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16.08.08 / Gleichheit vor Freiheit? / Geschichte des Neoliberalismus und Plädoyer für dessen Wiederentdeckung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Gleichheit vor Freiheit?
Geschichte des Neoliberalismus und Plädoyer für dessen Wiederentdeckung

„Neoliberalismus“ ist heute zu einem „Kampfbegriff“ (Hans Willgerodt) und zu einer Propagandavokabel seiner Gegner geworden. Dabei gerät dann oft in Vergessenheit, daß er zunächst einmal eine wirtschaftswissenschaftliche und politische Richtung oder „Schule“ bezeichnet, die Anspruch hat auf eine seriöse Darstellung und Beurteilung. Philip Plickert, Autor der vorliegenden Studie und wirtschaftspolitischer Redakteur der „FAZ“, ist jedenfalls dieser Auffassung, wenn er der Geschichte und Gegenwart des Liberalismus in unserer Zeit nachgeht und dabei die Mont Pelerin Society (MPS) in den Mittelpunkt stellt, die einst Friedrich von Hayek 1947 ins Leben rief.

In vier großen Kapiteln verfolgt Plickert sein Thema, beginnend mit der Entstehung der neoliberalen Gegenbewegung gegen die totalitären Systeme und Ideologien der 30er Jahre und gegen den „keynesianischen Konsens“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorausgegangen war die Epoche des klassischen Liberalismus und seiner Freihandelslehre vor allem angelsächsischer Prägung, deren Niedergang bis 1914 unverkennbar war. Plickert gibt keine wirtschaftswissenschaftliche Dogmengeschichte, sondern fügt sein Thema ein in einen weiten ideen- und politikgeschichtlichen Rahmen, und er macht auch das Spektrum der Positionen und Schulen deutlich, die sich in der MPS sammelten: Vertreter der Wiener Schule wie Hayek und Mises, der Freiburger ordoliberalen Schule um Eucken, Röpke, Rüstow, der jüngeren Chicagoer Schule der Monetaristen um Milton Friedman, aber auch bis hin zu den „Supply Siders“ in den USA und Großbritannien. Ihren akademischen Durchbruch erlebten die Neoliberalen, als Hayek und Friedmann den Nobelpreis der Wirtschaftswissenschaften erhielten (1974 und 1976). Ludwig Erhard führte ihre Ideen bald nach dem Krieg zu einem unerwarteten politischen Erfolg. Und dann kam es nach dem Scheitern der keynesianischen Vollbeschäftigungspolitik in den 70er Jahren zu einer neoliberalen „Gezeitenwende“ durch Margret Thatcher in England und Ronald Reagan in den USA, während sie in Deutschland nach dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 doch nur zu einer „halbherzigen Wende“ führte.

Plickerts Buch verdient nicht zuletzt deshalb Beachtung, weil es schwierige wirtschaftswissenschaftliche Fachprobleme in einer auch für den interessierten Laien verständlichen und anregenden Sprache zur Darstellung bringt. Hinzu kommt, daß der Verfasser sich nicht scheut, seine eigenen ideengeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Positionen deutlich werden zu lassen, zum Beispiel seine Sympathie für die deutschen Ordoliberalen, insbesondere für Wilhelm Röpke.

In dem Resumee des Buches und seinem Ausblick in die nähere und fernere Zukunft macht der Autor kein Hehl aus seinen ideellen und wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen, wie an seinen kritischen Einlassungen zu den „Fehlern der Wiedervereinigung“ nach 1989 und ebenso zum supranationalen und bürokratischen Zentralismus „Brüssels“ deutlich wird. Hier teilt er die kritische These etwa des neoliberalen amerikanischen Ökonomen James M. Buchanan „Socialism is dead, Leviathan lives on“.

Nicht ohne Sorge sieht Plickert die aktuelle Lage in Deutschland, wo die Schätzung der Gleichheit vor der Freiheit wieder auf dem Vormarsch ist und nach Umfragen sich 65 Prozent der Bevölkerung für den paternalistischen Staat und seine scheinbare Sicherheit entscheiden, unbeeindruckt von erdrückenden Tatsachen wie den 1500 Milliarden Euro öffentlicher Gesamtverschuldung, die sich in den letzten 40 Jahren aufgebaut haben, und heute die dramatische Marke von rund 70 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts erreichen. Diese Überlegungen münden in der besorgten Skepsis des Verfassers, ob die neoliberalen Kräfte überhaupt noch argumentativen Zugang zu diesen neuen Konfliktfronten und Verständnis bei einem größeren Teil der Bevölkerung zu finden vermögen.

Plickerts Buch ist mehr als eine überaus informative Geschichte des Liberalismus in Deutschland und dem Westen während der letzten 100 Jahre. Es gibt auch eine dringend notwendige Positionsbestimmung freiheitlicher Politik in unserer Zeit. Man möchte daher die Untersuchungen und Folgerungen dieses Buches nicht zuletzt den Politkern empfehlen als Vermittlung verläßlicher Leitlinien für die Bewältigung der schwerwiegenden Probleme und Aufgaben unserer Gegenwart und nächsten Zukunft. Klaus Hornung

Philip Plickert: „Wandlungen des Neoliberalismus“, Lucius und Lucius, Stuttgart 2008, geb., 516 Seiten, 59 Euro


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