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30.08.08 / Die Tochter in Sibirien / In die USA emigierte Jüdin sucht ihr bei einem Pogrom verschwundenes Kind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Die Tochter in Sibirien
In die USA emigierte Jüdin sucht ihr bei einem Pogrom verschwundenes Kind

Die Jüdin Lillian Leyb kann sich retten, als ihre Angehörigen einem Pogrom zum Opfer fallen. Ihre kleine Tochter Sophie, die Lillian noch rechtzeitig aus dem Fenster gehoben hat, bleibt nach dem mörderischen Überfall spurlos verschwunden. Und so verläßt Lillian wie betäubt ihren russischen Heimatort und reiht sich ein in die Schlange der Emigranten, die 1920 in New York auf einen Neuanfang hoffen.

In dem Roman „Die unglaubliche Reise der Lillian Leyb“ berichtet Amy Bloom über eine Frau, die den Tod aller ihrer nahstehenden Menschen scheinbar überwindet und stoisch jede noch so schwere Prüfung des Lebens meistert, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Lillian ist niemandes Geliebte; sie wäre gern die von Meyer Burstein, wenn er es wollte – jedes Mädchen in der Theaterschneiderei wäre das gern, auch die Schauspielerinnen und die Frauen, die sich nach seinen Auftritten einfinden, sogar Verheiratete, deren Männer danebenstehen wie Bauern, die ihre Frauen dem Herzog anbieten …“ Und so kommt es, daß Meyer Burstein Lillian, eben weil sie ihn nicht wie die anderen Mädchen anhimmelt, in ein Café einlädt. An diesem Abend lernt Lillian auch Meyers Vater, Reuben Burstein, kennen und schätzen.

Und so passiert es quasi wie von selbst, daß Lillian über kurz oder lang nicht nur die offizielle Geliebte des hübschen, aber eigentlich schwulen Schauspielers, sondern auch die heimliche Affäre von dessen Vater wird.

Weder kitschig noch verwerflich oder anstößig, sondern einfach aus Sympathie und der Not heraus geboren stellt sich Lillians neues Leben dar.

Doch kaum, daß der Leser sich an die unromantischen, aber menschlich tiefergehenden Beziehungsverwicklungen gewöhnen könnte, taucht plötzlich Lillians egoistische Cousine Raisele auf, die danach trachtet, an Lillians Stelle zu treten, um in zierlichen Pantöffelchen in einem weichen Bett schlafen zu können und in schönen Kleidern von Gentlemen in mondäne Cafés ausgeführt zu werden. Und so schmiedet sie einen Plan, der so teuflisch wie sicher ist. Sie erzählt Lillian, daß ihre Tochter Sophie mit Bekannten nach Sibirien gegangen wäre.

Und dies ist der Moment, in der in Lillian der verdrängte Wunsch, ihre Tochter Sophie wieder in die Arme zu schließen, Übermacht über ihr rationales Denken gewinnt und sie sich kurz entschlossen auf eine lange, gefahrvolle, entbehrungsreiche und durch und durch wahnwitzige Suche begibt.

Facettenreich, tiefgründig und mannigfaltig an interessanten Charakteren und Einzelschicksalen ist „Die unglaubliche Reise der Lillian Leyb“. Deren Reise steckt nicht nur für die Protagonistin, sondern auch für den Leser voll von unvorhersehbaren Ereignissen.        A. Ney

Amy Bloom: „Die unglaubliche Reise der Lillian Leyb“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008, geb., 315 Seiten, 19,95 Euro


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