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20.09.08 / Gastronomische Legende im Herzen von Paris / Wo Edith Piaf tafelte – Seit über 100 Jahren bewahrt das »Chartier« den Charme der Belle Époque

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Gastronomische Legende im Herzen von Paris
Wo Edith Piaf tafelte – Seit über 100 Jahren bewahrt das »Chartier« den Charme der Belle Époque

Telefonische Tischreservierung? Wird nicht angenommen. Speisekarte auf Deutsch? Gibt’s nicht. Ein Stückchen Butter zum Brot? Wird extra berechnet. Die Rechnung schriftlich? Mais oui, aber ja doch, mit dem Bleistift von Hand auf die benutzte Papiertischdecke! Trotz dieses Geschäftsgebarens von vorvorgestern ist der Laden durchgehend brechend voll, von mittags um halb zwölf bis abends um zehn, wenn die Küche schließt, und das an 365 Tagen im Jahr. Täglich werden um die 1200 Kuverts serviert, und jeder Gast genießt das unverwechselbare Ambiente einer der gastronomischen Legenden von Paris: des „Chartier“.

Seit mehr als 100 Jahren ist die Adresse im Hinterhof der Rue du Faubourg Montmartre Nummer 7 Treffpunkt einer Gästeschar quer durch alle Altersgruppen und soziale Schichten: Künstler und ihr Publikum, Welt und Halbwelt, Einheimische und Touristen.

Zu späterer Stunde, nach Theaterschluß, trifft man hier Sänger, Schauspieler und Besucher der nahegelegenen Konzertsäle und Boulevard-Bühnen. Einst tafelten hier Künstler wie Edith Piaf oder Maurice Chevalier allabendlich im Freundeskreis nach ihren Vorstellungen im „Olympia“.

Auch Filmregisseure fanden Gefallen an der Kulisse des „Chartier“, das den Charme der Belle Époque seit über 100 Jahren unverändert bewahrt hat. So wurden hier mehrere Szenen des Films „Die Spaziergängerin von Sanssouci“ gedreht, mit Romy Schneider in der Hauptrolle, desgleichen Restaurant-Szenen des Gangsterstreifens „Borsalino“ mit Jean-Paul Belmondo und Alain Delon.

Für Touristen kann ein Chartier-Besuch erlebnisreicher sein als jede Theater- oder Filmvorstellung. In Empfang genommen wird man von einem der grundsätzlich brummeligen Kellner – der bärbeißige Charme der fast ausschließlich männlich besetzten Servicebrigade zählt zu den Markenzeichen des Hauses.

Wer allein ist oder zu zweit, wird selbstverständlich zu anderen Gästen mit an den Tisch plaziert und sieht sich sofort in ein unverbindlich-freundliches Gespräch verwickelt.

Kreationen der „Nouvelle Cuisine“ sucht der Gast auf der Karte vergebens, dafür finden sich dort die Klassiker der traditionellen bürgerlichen französischen Küche, die keineswegs zu verachten sind: Escargots, Rillete de porc, Pot au feu, Tête de veau, Boeuf bourguignon, Entrecôte bordelaise ... Alles in bester Qualität, reichlich portioniert und zu Preisen, wie sie in Paris sonst kaum noch zu finden sind. Ein Drei-Gänge-Menü nach Empfehlung des Hauses kostet inklusive einem halben Liter Tischwein 20 Euro, Hauptgerichte à la Carte zwischen acht und 16 Euro, Flasche Hauswein 6,50 Euro, der Champagner des Hauses Flasche 34 Euro.

Da wird die Reisekasse geschont, und man läuft als Gast kaum Gefahr, in eine vergleichbar peinliche Lage zu geraten wie anno 1929 der Pariser Maler Germont, der einmal seine Zeche nicht zahlen konnte. Der damalige Wirt Louis Isidore Chartier  schlug ihm vor, seine Schulden durch ein Gemälde zu begleichen und darüber hinaus während der Zeit des Malens umsonst im Restaurant zu essen. Das Ergebnis dieses Handels – ein Ölgemälde mit einer Restaurant-Szene, wie sie sich auch heute noch tagtäglich abspielt – ist an einer der Seitenwände zu bewundern. Darunter befindet sich eine Anrichte mit vielen kleinen nummerierten Schubladen, in denen die Stoffservietten der namentlich bekannten Stammgäste verwahrt werden – jeweils montags ist „Wäschewechsel“.

Daß das „Chartier“ über 100 Jahre unbeschadet überstehen und sich seinen Alt-Pariser Charme im Original erhalten konnte, ist drei Männern zu verdanken: erstens Louis Isidore Chartier, der das Restaurant 1896 gründete, zweitens einem seiner Stammgäste, Monsieur Françon, der das Lokal in den 1930er Jahren von Chartier und seinem Sohn Lucien übernahm, und drittens René Lemaire, der das Restaurant über 50 Jahre lang, von 1945 bis zum Jubiläum im Jahre 1996 führte. Letzterer hatte sich übrigens erfolgreich dagegen gewehrt, daß das Gebäude von einer großen französischen Filmgesellschaft aufgekauft und in ein Kino umgebaut wurde. Dafür, daß es dazu nicht kam, sind ihm noch heute viele Menschen dankbar: die größtenteils langjährig hier tätigen Mitarbeiter sowie täglich über 1000 zufriedene Gäste.        Angelika Fischer

Foto: Beliebtes Restaurant: Das „Chartier“ diente auch als Filmkulisse.      


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