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20.09.08 / Ost-Deutsch (84): Streber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Ost-Deutsch (84):
Streber
von Wolf Oschlies

Wer immer strebend sich bemüht“ (heißt es in Goethes „Faust“), der kommt in die Nato. So sah es die kroatische „Feral Tribune“, als sie vor einigen Jahren „zemlje-streberice“ aufzählte, „Streber-Länder“, die in die Allianz streben und sich dabei als übereifrige Streber geben. Ein schönes Wortspiel mit sprachgeschichtlichem Tiefgang.

Das althochdeutsche „streben“ bezeichnete zunächst angestrengte Aktivitäten. Ein Streber war bis zum 16. Jahrhundert ein Widersetziger, dann ein zielbewußter Aktivist, ab dem späten 19. Jahrhundert auch ein rücksichtsloser Emporkömmling. In dieser letzten Bedeutung lebt das Wort bei unseren östlichen Nachbarn – seit hundert Jahren bei den Südslawen, seit wenigen Jahren auch bei Russen. Die haben wohl einen Armvoll abschätziger deutscher Bezeichnungen wie „streber“, „slejmer“ (Schleimer) etc. importiert. Bis dahin kannten sie den „streber“ als bautechnisches Element zur Verstärkung von Wänden, was auch deutsch ist.

Direkter klingt es auf dem Balkan: Tony Blair war ein „pravi streber“ (echter Streber), Präsident Tudjman zeitlebens auch, fanden kroatische Blätter. Bei Serben hört man geradezu deutschen Schülerjargon heraus: „Moja prijateljnica bila je odlikasica, pomalo streber“ – meine Freundin war eine ausgezeichnete Schülerin, ein bisschen Streberin. Zeitweilig war die Wortkombination „dosadni streber“ (langweiliger Streber) feststehender Ausdruck, was sich gewandelt hat: „Streberi su mnogo romaticniji nego sto se misli“ – Streber sind viel romantischer, als man denkt. Außerdem haben sie manche gute Eigenschaft: „Streberi prilicno dobro pamti datume“ – Streber behalten Daten, sie sind aufmerksam im Studium und im Beruf, sogar in der Liebe.

Aber was hilft das, wenn das „streberski imidz“ (Streber-Image) schlecht ist. Auf der Frankfurter Buchmesse habe ich einmal den kroatischen Verleger Branimir Donat gefragt, ob er nicht sein persönliches Dossier der früheren Geheimpolizei veröffentlichen wolle. Er  meinte nur wegwerfend, das könnten „neki streberi“ (gewisse Streber) tun. Bislang ist Donats Dossier nicht erschienen, denn instinktiv befolgen Südslawen eine mazedonische Warnung: „Druze, nemoj da bides streber“ – Kamerad, sei bloß kein Streber.


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