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30.08.08 / Aktienkurse statt Krieg / Russen fürchten Folgen der Weltpolitik für ihr Vermögen und ihr Prestige

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Aktienkurse statt Krieg
Russen fürchten Folgen der Weltpolitik für ihr Vermögen und ihr Prestige
von M. Rosenthal-Kappi

Mehr als der kriegerische Konflikt in Georgien selbst beschäftigt die Russen der Medienkrieg der westlichen Presse gegen ihr Land. Denn dort herrscht das stereotype Bild des aggressiven Sowjetimperiums vor, das seinen Einfluß auf ehemals zur Sowjetunion gehörende Territorien mit gewaltsamen Mitteln zurückgewinnen will, und es entsteht der Eindruck, daß es überhaupt keine freien Medien mehr gebe, sondern alles vom „regierenden Ministerpräsidenten Putin“ gelenkt werde. Berichte in russischen Medien zeugen davon, daß Rußland sich als militärisch gestärkt aus dem Konflikt hervorgegangen betrachtet. Die Doppelregierung Medwedew-Putin hat der Welt bewiesen, daß sie in der Lage ist, auf ihren Standpunkten zu beharren und ihre Interessen auch auf internationaler Bühne zu verteidigen. Rußlands Antwort auf Drohungen seitens der USA bezüglich seiner Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) oder der Befürwortung eines baldigen Nato-Beitritts Georgiens strotzt vor Selbstbewußtsein. Putin machte deutlich, daß die Zeit der unterwürfigen Haltung gegenüber den Forderungen des Westens endgültig vorbei sei, als er erklärte, der WTO-Beitritt Rußlands bringe nur geringe Vorteile für die russische Wirtschaft, während die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Aufnahme erhebliche Lasten für sie bedeute. Hier müsse ohnehin nachverhandelt werden. Der Konfrontation mit dem Westen oder der Nato scheint Rußland eher gelassen zu begegnen.

So sieht es aber längst nicht jeder im großen Rußland. Wenn auch keine direkte Kritik am Vorgehen der russischen Armee in Südossetien und Georgien zu vernehmen ist und der Großteil der Bevölkerung sich eher unpolitisch verhält, macht sich doch gerade im Lager derer, die aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen, große Besorgnis breit. Eine der schwerwiegendsten Folgen des Krieges ist der Vertrauensverlust bei ausländischen Investoren und die damit verbundene Kapitalflucht. Der russische Aktienmarkt, bereits leicht geschwächt durch die internationale Bankenkrise, mußte innerhalb  weniger Stunden nach Ausbruch des Krieges im Kaukasus empfindliche Verluste hinnehmen. Der russische Aktienindex RTS verlor 3,17 Prozent. Verluste erlitten zwar vor allem die großen Firmen mit staatlicher Beteiligung, doch sind von der Krise alle betroffen, wenn ausländische Investoren ihr Kapital weiter abziehen. Zur Verunsicherung der Anleger hat neben der Kaukasus-Krise die ungeklärte Situation beim Metallkonzern Mechel (die PAZ berichtete) und beim Aktionärsstreit zwischen britischen und russischen Investoren bei TNK BP geführt.

Das Verhältnis der Russen zu ihren Firmen hingegen hat sich grundlegend verändert wie auch die Gesellschaft im allgemeinen. Glaubten sie vor einigen Jahren noch daran, daß die russischen Unternehmer nur für ihren eigenen Gewinn tätig seien, so meint laut der jüngsten Umfrage des Levada-Zentrums über die Hälfte, daß die heimischen Unternehmen dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Unter den positiven Antworten überwogen die der unter 40jährigen. Diese Einschätzung ist auf den allgemein gestiegenen Wohlstand der Bürger während der Amtszeit Putins zurückzuführen. Die Russen haben aufgeholt. Vor allem jüngere Erwerbstätige, die über eine gute Ausbildung verfügen, können sich von ihrem verdienten Geld etwas leisten. Viele Menschen, die sich nach dem Fall der Sowjetunion schon im mittleren Alter befanden, begaben sich wieder in Ausbildung, verfügen nicht selten über mehrere Studienabschlüsse und konnten so Schlüsselpositionen in den neu gegründeten Privatfirmen einnehmen. Sogenannte „neue Russen“ legen großen Ehrgeiz an den Tag, sie machen Überstunden und arbeiten auch am Wochenende. Dafür gönnen sie sich im privaten Bereich einigen Luxus, den sie sich von keiner Politik wieder streitig machen lassen würden. Für die große Politik zeigen sie wenig Interesse.

Seit dem Ende der Sowjetunion wurden nicht nur die Wohnungen größer und moderner, es gibt auch  immer mehr Menschen, die sich Autos, Häuser oder Eigentumswohnungen und Fernreisen leisten können. Wer das Glück hat, einen Posten in der gehobenen oder mittleren Führungsetage einzunehmen, schickt seine Kinder zum Studieren ins Ausland, um ihnen erstens eine erstklassige Ausbildung zukommen zu lassen und zweitens, das gilt für die Söhne, sie vorm Militärdienst in Sicherheit zu bringen. Ein Wandel von der angepaßten Sowjetmasse zu einer Bürgergesellschaft deutet sich hier an.

Die Schere zwischen Arm und Reich sowie der Unterschied zwischen Stadt und Land klafft indessen auseinander. Um dort den Wohlstand weiter voranzutreiben, ist es zwingend notwendig, daß der Staat in Zukunft wirtschaftliche Perspektiven für die weit entlegenen Landesteile schafft. Premierminister Putin hat bereits Reformen im Gesundheitswesen, im Pensionssystem sowie die Entwicklung der Infrastruktur bis 2020 in Aussicht gestellt.

Der Prestigeverlust im Ausland ist russischen Handeltreibenden nicht gleichgültig. Die „Nesawissimaja gazeta“ kritisiert den Kreml dafür, daß er nichts unter­nimmt, um das Negativtimage Rußlands in westlichen Medien zu korrigieren. Einen Abbruch der Beziehungen halten Wirtschaftsexperten ohnehin für unwahrscheinlich. Die Geschäfte, auch zwischen amerikanischen und russischen Unternehmen, laufen unterdessen weiter. In Mos-kau sind zahlreiche georgische Firmen tätig. „Solange  gute Gewinne winken, wird niemand alle Investitionen aus Rußland zurückziehen“, meint Finanzexperte Sergej Aleksaschenko selbstbewußt.

Foto: Besorgniserregend: Russische Aktien stürzten in den Keller.

 

Zeitzeugen

Michail Gorbatschow – Mit „Glasnost“ und „Perestrojka“ setzte er ab 1985 einen Demokratisierungsprozeß in Gang. Rußland öffnete sich in Richtung Westen, der Stalinkult galt als beendet. Gorbatschows Ideal eines sozialdemokratischen Kommunismus scheiterte.

 

Boris Jelzin – Er vereitelte 1991 den Putschversuch des russischen Militärs gegen Gorbatschow, wurde anschließend der erste frei gewählte Präsident der Russischen Föderation. Zu seinen Verbündeten zählten liberale Reformer und Unternehmer, die das Land durch wilden Kapitalismus ins Chaos stürzten. Die schwere Wirtschaftskrise 1998 führte zum Ausverkauf von Staatsunternehmen, was den Aufstieg superreicher Oligarchen vorantrieb. Während sie Öl- und Gasbetriebe unter sich aufteilen, verfiel Jelzin dem Alkoholismus.

 

Garri Kasparow – Der ehemalige Schachweltmeister gilt als stärkster Spieler der Schachgeschichte. 2005 zog er sich vom Schachsport zurück, betätigt sich seitdem als Oppositionsaktivist, unter anderem für das Protestbündnis „Das andere Rußland“. 2007 verweigerte ihm das von Putin eingesetzte Wahlkomitee die Kandidatur zu den Duma-Wahlen. Kasparow übte harsche Kritik an Putin, verglich ihn mit einem Mafioso. Er organisierte zahlreiche nicht genehmigte Demonstrationen, wurde mehrfach verhaftet. In diesem Jahr gründete er das „Komitee 2008: Freie Wahlen“.

 

Michail Chodorkowskij – Das prominenteste Opfer Putins verbüßt eine achtjährige Lagerhaft in Sibirien. In der Jelzin-Ära zum reichsten Oligarchen Rußlands aufgestiegen, leitete er mit Yukos einen der führenden Rohstoffkonzerne, der im Westen als transparentes Vorzeigeunternehmen galt.

 

Juri Andropow – Er galt als intellektuell, bescheiden und asketisch. Andropow wurde 1983 Generalsekretär der KPdSU, doch aufgrund schwerer Krankheit dauerte seine Amtszeit nur 15 Monate. Andropow sah die Notwendigkeit einschneidener Reformen, um den Verfall der Sowjetunion aufzuhalten. Er bemühte sich um Disziplin und Ordnung, sagte Korruption, der Veruntreuung von Staatseigentum und Vetternwirtschaft den Kampf an.


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