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20.09.08 / Staatsbesuch abgelehnt / Zwischen Ungarn und der Slowakei herrscht Eiszeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Staatsbesuch abgelehnt
Zwischen Ungarn und der Slowakei herrscht Eiszeit

Im Ernstfall zählt die Nationalität oft mehr als die gleiche Ideologie. Diese Erkenntnis bestätigte sich Ende August, als der postkommunistische ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány seinen überfälligen Besuch beim sozialistischen slowakischen Regierungschef Robert Fico erneut auf die lange Bank schob. Gegen-über der Presse begründete er dies damit, daß man schließlich nicht zu einem Nachbarn gehen wolle, von dessen Familie man lautstark beschimpft werde – auch dann nicht, wenn die Ausfälle nicht vom Familienoberhaupt stammten. Ein Staatsbesuch käme derzeit nicht in Frage, zumal ihm dies in der Heimat als Verrat ausgelegt würde.

Verantwortlich für Gyurcsánys Verstimmung ist der Vorsitzende der mit 20 Abgeordneten in Ficos Koalition vertretenen nationalchauvinistischen Partei SNS, Jan Slota. Dieser hatte mal wieder ins antimagyarische Horn gestoßen. Slota fällt immer wieder durch in alkoholisiertem Zustand losgelassene Verbalattacken auf Ungarn, Zigeuner oder Homosexuelle auf. Kürzlich ließ er in der nördlich von Preßburg gelegenen Kleinstadt Malatzka (slowakisch Malacky) demonstrativ ein Doppelkreuz, das slowakische Staatssymbol, einweihen, um an die Unabhängigkeitserklärung der Slowakei vor 15 Jahren zu erinnern. Das wäre noch als legitime patriotische Zeremonie durchgegangen, selbst wenn man weiß, daß auch der erste selbständige slowakische Staat unter Jozef Tiso (1939–45) unter diesem Zeichen angetreten und Slota ein erklärter Verehrer Tisos ist. Daß der SNS-Chef in seiner Festrede allerdings auch den mythischen ungarischen Raubvogel Turul als Papageien lächerlich machte, können die in puncto Nationalstolz sensiblen Ungarn nicht durchgehen lassen. Ebensowenig seine vielsagende Einlassung, daß die Slowaken einst ein erheblich größeres Gebiet bewohnt hätten als heute, aber friedliche Leute seien, die im Unterschied zu „jemandem auf der anderen Seite der Donau“ keine anderen Völker bedrohten und Gebietsansprüche stellten.

Der ungarisch-slowakische Konflikt hat tiefe Wurzeln. Einige Gebiete der slowakischen Republik gehörten bis 1920 zu einem Teil Oberungarn. Noch immer sind im Süden der Slowakei über eine halbe Million Ungarn (zehn Prozent der Gesamtbevölkerung) beheimatet. Auch gilt es zu beachten, daß alle seit der Wende amtierenden Budapester Regierungen entschieden für eine Wiedergutmachung der verheerenden Folgen der tschechoslowakischen Benesch-Dekrete eintreten. Die Vertreibung und Entrechtung war ja nicht nur gegen die Sudetendeutschen, sondern auch gegen die 720000 Ungarn in der Slowakei gerichtet. Das ungarische Engagement in dieser Frage beinhaltet weit mehr als nur moralische Appelle oder ritualisierte Hinweise auf Rechtsnormen, sondern begründet eine (zumindest in bezug auf die eigenen Landsleute) konsequente Politik für Minderheitenrechte. Diese sind ein Anliegen erster Klasse und rechtfertigen – hinsichtlich der bilateralen Beziehungen mit der Slowakei – auch eine länger anhaltende Klimaverschlechterung. Der frühere und wahrscheinlich nächste ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte die „Wiedervereinigung aller Ungarn“ sogar zur Kernaufgabe seiner Regierungsarbeit erhoben – allerdings nicht im Sinne etwaiger Grenzverschiebungen, sondern in kultureller und sozialer Hinsicht.             Martin Schmidt


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