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13.09.08 / Unsinnige Schulranzen-Norm / Nicht schwere Schulranzen, sondern Bewegungsmangel verursachen Haltungsschäden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-08 vom 13. September 2008

Unsinnige Schulranzen-Norm
Nicht schwere Schulranzen, sondern Bewegungsmangel verursachen Haltungsschäden

Letztlich aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammt eine Norm über das empfohlene Höchstgewicht von Schulranzen. Eine neue Untersuchung belegt: Sie ist offensichtlich unsinnig.

„Der gefüllte Ranzen sollte nicht mehr als zehn Prozent des Körpergewichts des Kindes wiegen“, empfiehlt das Deutsche Institut für Normung in Berlin in der Norm 58124. Auf sie gestützt werden alljährlich Krankenkassen, Ministerien, TÜV und sogar Ärzteorganisationen nicht müde, über die Medien Eltern und Lehrern einzutrichtern, daß zu schwere Ranzen die Wirbelsäulen der Kinder ruinieren.

Doch die Wirklichkeit scheint eine andere zu sein. „Selbst ein schwererer Ranzen schädigt eine gesunde kindliche Wirbelsäule nicht. Dazu wirkt das Gewicht viel zu kurz auf den Rücken ein“, versichert Professor Dr. Eduard Schmitt, Orthopäde am Universitätsklinikum des Saarlandes. Schmitt ist der ärztliche Leiter des seit 1999 an der Universität des Saarlandes laufenden Projektes „Kidcheck“ (Kinderkontrolle), in dem Orthopäden, Neurologen, Humanbiologen, Sportwissenschaftler und Physiotherapeuten Kinder und Jugendliche auf Haltungsschwächen und -schäden untersuchen und bei Bedarf Trainings- und Therapiepläne erstellen. In einem Teilprojekt hat das Kidcheck-Team nun untersucht, wie schwere Ranzen auf den Körper von Kindern einwirken. An der Schulranzen-Studie nahmen 60 Mädchen und Jungen der Klassen zwei und drei mehrerer Saarbrücker Grundschulen teil. „Im Durchschnitt lag das Gewicht der Ranzen bei 17,2 Prozent des Körpergewichts der Kinder“, erläutert Dr. Oliver Ludwig, der wissenschaftliche Leiter der Studie – also deutlich über der genannten Norm. Die Haltung der Kinder wurde mittels Laserstrahl gemessen, die Muskelaktivität mit aufgeklebten Elektroden ermittelt. Dann ging es für 15 Minuten auf einen Hindernis-Parcours, auf dem die Kinder permanent in Bewegung waren. Eine abschließende Messung von Haltung und

Muskelaktivität zeigte, daß trotz des „anstrengenden Schulwegs“ die Körperhaltung nicht schlechter war als vorher. Auch die Mus-kulatur war nicht merklich ermüdet, obwohl die Ranzen deutlich mehr wogen als zehn Prozent des Körpergewichts. Das Kidcheck-Team stellte schließlich fest, daß eine nennenswerte Aktivität von Bauch- und unterer Rückenmus-kulatur überhaupt erst messbar wurde, wenn der Ranzen ein Drittel (!) des Körpergewichts wiegt. Erst dann ändert die Wirbelsäule ihre Position und die Ruhehaltung wird instabil. Allerdings spannen sich jetzt auch die

Muskeln deutlich an, um den Körper zu stabilisieren, was die Wirbelsäule sogar entlastet. Schmitt betont: „Ein kurzfristig getragener schwererer Ranzen kann die Rumpfmuskulatur bewegungsarmer Kinder sogar trainieren.“ Zwar haben laut früheren Untersuchungen fast 50 Prozent aller Kinder so schwache Bauch- und Rückenmuskeln, daß sie sich nicht dauerhaft gerade halten können. Demnach führt ein schwerer Ranzen selbst bei

muskelschwächeren und molligeren Kindern zu keiner signifikanten Ermüdung der Rumpfmuskulatur. „Selbst bei schlaffer Muskulatur wirkt ein Ranzen zu kurz auf den Rücken ein, um die passiven Strukturen wie Wirbelbogen-Gelenke, Bänder und Bandscheiben schädigen zu können“, sagt Studien-Leiter Oliver Ludwig.

Die DIN-Norm 58124 ist also unsinnig, und bei der Suche nach ihrem Ursprung fanden die Wissenschaftler heraus, daß diese aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammte. Sie bezog sich ursprünglich darauf, wie schwer der Tornister eines Rekruten sein durfte, damit bei Märschen ab 20 Kilometer keine muskulären Ermüdungen auftraten. Irgend jemand kam später auf die Idee, den hierbei sinnvollen zehn-Prozent-Wert auf Schulranzen zu übertragen.

Nicht Schulranzen, aber Schulmöbel können zu Haltungsschäden führen. Denn viele Mädchen und Jungen sitzen nicht nur stundenlang in der Schule, sondern danach noch am Computer und vorm Fernseher, ein Großteil treibt keinen Sport.

„Ihr Haltungs- und Bewegungsapparat ist daher völlig unzureichend trainiert“, warnt Orthopäde Schmitt klar.        R. Kappler

Foto: Bunt und ungefährlich: Schulranzen schädigen die Wirbelsäule nicht.


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