19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.09.08 / Polemik aus Paris / OECD-Kritik am deutschen Bildungssystem wird durch Wiederholung nicht wahrer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Polemik aus Paris
OECD-Kritik am deutschen Bildungssystem wird durch Wiederholung nicht wahrer

Die OECD haut auf die Pauke: Deutschland gehen angeblich die Fachkräfte aus, weil das deutsche Bildungssystem zu wenig Hochschüler produziere. Doch der Bericht argumentiert mit falschen Vergleichen, Kritiker werfen der OECD ideologische Voreingenommenheit vor.

Die Nachricht klingt beunruhigend: „Deutschland verliert bei der Ausbildung von Hochqualifizierten weiter an Boden“, will die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrer diesjährigen Studie „Bildung auf einen Blick“ herausgefunden haben.

Jedes Jahr vergleichen die Bildungsexperten der Organisation in Paris den Stand der Bildungspolitik in den unter ihrem Dach zusammengeschlossenen 30 Industriestaaten der Welt. OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger moniert vor allem, daß der Anteil der Hoch- und Fachhochschulabsolventen je Jahrgang in Deutschland von 2000 bis 2006 nur von 18 auf 21 Prozent gestiegen sei gegenüber einem Anstieg von 28 auf 37 Prozent im OECD-Schnitt.

Der Bericht deckt sich allem Anschein nach aufs Haar mit dem seit Jahren beklagten Facharbeitermangel in Deutschland. Dem widerspricht indes energisch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) Josef Kraus. Kraus wirft der OECD vor, „Halbwahrheiten über das deutsche Bildungswesen“ zu verbreiten „und daraus auch noch weitreichende Schlüsse zu ziehen“. So fordert die OECD in ihrem Bildungsbericht, die Zahl der Hoch- und Fachhochschulabsolventen spürbar zu erhöhen.

Laut Kraus verkennt die OECD dabei bewußt die Besonderheiten des deutschen Bildungswesens. Unser duales System der Berufsausbildung bringe mindestens ebenso gut qualifizierte Kräfte hervor wie das auf Hoch- und Fachhochschulabschlüsse fixierte System anderer Länder. Ein deutscher Facharbeiter gehe nur einen anderen Weg als seine Kollegen in anderen europäischen Ländern, aber: „Die in Deutschland über die duale oder die vollzeitschulische Ausbildung erworbene Qualifikation braucht den Vergleich mit einer Hochschulbildung vieler anderer Länder nicht zu scheuen“, so Kraus.

Er hätte sich gewünscht, daß Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hier Flagge zeigt und die Besonderheiten des deutschen Modells gegen das „Rasenmäherprinzip“ der länderübergreifenden Gleichmacherei verteidigt. Dieses habe schon beim „Bologna-Prozeß“ an den Universitäten großen Schaden angerichtet (siehe Beitrag unten).

Letztlich sei die OECD-Studie vor allem ideologisch geprägt, vermutet der DL-Präsident. Wie schon bei der Pisa-Kontroverse (siehe Kasten) gehe es den Machern darum, möglichst vielen Schülern über ein Einheitsschulsystem das Abitur zu verschaffen. Tatsächlich wäre die hohe Zahl von Studenten und Fachhochschülern wie in Frankreich oder Finnland nur zu erreichen, wenn in Deutschland mehr Schüler als bislang einen „Abitur“ genannten Abschluß machten.

Der Ruf nach mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen unterstellt jedoch, daß die höheren Abschlüsse den jungen Menschen im Berufsleben automatisch einen besseren Start ermöglichen. Die Daten des Statistischen Amtes der EU (Eurostat) für die vergangenen zehn Jahre belegen indes das Gegenteil: In Finnland, dessen Bildungssystem mit Einheitsschule und hohem Hochschüleranteil der deutschen Öffentlichkeit als Vorbild präsentiert wird, lag die Arbeitslosenquote bei den unter 25jährigen im Schnitt doppelt bis zweieinhalb Mal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. In Schweden, dessen Bildungssystem dem finnischen vergleichbar ist, litten allein 2007 sogar dreimal so viele unter 25jährige unter Arbeitslosigkeit als der Schnitt.

In Deutschland hingegen überstieg der Anteil der jungen Arbeitslosen die durchschnittliche Erwerbslosenquote nur um schlimmstenfalls ein Viertel, in einigen Jahren waren sogar weniger unter 25jährige ohne Job als im Schnitt aller Altersgruppen. Gemessen an der Jugendarbeitslosigkeit schneidet Deutschland also deutlich besser ab als die viel gepriesenen Vorbilder.

Für Josef Kraus spricht gegen die OECD-Kritik am deutschen Bildungssystem auch der Vergleich der Wirtschaftskraft innerhalb des  deutschsprachigen Raums. „Die ist dort am höchsten, wo das klassische dreigliedrige System noch am ehesten intakt ist: In der Schweiz, Österreich, Bayern und Baden-Württemberg.“           Hans Heckel

Fotos: Lehrbetrieb an einer Universität: Das deutsche duale System der Berufausbildung leistet mehr als manche Uni im Ausland.

 

Zeitzeugen

Andreas Schleicher – Seines Zeichens Statistiker und Bildungsforscher leitet der selbsternannte „Superminister“ bei der OECD die Abteilung für Indikatoren und Analysen im Direktorat für Bildung. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist er als Internationaler Koordinator der Pisa-Studien. Seine Grundschullehrer stuften ihn 1974 als „ungeeignet fürs Gymnasium“ ein. Daraufhin schickte ihn sein Vater auf die Waldorfschule in Hamburg-Wandsbek, wo er dann doch noch das Abitur machen konnte.

 

Barbara Ischinger – Seit 2006 ist die studierte Afrikanistin OECD-Bildungsdirektorin. Über Ischinger wird folgende Geschichte kolportiert: Als sie während eines Fluges die Stellenanzeige für den OECD-Direktorenposten für Bildung las, habe sie ein Glas Sekt bestellt und sich gesagt: „Den Job will ich haben.“

 

Josef Kraus – Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, der größten Lehrerorganisation in Deutschland außerhalb von DGB und der GEW, ist Autor des Buches „Der Pisa Schwindel“ und einer der schärfsten Kritiker der allgegenwärtigen Pisa-Studien. Angesichts der erneut mittelmäßigen Ergebnisse für Deutschland in der zweiten Pisa-Studie sprach er sich für den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems aus. 2004 kommentierte er den Vorschlag der damaligen Bundesbildungs-Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD) die Hauptschule abzuschaffen mit den Worten: „… völlig daneben.“

 

Annette Schavan – Die CDU Politikerin ist seit 2005 Bundesministerin für Bildung und Forschung. 1998 bezog sie im „Kopftuchstreit“ Position gegen islamistische Bestrebungen. Heute geht sie auf Tauchstation, während der selbsternannte „Superminister“ das deutsche Schulsystem verdammt.

 

Manfred Prenzel – Professor für Pädagogik und Pädagogische Psychologie ist seit 2000 Direktor des Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaft an der Uni Kiel. Im selben Jahr wurde er Mitglied des OECD Pisa-Programms. Er vertritt die Ansicht, daß man eine Verbesserung der Leistungen nicht allein mit einem Schulstrukturwechsel hinbekommt. Viel entscheidender ist, daß Schüler stärker individuell gefördert werden. Hier sieht er noch Verbesserungsbedarf. 


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren