Revolution, dem 10. Dezember 1989, zurück.

 

Jan Palach – Schon sein Vater muße unter den Kommunisten leiden. Das Süßwarengeschäft von Palach senior wurde 1948 enteignet, er mußte sich in Fabriken verdingen und starb 1961. Sein Sohn Jan war da gerade 13. Als Stundent an der Prager Karlsuniversität war Jan Palach aktiv bei den Studentenprotesten gegen die Niederschlagung der Reformbewegung. Am 16. Januar zündete er sich auf dem Wenzelsplatz an und starb drei Tage später an den Verbrennungen. Heute ist Pallach, dem noch zwei weitere tschechische Selbstverbrenner folgten, ein Nationalheld.

 

Leonid Breschnew – Der damalige starke Mann der UdSSR ließ den Prager Frühling durch die Truppen des Warschauer Pakts  blutig niederschlagen. Danach erließ Brechnew (1907–1982) die nach ihm benannte Doktrin über die „begrenzte Souveränitat“ der Staaten des Ostblocks.

 

Heinz Hoffmann – Entgegen einer verbreiteten Meinung war die NVA der DDR nicht direkt am Einmarsch in die CSSR beteiligt. DDR-Verteidigungsminister war von 1961 bis zu seinem Tode 1985 der 1910 geborene Heinz Hoffmann. Hoffmann hatte bereits am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen und später im Zweiten Weltkrieg für Stalins berüchtigten Geheimdienst NKWD gearbeitet. Im August 1968 blieb seine NVA lediglich in Bereitschaft.


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