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20.09.08 / Zur Geldwäsche nach Deutschland / Der Film »Gomorrha« regt neue Debatte über den Einfluß der Mafia an – Jährlich hunderte Tote

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Zur Geldwäsche nach Deutschland
Der Film »Gomorrha« regt neue Debatte über den Einfluß der Mafia an – Jährlich hunderte Tote

Fernab jeglicher Mafiaromantik aus „Der Pate“ weitet die Camorra ihre Macht weit über die italienischen Grenzen hinaus aus. Das organisierte Verbrechen findet nicht nur im wirtschaftsschwachen Neapel willige Helfer.

Als Gott die Sündenstadt Gomorrha in einem Regen aus Feuer und Schwefel untergehen ließ, ahnte niemand, daß der biblische Ort Jahrtausende später auf der Leinwand wieder erstehen würde. Der Film „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“, der seit vergangener Woche in den deutschen Kinos läuft, spielt in den Slums von Neapel, das fest in den Händen der Camorra ist.

Die Camorra, das neapolitanische Pendant zur sizilianischen Mafia, hat große Teile der Politik und Wirtschaft Süditaliens unterwandert. Ihren Hauptumsatz macht sie mit Drogen, der Fälschung von Markenwaren, öffentlichen Aufträgen, Waffenschmuggel, illegaler Müllentsorgung und Schutzgelderpressung. Fast 80 Prozent der städtischen Geschäftsleute zahlen den sogenannten pizzo. Im Gegenzug können die Betriebe in schwierigen Zeiten mit günstigen Krediten und Finanzspritzen des Clans rechnen. Nach Angaben der Confesercenti, dem zweitgrößten italienischen Handelsverband, kontrolliert die Organisation fast vollständig die Fischerei, die Milchproduktion sowie den Kaffee- und Brotmarkt in Neapel. Die wachsende Armut und Arbeitslosigkeit in der Region sind der ideale Nährboden für die Camorra, die sich als Retter in der Not anpreist. Sie teilt Wohnungen zu und bietet Jugendlichen leicht verdientes Geld als Drogenkuriere oder Handlanger. Sie zahlt Anwalt und Beerdigung für inhaftierte beziehungsweise getötete Mitglieder und unterstützt deren Angehörige. Selbst Lebensmittel liefert sie ihnen frei Haus.

Jungregisseur Matteo Garrone nimmt sich in seinem Film exemplarisch fünf packender Einzelschicksale an, die er am Ende zusammenführt. Da ist zum Beispiel der erst 13jährige Totò, der stolz seinen Bluterguß befühlt, den er sich beim grausamen Aufnahmeritual in den Clan Di Lauro zugezogen hat. Der ängstliche Don Ciro, der seit vielen Jahren Geld für die Mafia verteilt, würde gerne aus dem Geschäft aussteigen. Dick im Geschäft ist dagegen der aalglatte Manager Franco, der Giftabfälle von Unternehmen auf illegalen Halden Kampaniens entsorgt. Skrupellos beauftragt er zehnjährige Jungs, die kaum übers Lenkrad schauen können, die Laster mit der gefährlichen Fracht zum Steinbruch zu fahren.

„Gomorrha“, der dieses Jahr in Cannes den „Großen Preis der Jury“ gewann, bildet entgegen der Mafiaromantik des „Paten“ in dokumentarisch wirkender Weise die Wirklichkeit ab. Die detaillierten Milieukenntnisse verdankt der Film der gleichnamigen Romanvorlage von Erfolgsautor Roberto Saviano. Der heute 30jährige tauchte für längere Zeit à la Günther Wallraff in Neapels Unterwelt ein, etwa als Arbeiter bei einem Unternehmer der Camorra oder als Kellner bei einer Camorra-Hochzeit. Die nüchternen Bilder zeigen, wie die Organisation und die blutigen Fehden ihrer rivalisierenden Clans das Leben der Menschen vor Ort bestimmen. Tatsächlich fordern solche Bandenkriege in und um Neapel jährlich Hunderte von Toten.

Doch längst hat die Camorra ihre Machenschaften auch auf andere europäische Länder und darüber hinaus ausgeweitet. Die grenzüberschreitenden Verflechtungen der organisierten Wirtschaftskriminalität haben im Zuge der Globalisierung zugenommen. Im Unterschied zum Film nennt Saviano in seinem Buch zahlreiche Beispiele für den internationalen Einfluß der Mafia. Diese reichen von Bauinvestitionen in Frankreich oder dem Rauschgifthandel in Spanien über den Handel mit Prostituierten in Osteuropa bis hin zu Textilfabrikationen in China und Diamantengeschäften mit afrikanischen Kartellen. „Für die Camorra ist die Welt eine Art Brettspiel, bei dem einzelne Familien bestimmte Gebiete einfach in Besitz nehmen“, meint der Autor. Besonders brisant: Ausgerechnet Deutschland habe die Mafia aufgrund dessen laxer Gesetzeslage zum Geldwäscheparadies erkoren. Nicht nur die Camorra, sondern auch die kalabrische Ndrangheta und die sizilianische Cosa Nostra investieren hier kräftig in Aktien und Fonds. Daneben betreibt die italienische Mafia gemeinsam mit anderen Gruppen Immobiliengeschäfte – vor allem im Osten des Landes – sowie Autoschieberei und Kokainhandel.

In einem „Spiegel“-Interview berichtete ein führendes Mitglied der Ndrangheta, die heute mit ihren 6000 „Aktiven“ in 150 Clans als mächtigste Mafia-Organisation Europas gilt, kürzlich sogar über Schmiergeldzahlungen an Politiker.

Camorra und Mafia sind also längst nicht mehr nur ein italienisches Problem, obwohl gerade dort eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen im Süden des Landes sowie ein härteres Vorgehen gegen die verbreitete Symbiose aus Politik und organisierter Kriminalität gefragt wären.

Ihre wirksame Bekämpfung verlangt darüber hinaus eine Kooperation auf europäischer Ebene, etwa mit der Einführung der „Mafiamitgliedschaft als Straftatbestand“ in der EU. Solange jedoch das Thema nur auf der politischen Tagesordnung steht, wenn es mal wieder zugeht wie in Sodom und Gomorrha – man denke an die Mafia-Morde in Duisburg vergangenes Jahr –, wird sich kaum etwas bewegen.     Sophia E. Gerber

Foto: Festnahme: Erst im Mai deckte die Polizei in Neapel Verbindungen der Camorra auf, doch trotz Verhaftungen mehrerer Hintermänner wurde das organisierte Verbrechen keineswegs besiegt.


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