26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.08.08 / Es tut sich was in Palmnicken / Bürgermeister Blinow bemüht sich um eine Renaissance des Ostseebades

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Es tut sich was in Palmnicken
Bürgermeister Blinow bemüht sich um eine Renaissance des Ostseebades
von Janne Neuman

Der russische Bürgermeister von Palmnicken, Alexander Blinow, will an das Flair und die Traditionen der ostpreußischen Seebäder in der Vorkriegszeit anknüpfen. Der tatkräftige und unternehmerische Blinow, der 2004 für fünf Jahre in das Amt des Bürgermeisters gewählt worden ist, fuhr sogar in die Bundesrepublik Deutschland, um sich mit ehemaligen Bewohnern zu treffen. Mit reichlich Archivmaterial kehrte er zurück. Er will authentisch restaurieren. Palmnicken soll, wo es noch möglich ist, so aussehen wie vor dem Krieg. Dafür sucht er Investoren, die ihn bei dieser Aufgabe unterstützen.

Einen kompetenten und finanzkräftigen Partner hat er bereits gefunden. Es ist der 73jährige in Palmnicken geborene deutsche Unternehmer Ludwig Becker. Dessen Ururgroßvater, Moritz Becker, begann im 19. Jahrhundert hier vor Ort mit der industriellen Förderung und Bearbeitung von Bernstein und verhalf Palmnicken damit zu Weltruf.

Und so hat der Name Becker in Palmnicken Tradition. „Becker“ steht in deutscher Frakturschrift und ebenso in kyrillischen Buchstaben über dem Eingang des im Juli 2008 eröffneten Hotels der gehobenen Preisklasse. Es liegt umgeben von alten Bäumen gegenüber der 1892 für die Angestellten des Bernsteinbetriebes errichteten Feldsteinkirche. Die kleine Kirche, im neugotischen Stil erbaut, ist nach mehreren erfolgten Restaurierungen in gutem Zustand. Das Dach erhielt einen neuen roten Farbanstrich und die Glocke, die bisher in einem Gestell neben der Kirche aufgehängt war, läutet nun wieder in ihrem alten Glockenstuhl für die heute mehrheitlich russisch-orthodoxe Gemeinde des Ortes.

Auch das frühere Schloßhotel wird renoviert. Der sich an das Schloßhotel anschließende Saalbau mit wunderschönem Fachwerk und roten Dächern ist bereits fertig. Ein Stilbruch für dieses baulich schöne Ensemble ist der zu Sowjetzeiten zur Straßenfront angebaute Balkon auf Betonsäulen. Auch der verwilderte Park mit herrlichem altem Baumbestand erlebt unter dem neuen Namen „Moritz Becker Park“ eine Renaissance.

Das total verfallene Gut von Palmnicken – zeitweise war hier auch ein Krug und eine Brauerei untergebracht – ließ der Bürgermeister wieder herrichten. Es beherbergt nun das großzügig angelegte und gut bestückte Heimatmuseum von Palmnicken. Viele schöne Gegenstände, die von den deutschen Bewohner bei der Flucht zurückgelassen wurden, sind hier zu bewundern. Zum Beispiel ein Klavier der „Leipziger Pianofortefabrik Gebr. Zimmermann A.G.“ aus Leipzig-Mölkau. Welche Schicksale mögen hinter den einzelnen Exponaten stehen, fragt sich der Betrachter unwillkürlich. Auch die Sowjetära hat ihren Platz im Museum, wenn auch nur einen verhältnismäßig kleinen.

Palmnicken ist nach wie vor die bernsteinreichste Region der Welt. Geologen beziffern die Bernsteinvorräte entlang der Samlandküste vorsichtig auf etwa 300000 Tonnen. „Diese Ressourcen sollen in Zukunft zum Wohle der Region besser genutzt werden“ ließ der Gouverneur des Königsberger Gebietes, Georgi Boos, verlauten. Bis 2011 soll der Umsatz von Rohbernstein und den daraus veredelten Erzeugnissen im Gebiet Königsberg von derzeit 600 Millionen Rubel (16,6 Millionen Euro) auf 3,1 Milliarden Rubel (86 Millionen Euro) gesteigert werden. Dies geht aus dem „Programm zur Entwicklung der regionalen Bernstein-Industrie“ hervor, das die Gebietsadministration im Juli 2008 veröffentlichte. Der illegalen Förderung von Bernstein und der damit verbundenen mafiös organisierten Szene im Gebiet kündigte Boos den Kampf an.

Weiteren Ausbau der Infrastruktur und Popularität für die Samlandküste erhofft sich Alexander Blinow durch die Errichtung einer Glücksspielzone in seiner Region. Ab dem Juli 2009 ist das Betreiben von Spielkasinos in der Russischen Föderation grundsätzlich verboten. Ausgenommen sind vier Regionen, eine davon ist das Königsberger Gebiet. Nach einer Meldung der Nachrichtenagentur „Rosbalt“ sollen umgerechnet sieben Milliarden Euro in der zu schaffenden Glücksspielszone an der Samlandküste verbaut werden. Gegen diese Pläne regt sich auch Widerstand. Ob sich vor diesem Hintergrund die Idee des Bürgermeisters von Palmnicken, „einen netten kleinen Ferienort für Familien zu schaffen“, verwirklichen läßt, wird die Zukunft zeigen.

Zum Thema „Berühmte Ostseebäder – damals und heute“ hält die Autorin einen Dia-Vortrag in Köln am 21. November 2008 um 18 Uhr im VHS-Studienhaus, Josef-Haubrich-Hof 2, Raum 312 und in Siegburg am 24. November 2008 um 19.30 Uhr in der Aula des Stadtmuseums, Markt.

 

Moritz Becker und die Bernsteingewinnung in Palmnicken

An der samländischen Küste wurde schon zu Zeiten des Deutschen Ordens Bernstein gesammelt. Fast 90 Prozent aller Bernsteinvorkommen der Welt ruhen an der Ostseeküste. Jahrhunderte lang wurde hier Bernstein am Strand gelesen, mit Keschern geschöpft oder am Meeresgrund gestochen. Das sogenannte Bernsteinregal, eine Art Handelsmonopol, besaß seit dem Mittelalter der Deutsche Orden, dem die Bewohner ihre Fundstücke gegen ein geringes Entgelt abliefern mußten. Der Besitz von Bernstein wurde unter Strafe gestellt. Wer etwas behielt oder gar Handel damit trieb, konnte, wenn er erwischt wurde, mit dem Tod durch Erhängen bestraft werden. 1525 ging das Bernsteinregal vom Deutschen Orden auf das weltliche Herzogtum Preußen über, das später Königreich und schließlich Republik wurde.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das Verfahren zur Gewinnung von Bernstein. Man ging dazu über, die Bernsteinvorkommen kommerziell auszubeuten, nachdem man entdeckt hatte, daß der Bernstein auch unter dem Meeresboden zu finden ist. 1867 erwarb die Firma Stantien & Becker, die bereits eine Dampfbaggerei zur Gewinnung von Bernstein vor Schwarzort auf der Kurischen Nehrung betrieb, die Schürfrechte für den Tagebau in Palmnicken. 1871 schied Wilhelm Stantien aus dem Unternehmen aus und Moritz Becker war fortan alleiniger Inhaber. 1872 gründete er das erste und bis heute weltweit einzige Bernsteinbergwerk.   J. N.

Foto: Nicht allein in einem guten Zustand: Die 1892 für die Angestellten des Bernsteinbergwerks errichtete Feldsteinkirche


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren