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30.08.08 / Ein Fauxpas des Herzens / Die Jugendliebe oder Alte Liebe rostet nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Ein Fauxpas des Herzens
Die Jugendliebe oder Alte Liebe rostet nicht
von Renate Dopatka

Die Beerdigung ist vorüber. Auch Kurt hat sein Schäufelchen Erde auf den Sargdeckel geworfen und Tante Friedchen sein Beileid ausgesprochen. Nun wartet er – wie die übrige Verwandtschaft – mit leichter Ungeduld darauf, daß es endlich ans Kaffeetrinken geht.

Es ist verflixt ungemütlich. Kalter Regen drischt auf die Trauergäste herunter, die sich mit aufgespannten Schirmen und lehmverschmierten Absätzen die Beine in den Bauch stehen. Weder das Wetter noch der Anlaß dieser Zusammenkunft bieten Grund zur Freude. Trotzdem fühlt sich Kurt so beschwingt wie lange nicht. Während seine Frau unauffällig die Garderobe ihrer Schwägerinnen mustert, wandern Kurts Blicke immer wieder in eine ganz bestimmte Richtung. Es gibt keinen Zweifel: Die schlanke Brünette neben dem schon etwas angegrauten Herrn muß seine Cousine Vera sein!

Fast 30 Jahre ist es her, seit sie beide ein letztes Mal durch den Obstgarten der Großeltern geschlendert waren. Kurt weiß noch genau, wie verliebt er als 15ähriger in diese gleichaltrige Cousine gewesen war. Und wie wenig hatte sie ihn merken lassen, daß auch er ihr gefiel. Mit fliegenden Haaren und unterdrücktem Lachen war sie damals vor ihm weggelaufen. Aber es hatte ihr nichts genützt. Unter dem Kirschbaum hatte er sie dann doch zu fassen gekriegt.

Kurts Brille beschlägt, als er an diesen ersten schüchternen Kuß in seinem Leben zurückdenkt. Er versucht, näher an Vera heranzukommen. Doch just in diesem Augenblick gibt Tante Friedchen das Zeichen zum Aufbruch, und der schwarzgekleidete Troß setzt sich langsam Richtung Gasthof in Bewegung.

Auch beim Kaffeetrinken gelingt es ihm nicht, Vera auf sich aufmerksam zu machen. Während Kurt von seinem asthmatischen Schwager vereinnahmt wird, der ihm schnaufend von seinem letzten schweren Anfall berichtet, sitzt Vera am unteren Ende der Tafel und unterhält sich angeregt mit Tante Friedchens Enkel. Kurt wird langsam nervös. Vielleicht ist ja die Brille schuld daran oder sein leider schon etwas schütteres Haar, daß Vera ihn jetzt nicht erkennt? An ihr selbst scheinen die Jahre dagegen spurlos vorbeigegangen zu sein. Kein Fältchen, keine Silbersträhne mindert ihre mädchenhafte Schönheit.

Als der angegraute Herr neben Vera zwischenzeitlich den Raum verläßt, ergreift Kurt seine Chance. Er nimmt die Brille ab, streicht sein spärliches Haar zurecht und arbeitet sich mit eingezogenem Bauch zwischen den engen Tischreihen zu Vera vor.

Höfliches Erstaunen liegt in ihrem Blick, als Kurt sich schwungvoll auf den freien Platz neben ihr niederläßt. „Erkennst du mich denn gar nicht mehr?“ Er sieht ihr begeistert in das jugendliche Antlitz. „Du bist ja noch schöner geworden, Mädchen ...! – Weißt du noch, damals in Opas Garten?“ Sein Gegenüber blinzelt verwirrt, will etwas erwidern, aber Kurt ist so in Fahrt, daß nicht einmal ein Feuer-Alarm ihn jetzt unterbrechen würde. In seinen Augen glänzt es verdächtig, als er ihre widerstrebende Hand ergreift: „Und du bist also verheiratet? – Glücklich verheiratet...?“ „Mit dem Heiraten hat es ja wohl noch etwas Zeit“, ertönt eine belustigte Stimme hinter seinem Rücken.

Kurt dreht sich irritiert um und blickt in die humorvollen Augen von Veras Begleiter. „Ach, dann ist Vera also gar nicht Ihre Frau?“ Die Lachfältchen in den Augenwinkeln des Mannes vertiefen sich: „Sie ist nicht nur meine Frau, sie ist auch die Mutter dieser jungen Dame.“

Kurt spürt, wie ihm die Röte ins Gesicht steigt. Er will aufstehen, sich entschuldigen, aber Veras Ehemann drückt ihn behutsam auf seinen Platz zurück. „Bleiben Sie ruhig ein wenig sitzen. Ich vertrete mir inzwischen die Beine. Kathrin, meine Tochter, wird sich sicher gern mit Ihnen unterhalten.“ „Ja, bleiben Sie. Ein Verehrer von Mama – das interessiert mich natürlich ungeheuer.  Allerdings weiß ich nicht …“ Kurt bemerkt seinen Fauxpas und stellt sich hastig vor. Freude, Rührung und Verlegenheit beherrschen ihn gleichermaßen, als Veras Tochter darum bittet, ihn Onkel Kurt nennen zu dürfen.

„Mama hat mir so oft von dir erzählt. Ich glaube, sie war damals fast ein wenig verliebt in dich ...“ Kurt spürt den Kloß in seinem Hals. „Sie ist nicht zur Beerdigung gekommen. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“ „Die Fahrt hierher hätte sie wohl zu sehr angestrengt. Weißt du, ihr Herz ist ein bißchen schwach, und sie muß ständig ihre Medizin nehmen. Da hat sie eben Papa und mich als Ersatz geschickt.“ Kurt versinkt in nachdenkliches Schweigen, während Kathrin ihm von ihrem Elternhaus berichtet, das idyllisch an einem Schweizer See gelegen ist. Er hört ihr nur mit halbem Ohr zu, bis ein Satz fällt, der ihn aus seinen Gedanken reißt: „… und am liebsten sitzt sie unter dem großen Kirschbaum, den sie selbst gepflanzt hat. Komisch, nicht? Da haben wir eine Terrasse mit wunderbarem Blick auf die Berge – und was tut Mama? Sie sitzt hinten im Garten unterm Kirschbaum. Das ist doch schwer zu verstehen, nicht wahr?“

„Nein“, erwidert Kurt leise und ringt dabei nach Luft wie sein asthmatischer Schwager. „Das ist eigentlich ganz leicht zu verstehen …“


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