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23.08.08 / Die Leistung muß zählen / Haus- und Fachärzte fordern mehr Gerechtigkeit bei ihren Honoraren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

Die Leistung muß zählen
Haus- und Fachärzte fordern mehr Gerechtigkeit bei ihren Honoraren
von Rebecca Bellano

Zusammen mit dem Gesundheitsfonds ist die Reform der Arzthonorare das Herzstück der aktuellen Gesundheitsreform. Beides soll zum 1. Januar 2009 in Kraft treten, und genau wie beim Gesundheitsfonds gibt es noch einige offene Punkte. Während jedoch die Planungen für den Gesundheitsfonds relativ geräuschlos hinter den Kulissen verlaufen, gibt es um die Gehälter der niedergelassenen, freien Mediziner viel Getöse. Verhandlungen wurden unterbrochen, und sogar von Streik war die Rede.

Dabei geht es eigentlich um einen Aspekt, bei dem sich gesetzliche Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) als Hauptinteressenvertreter der Ärzte und Psychotherapeuten in der Sache einig sind. Jeder Mediziner darf bei Kassenpatienten nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab abrechnen. Für jede Leistung wird hier ein entsprechender Punktwert angegeben. Diese Punkte werden addiert und dann am Ende einer Abrechnungsperiode online oder per CD – Papier ist kaum noch üblich – an die regionale KV übermittelt. Diese überprüft, wieviele Punkte insgesamt im Quartal eingereicht wurden und rechnet gegen, wieviel Geld sie zur Verfügung hat. Das Jahresbudget stammt von den Beträgen, die einmal im Jahr von den Krankenkassen in Form einer Pauschale für jeden Beitragszahler – nichtzahlende Familienangehörige sind mitversichert – an die KV überwiesen werden. Theoretisch sollte jeder Punkt 5,11 Cent wert sein, damit die Praxen kostendeckend arbeiten können. In den letzten Quartalen erreichte ein Punkt jedoch nur den Wert von durchschnittlich 3,7 Cent – regionale Unterschiede, die über Ost- und West-Unterscheidung hinausgehen, und eine Differenzierung zwischen Haus- und Fachärzten kann auch Cent-Beträge über, aber auch unter dem Durchschnitt bedeuten. Für die ambulanten Ärzte ist es verständlicherweise inakzeptabel, daß sie erst im Nachhinein erfahren, was ihre medizinischen Leistungen wert waren. Und je mehr Punkte sie einreichen, desto weniger ist der einzelne Punkt wert, da das Jahresbudget, das unter den 145000 Kassenärzte und Psychotherapeuten verteilt werden darf, spätestens zum Jahresanfang auf derzeit 23 Milliarden festgelegt wird. Die Mediziner tragen also das Morbiditätsrisiko: Sind die Deutschen in einem Quartal besonders krank, dann gibt es zwar mehr Punkte einzureichen, doch dividiert durch das zur Verfügung stehende, gedeckelte Budget, sind die einzelnen Punkte dann weniger wert. Die Abrechnung erfolgt also nicht nach Bedarf, sondern nach der alternden Gesellschaft nicht angepaßten Parametern.

Diese Ungerechtigkeit soll ein Ende haben, und daher soll es einen festen Orientierungspunktwert geben, so daß die Ärzte nicht erst Monate später erfahren, was ihre Leistung wert war, sondern gleich wissen, wieviel Cent es pro Punkt gibt. Dieser Punktwert soll bundeseinheitlich näher an den theoretischen 5,11 Cent liegen, so daß auch Ärzte in Ost und West gleich bezahlt und auch Haus- und Fachärzte einander anglichen werden. Allerdings dürfe, damit die Kosten nicht explodieren, nur eine gewisse Anzahl von Punkten eingereicht werden. Doch die KV freut sich, da der „Honorardeckel“ zumindest zu einem „Honorarsieb“ würde.

Problem bei der Umsetzung der Idee ist, daß, wenn niemand weniger Geld bekommen soll, mehr Geld in den Topf der KV muß. Die Kassen bieten derzeit zwei Milliarden Euro, doch das ist den Medizinern zu wenig, so daß diese die Verhandlungen bis zum 28. und 29. August trotz bereits eingesetztem Schlichter ausgesetzt haben.

„Die Geldbeutel der Versicherten sind kein Selbstbedienungsladen für Arzthonorare, den man nach Belieben anzapfen ... kann“, heißt es von Seiten des Verhandlungsführers der gesetzlichen Krankenkassen. Außerdem bräuchten die Mediziner mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von rund 120000 Euro nicht zu klagen. Doch der Deutsche Facharztverband wehrt sich und verweist darauf, daß es sich bei den 120000 Euro bei vielen um Umsätze und nicht um Gewinne handele. So würde nach Abzug von Praxismiete, Gehälter für Arzthelferinnen, Versicherungen, Steuern und ähnlichem deutlich weniger bleiben. Ein Drittel der niedergelassenen Ärzte verdiene angeblich unter 2000 Euro netto.

Der Deutsche Facharztverband verweist auf ein durchaus vorhandenes Problem, stellt aber zugleich selbst ein Problem dar. Fachärzte erhalten grundsätzlich mehr Punkte für ihre Leistungen als Hausärzte, eine Besserstellung der gebeutelten Hausärzte könnte zu Lasten der Fachärzte gehen. „Fachärzte haben einen hohen Investitionsbedarf, anders die sprechende Medizin der Hausärzte“, so die Spezialisten. Auch sei es unfair, daß die ambulanten Versorger, die 95 Prozent der medizinischen Leistungen erbringen, nur 15 Prozent des Budgets der 221 gesetzlichen Kassen erhalten, während Kliniken, die die verbleibenden fünf Prozent erbringen, 33,3 Prozent, also 51,1 Milliarden Euro, erhalten und noch mehr bekommen sollen.

Zwei Milliarden für die KV können also nicht genügen, um alle, zum Teil auch berechtigten Interessen ihrer in Fach- und Haus-Ärzte, Ost und West, Nord und Süd gespaltenen Klientel zu befriedigen. Sollte es zwischen KV und Kassen bis Ende August zu keiner Einigung kommen, entscheidet der Bund. Dieser soll angeblich der KV 2,5 Milliarden Euro zugesagt haben. Offiziell wird dies zwar nicht bestätigt, doch die KV setzt darauf und will offenbar keine Einigung mit den Kassen, die nur zwei Milliarden Euro bieten.

Foto: Endlich mehr Geld: Viele Mediziner sind unzufrieden.

 

Zeitzeugen

Ulla Schmidt – Seit 2001 ist die 1949 Geborene Bundesministerin für Gesundheit. Im Jahr 2003 hatte sie noch das Ziel, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen zu senken. Inzwischen versucht sie nur noch, die Kostenexplosion zu begrenzen. Kritiker merken an, daß die von ihr angeführten Reformen der letzten Jahre bisher nur unausgegorenes Stückwerk sind.

Andreas Köhler – Der 1960 geborene studierte Mediziner und Betriebswirtschaftler ist seit 2005 Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Dachorganisation der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in Deutschland. Die KV ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Sie untersteht der staatlichen Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit.

Otto von Bismarck – Der erste Reichskanzler des Deutschen Kaiserreiches (1815–1898) setzte innen- wie außenpolitisch feste Maßstäbe. Obwohl das von ihm initiierte Kaisertum im Ersten Weltkrieg endete, hat er trotzdem Bleibendes hinterlassen. Das von ihm ins Leben gerufene Sozialversicherungssystem existiert von der Grundidee bis heute fort. Geplant war zunächst nur eine Unfallversicherung, doch Versicherungen gegen Krankheit, Invalidität und Altersarmut kamen hinzu.

Hermann Hartmann – Der praktische Arzt und Geburtshelfer (1863–1923) veröffentlichte aufgrund von Unzufriedenheit mit der ärztlichen Entlohnung 1900 einen offenen Brief an die Ärzteschaft. Zusammen mit 20 Kollegen gründete Hartmann am 13. September 1900 den „Leipziger Verband“, später Hartmannbund.

Heinrich Brüning – Der Zentrumspolitiker (1885–1970) war von 1930 bis 1932 Reichskanzler der Weimarer Republik. In seine Amtszeit fiel die Weltwirtschaftskrise, die die sowieso schon instabile, junge Demokratie weiter schwächte. Allerdings hatte der hauptsächlich durch Notverordnungen Regierende kaum Alternativen. In seine Amtszeit fällt die Gründung der Kassenärztlichen Vereinigung.


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