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30.08.08 / Kinder als Last / Italien: Von der Großsippe zur Einkindfamilie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Kinder als Last
Italien: Von der Großsippe zur Einkindfamilie
von Sophia E. Gerber

Immer noch suggeriert so manche Werbung das Klischee der italienischen Großfamilie. Die Mamma kocht einen großen Topf Pasta und eine Schar Bambini hängt mit hungrigen Augen an ihrem Rockzipfel. Das Idealbild der zusammenhaltenden Sippschaft stammt aus der armen Agrarzeit, doch mit der Industrialisierung, der damit verbundenen Abwanderung in die Großstädte und dem wachsenden Mittelstand sind die Mehrgenerationenhaushalte zurückgegangen und die Geburtenzahlen stetig gesunken. Heute gehört Italien mit 1,2 Nachkommen pro Frau neben Spanien und Griechenland zu den EU-Ländern mit der niedrigsten Geburtenrate. Die Überalterung und Verringerung der Bevölkerung wirkt sich wiederum negativ auf das Wirtschaftswachstum und die sozialen Sicherungssysteme aus.

 Ursache für den demographischen Kollaps ist in erster Linie die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Seit den 1970er Jahren haben immer weniger italienische Frauen Lust, sich nur um Heim und Herd zu kümmern. Während die weibliche Erwerbstätigkeit im Süden nur 29 Prozent beträgt, liegt sie im Norden bei 42 Prozent. Der Staat prämiert jedoch weiterhin das traditionelle Modell des männlichen Alleinverdieners und der Hausfrauenehe. Rechtlich und steuerlich am schlechtesten gestellt sind dagegen berufstätige Mütter, Paare ohne Trauschein und Alleinerziehende. Teilzeitarbeit ist ein Fremdwort in Italien.

Katastrophal sieht es ebenfalls bei der Kinderbetreuung aus. Die Wartelisten für öffentliche Krippen und Kindergärten sind meterlang. Die meisten Schulen haben nur halbtags geöffnet. Katholische Privathorte mit Nachmittagsangebot sind selten und teuer. Den Institutionen lastet nach wie vor ein schlechtes Image an, weil sie ursprünglich für Waisenkinder oder Kinder aus ärmeren Verhältnissen gedacht waren. Lediglich die staatlichen Vorschulen sind flächendeckend gut ausgebaut. 90 Prozent der Fünfjährigen besuchen die scuola materna.

Auch finanziell greift die Familienpolitik, die derzeit keinem bestimmten Ministerium obliegt, Eltern kaum unter die Arme. Zwei Monate vor und drei Monate nach der Entbindung gibt es einen gesetzlichen Mutterschutz bei 80 Prozent Lohnfortzahlung. Danach können Mütter und Väter einen Erziehungsurlaub von insgesamt elf Monaten in Anspruch nehmen, allerdings bei einem Gehaltsausgleich von lediglich 30 Prozent. Kindergeld und Steuererleichterungen gesteht der Staat nur einkommensschwachen Familien mit drei und mehr Kindern zu. Vor drei Jahren schenkte Premier Silvio Berlusconi allen Neugeborenen dieses Jahrgangs 1000 Euro – ein Witz angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten.

Der Trend geht zum Einzelkind. Anders vermögen Eltern gar nicht, Berufstätigkeit, Haushalt und Erziehung unter einen Hut zu bringen und einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Die Familie dient als Auffangnetz für mangelnde wohlfahrtsstaatliche Leistungen. Sie übernimmt Aufgaben von der Kinderobhut bis hin zur Kranken- und Altenpflege, die nicht selten die gesamte Verwandtschaft einspannen. Hohe Studiengebühren, unsichere Arbeitsverhältnisse und teure Wohnungen zwingen zudem viele junge Italiener, im Elternhaus zu bleiben. Über zwei Drittel der 18- bis 35jährigen logieren noch im Hotel Mamma und genießen den kostenfreien Wasch-, Putz- und Kochservice. Der späte Auszug zögert die Phase der Heirat und Familiengründung immer weiter hinaus oder läßt sie erst gar nicht beginnen. Die Regierung versucht nun den bamboccioni („Nesthocker“) mit geringfügigen Steuervergünstigungen und billigen Mietkrediten zu helfen, flügge zu werden.


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