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20.09.08 / Weit fairer als die Wehrmachtsausstellung / Vor 60 Jahren standen in Nürnberg 14 deutsche Generale vor Gericht – »Keine Verurteilung des deutschen Soldatenstandes«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Weit fairer als die Wehrmachtsausstellung
Vor 60 Jahren standen in Nürnberg 14 deutsche Generale vor Gericht – »Keine Verurteilung des deutschen Soldatenstandes«

Der sogenannte Generalsprozeß war der letzte und längste der Nürnberger Prozesse. Die Anklageschrift gegen 14 Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht wurde am 17. November 1947 eingereicht. Die Verhandlungen dauerten von Februar bis Oktober 1948, die Urteile wurden schließlich im April 1949 verkündet.

Vor 60 Jahren fand vor einem US-amerikanischen Militärgericht in Nürnberg die Hauptverhandlung im Prozeß gegen Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) statt. Angeklagt waren die Generalfeldmarschälle Wilhelm Ritter von Leeb, Hugo Sperrle und Georg von Küchler, Generaladmiral Otto Schniewind, die Generalobersten Hermann Hoth, Georg-Hans Reinhardt, Hans von Salmuth, Karl-Adolf Hollidt und Johannes Blaskowitz, die Generale der Infanterie Karl von Roques, Hermann Reinecke und Otto Wöhler, der General der Artillerie Walter Warlimont sowie der Generaloberstabsrichter Rudolf Lehmann. Die Urteile waren zumeist streng und wurden von den in preußisch-deutscher Militärtradition erzogenen Angeklagten als ehrverletzend empfunden. Elf Offiziere im Generalsrang wurden erwiesener Verbrechen gegen den Frieden und die Menschheit für schuldig befunden, zwei weitere freigesprochen. Die Verurteilten erhielten Freiheitsstrafen von drei Jahren bis zu lebenslanger Haft. Nach Ansicht der Richter hatten sie sich zahlreicher Verbrechen wie der Mißhandlung, Folterung und Tötung Tausender Kriegsgefangener und Zivilisten schuldig gemacht.

Selbst Kritiker der alliierten Nachkriegsprozesse nehmen dieses Verfahren gegen den Vorwurf der Siegerjustiz in Schutz, obwohl es Zweifel an dessen juristischen Grundlagen gab. So wurde bemängelt, daß das Gericht nicht zuständig sei, da ausschließlich der betreffende Staat selbst über seine Organe und insbesondere über seine Soldaten Recht zu sprechen und die Verantwortung für sie zu tragen habe. Außerdem wurde die teilweise Anwendung rückwirkender Strafbestimmungen kritisiert. Nicht zuletzt führten die Verteidiger an, daß ihre Mandanten auf einer Rechtsbasis angeklagt würden, an die sich niemand gehalten habe und auch nicht halten könne. Auch die Alliierten hätten den bedingungslosen Gehorsam gekannt.

Trotz dieser Einwendungen bemühten sich die Richter um größtmögliche Objektivität und räumten den Angeklagten in einem fairen Verfahren alle Möglichkeiten zur Verteidigung ein. Beispielsweise hatten die Verteidiger im OKW-Prozeß, anders als noch beim Prozeß gegen die sogenannten Hauptkriegsverbrecher, wo die Angeklagten durch vielerlei Obstruktionen an einer effizienten Verteidigung gehindert worden waren, ungehinderten Zugang zu allen von ihnen angeforderten Unterlagen. Sowohl die Anklage als auch die Verteidigung legten eine ungeheure Menge von Beweismaterial vor. Die Verhandlung wurde zweisprachig geführt, alle vorgelegten Dokumente vollständig übersetzt. Das Verhandlungsprotokoll umfaßt über 10000 Seiten.

Das Verfahren nahm auf eine bis dahin einmalige Weise hochrangige Soldaten in die Gewissenspflicht und forderte die Richter heraus, eine bis heute umstrittene Grenze zwischen Kriegsgreueln und militärischen Notwendigkeiten zu ziehen. Dem Gericht ging es dabei nicht um Pauschalurteile, sondern um individuelle Schuld. Jedem Angeklagten mußte eine Täter- oder mindestens eine Mitwisserschaft einzeln nachgewiesen werden. So wurde Generalfeldmarschall Georg von Küchler für schuldig befunden, als Oberbefehlshaber der 18. Armee in seinem Verantwortungsbereich rechtswidrige Hinrichtungen von politisch unliebsamen Personen, die Ermordung von Zivilpersonen und die Tötung von 230 geistig und körperlich kranken Russinnen geduldet zu haben. Das Urteil: 20 Jahre Gefängnis. Das gleiche Strafmaß erhielt Generaloberst Hans von Salmuth. Der ehemalige Kommandierende des 30. Armeekorps hatte unter anderem den Befehl gegeben, für jeden von Partisanen getöteten deutschen Soldaten zehn Geiseln hinzurichten.

Doch nicht nur Frontkommandeure, sondern auch „Schreibtischtäter“ aus der militärischen Führungsspitze des Reiches wurden abgeurteilt. General der Artillerie Walter Warlimont wurde vorgeworfen, als Stellvertreter des in Nürnberg hingerichteten Generalobersten Alfred Jodl im Wehrmachtführungsstab an der Erarbeitung von rechtswidrigen Befehlen wie dem Kommissar- und dem Kommandobefehl und an Anweisungen zur völkerrechtswidrigen Behandlung von Kriegsgefangenen und Zivilisten in den besetzten Ländern mitgewirkt zu haben. Warlimont wurde zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.

Auch der Chef des Allgemeinen Wehrmachtsamtes, General der Infanterie Hermann Reinecke, hatte nie persönlich an Greueltaten mitgewirkt. Aber er hatte grundlegende Richtlinien für das Kriegsgefangenenwesen erarbeitet und dadurch die Aussonderung und Ermordung von politisch und rassisch unerwünschten Kriegsgefangenen insbesondere im Osten ermöglicht. Auch für ihn gab es lebenslänglich.

Das Gericht stellte klar, daß alle Angeklagten nicht wegen Ausschreitungen verurteilt worden seien, an denen sie oder von ihnen befehligte Einheiten in der Hitze des Gefechts teilgenommen hätten. Ihre Verurteilung sei erfolgt, weil sie Befehle gegeben beziehungsweise direkt oder indirekt daran mitgewirkt hätten, die zur Tötung, Verschleppung und Versklavung von Personen geführt hätten, die meistens in keiner Beziehung zu militärischen Operationen gestanden hätten. Auch unter voller Berücksichtigung des Umstandes, daß Offiziere Maßnahmen zum Schutz des eigenen Landes und ihres Befehlsbereiches ergreifen müßten, bleibe in diesen Fällen eine „weite Sphäre echter Schuld“. Daß sich die Angeklagten fern jeder Einsicht oder gar Reue unisono durch Hinweis auf einen Befehlsnotstand zu rechtfertigen suchten, ließ das Gericht nicht gelten. Tatsächlich gibt es viele Fälle, in denen die deutsche Generalität im Zweiten Weltkrieg gegen operative Fehlentscheidungen opponierte. Beispiele, in denen sie gegen unmenschliche Befehle aufbegehrte, gibt es dagegen nur selten, obwohl es leichter war, Befehle abzuändern oder deren Ausführung zu unterlassen, je höher man in der Befehlskette stand. Das persönliche Verhalten der hochrangigen Angeklagten machte es nach Meinung der Richter unmöglich, ihre Handlungsweise mit militärischen Erwägungen zu rechtfertigen.

Gleichwohl betonten die Richter, daß die Verurteilung einzelner Offiziere, die gegen ihre Berufspflichten verstoßen und die soldatische Ehre verletzt hätten, keine Verurteilung des ganzen deutschen Soldatenstandes bedeute, auf den kein Schatten falle. Eine auch vor dem Hintergrund neuerer Entwicklungen in Deutschland – Stichwort Wehrmachtausstellung – gewiß bemerkenswerte Feststellung.

Kaum einer der Verurteilten blieb lange in Haft. Keine drei Jahre nach dem Urteil setzte der amerikanische Hochkommissar John J. McCloy das Strafmaß in den meisten Fällen deutlich herab. Dies geschah teils auf dem Gnadenwege, teils weil in der Zwischenzeit weiteres entlastendes Material aufgetaucht war. Mitte der 50er Jahre wurden auch die letzten Verurteilten aus dem OKW-Prozeß entlassen. Mittlerweile hatte die Realität des Kalten Krieges zu einer anderen Sichtweise des Kriegsgeschehens geführt, und die ehemaligen Gegner bemühten sich um einen westdeutschen Wehrbeitrag. Das ging jedoch nicht ohne die Mitarbeit von ehemaligen Angehörigen der Wehrmachtgeneralität. Die aber hätten sich verweigert, wenn noch Kameraden in Landsberg in alliierter Haft gesessen hätten.

Die Bundesrepublik hat das Urteil offiziell nie anerkannt, dennoch aber Lehren daraus gezogen. Einen Zwang zum bedingungslosen Gehorsam sollte es in den neuen deutschen Streitkräften nicht mehr geben, auch wenn die Pflicht zum soldatischen Gehorsam grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde. Mit dem Konzept der Inneren Führung wurde die Bundeswehr auf das Grundgesetz und das Völkerrecht eingeschworen. Die Dienstvorschriften legen genau fest, wann ein Befehl rechtmäßig und verbindlich ist, wann er es nicht ist, wann er ausgeführt werden muß, wann er verweigert werden darf und wann er sogar verweigert werden muß. Kein Befehl darf danach gegen die Menschenwürde verstoßen. Das ist für die Streitkräfte in der Demokratie die Quintessenz aus dem OKW-Prozeß.             Jan Heitmann


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