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30.08.08 / Alte Rechte und uralte Rechnungen / Moskau erkennt Abchasiens Unabhängigkeit an – Vertreibung der Georgier hält an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Alte Rechte und uralte Rechnungen
Moskau erkennt Abchasiens Unabhängigkeit an – Vertreibung der Georgier hält an
von Hans Heckel

Geht es nach Moskau, dann ist Abchasien seit diesem Montag ein souveräner Staat. Es wäre ein weiterer jener Zwergstaaten, die in Europa immer zahlreicher werden. Obwohl knapp halb so groß wie Thüringen verlieren sich in dem kleinen westkaukasischen Land gerade einmal 200000 bis 300000 Einwohner. Ihre geringe Zahl hat wesentlich mit der leidvollen Geschichte des kleinen Landes zu tun, die von Vertreibungen und brutalen ethnischen Auseinandersetzungen durchzogen ist.

In Abchasien, das von Reisenden wegen seiner wundervollen Landschaft als Paradiesgarten beschrieben wird, lebten laut Volkszählung von 2005 rund 125000 Abchasier, was etwa der Hälfte der Bevölkerung entspräche. Hinzu kommen laut der Zählung 60000 Armenier, 40000 Georgier, 22000 Russen und 6000 Esten.

Daß Russen und Abchasier, wie jetzt gegen Georgien, an einem Strang ziehen, war beileibe nicht immer der Fall: Die gesamte erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von einem jahrzehntelangen Krieg etlicher Kaukasusvölker gegen das vordringende Zarenreich. Nach der endgültigen Niederwerfung Abchasiens 1864 begann Rußland mit der Vertreibung von vier Fünfteln der abchasischen Bevölkerung. Zuvor zählte das Land rund eine halbe Million Einwohner, die fast alle ethnische Abchasier waren. Da die Ahnen vieler Abchasier unter der langen vorherigen Herrschaft der Osmanen zum Islam übergetreten waren, floh damals ein Großteil von ihnen in die nahe Türkei.

Anstelle der verjagten Einwohner siedelten die Zaren Russen und Georgier in dem Gebiet an. So wurden die Abchasier zur Minderheit im eigenen Land. Vor diesem Hintergrund ist die fanatische Weigerung der heutigen Regierung zu verstehen, die Anfang der 90er Jahre vertriebenen rund 200000 Georgier wieder nach Abchasien zu lassen. So leiden die georgischen Flüchtlinge heute für ein Unrecht, das ganz andere den Abchasiern vor anderthalb Jahrhunderten angetan hatten.

Von dieser neuerlichen Tragödie, die mit dem Zerfall der UdSSR einsetzte, bekamen die auf den (gleichzeitig eskalierenden) Balkankonflikt fixierten europäischen Nationen wenig mit. Der Oberste Sowjet Abchasiens setzte am 23. Juni 1992 die alte Verfassung von 1925 wieder in Kraft und erklärte sich für unabhängig von Georgien. Georgien hatte einige Zeit zuvor seine alte Verfassung von 1921 reaktiviert. Abchasien argumentierte, daß sein Gebiet in dieser früheren georgischen Verfassung keine Berücksichtigung finde, und wähnte sich im Recht, seine Unabhängigkeit zu erklären.

Die Folge war ein blutiger Krieg 1992/93, den Abchasien mit Hilfe von Rußland und tschetschenischer (!) Freischärler für sich entschied. Es folgten Flucht und Vertreibung der 200000 Georgier.

So erscheint der Abchasien-Konflikt wie eine weitere Öse in dem gewaltigen kaukasischen Knoten aus Klein- und Kleinstvölkern, die in wechselnden Koalitionen unversöhnlich übereinander herfallen. Ein Gemisch aus alten Rechten und uralten Rechnungen scheint jede Chance auf Verständigung zu ersticken.

Keiner der an der strategisch wichtigen Region interessierten Großmächte ist es bislang gelungen, den gesamten Kaukasus auf Dauer unter ihre Kontrolle zu bekommen. Wohl aber versuchten Reiche wie das russische oder das osmanische, die wechselseitigen Animositäten der Bergvölker für ihre imperialen Zwecke zu nutzen. Daran hat sich offenkundig nichts geändert, nur daß es heute USA, Nato und EU sind, die mit Moskau um Dominanz ringen. Damit sinkt die Chance auf ein halbwegs friedliches Zusammenleben im Kaukasus indes noch weiter.

Beide Seiten – die kleinen Kaukasus-Völker wie ihre großen Schutzpatrone – bestehen darauf, im Recht zu sein. Besonnene Beobachter wenden jedoch ein, daß das Pochen auf formalem Völkerrecht ebenso wenig weiterhelfe wie das Herumreiten auf der moralischen Frage, wer „angefangen“ habe. Dafür überlagerten sich die Rechtsansprüche zu sehr, und einseitige Schuldzuweisungen dienten in der Regel nur dazu, den eigenen Anteil an vergangenem Unrecht zu verdecken – der Balkan läßt grüßen.

Eduard Schewardnadse, unter Gorbatschow Moskaus Außenminister und später Präsident von Georgien, stellte dieser Tage nüchtern fest, daß beide Seiten, Moskau wie Tiflis, Fehler gemacht hätten in dem Konflikt, in dessen Fokus neben Südossetien auch Abchasien steht. Er glaubt dennoch weiterhin an eine friedliche Lösung. Die sei durch den Krieg aber um mindestens zehn weitere Jahre hinausgezögert worden.


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