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27.09.08 / Los der Auswanderer / Böhmische Familie versucht in den USA zu überleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-08 vom 27. September 2008

Los der Auswanderer
Böhmische Familie versucht in den USA zu überleben

„Ihre Heldin gehört jenem Kosmos an, in dem Oblomow und die Buddenbrooks, Emma Bovary und Anna Karenina, Lady Chatterley und Tom Saywer miteinander verkehren; sie alle sind lebendig genug, um ihre Schöpfer zu überleben“, heißt es im Nachwort des Romans „Meine Antonia“. Die Rede ist von der Heldin des Romans der US-Autorin Willa Cather. Doch das gilt nur für den englischsprachigen Raum. In Deutschland genießen weder Willa Cather noch ihre Antonia einen hohen Bekanntheitsgrad. Um dies zu ändern, hat der Knaus-Verlag das 1918 erschienene Werk der Pulitzer-Preisträgerin neu aufgelegt. Und, die Lektüre lohnt sich. Die melodische Sprache, die Wahrhaftigkeit der Titelheldin und des männlichen Erzählers, der geschilderte Überlebenskampf  europäischer Einwanderer und die alles dominierende Prärie Nebraskas; Willa Cathers „Antonia“ begeistert auch heute noch.

Erzählt wird die Geschichte Antonias aus Sicht des Nachbarjungen Jim Burden. Laut Nachwort versteckte sich die Autorin Cather hinter dem männlichen Erzähler, um ihre Schwärmereien für die böhmische Antonia, die angeblich ein reales Vorbild hatte, besser ausleben zu können. Cather war lesbisch, damals ein Skandal.

Doch zurück zum Roman. Der Ich-Erzähler Jim verliert im Alter von zehn Jahren seine Eltern und wird daraufhin zu seinen Großeltern nach Nebraska geschickt. Schon im Zug in die Einöde, in der auch die Autorin ihre Kindheit verbrachte, sieht er das einige Jahre ältere Mädchen Antonia zum ersten Mal. Die böhmische Auswandererfamilie Schimerda will ihr Glück im Land der unbegrenzten Möglichkeiten beginnen, doch das für viel Geld erstandene neue Eigentum besteht aus einer Erdhöhle auf ungebändigtem Prärieland. Jims Großeltern gehört das Nachbargrundstück, das der Großvater zusammen mit einem kräftigen Österreicher und einem Wanderarbeiter mit schlichtem Gemüt bestellt. Der Junge bringt Antonia Englisch bei, und so kann sie ihm immer mehr von den Problemen ihrer Familie berichten. Allerdings ist die Not, in der die Böhmen leben, augenscheinlich. Der kunstsinnige Vater erträgt im ersten eisigen Winter das Leben in der neuen Heimat nicht mehr, nur dank des Fleißes von Antonia und ihres älteren, hinterlistigen Bruders Ambrosch gelingt es dem Rest der Schimerdas zu überleben. „Dieser Zusammenhalt in der Familie führte unter anderem dazu, daß ausländische Farmer in unserer Gegend als Erste zu Wohlstand kamen“, schreibt Jim, der außer Antonia noch von anderen bettelarmen Einwanderermädchen berichtet. „Ich wußte immer, ich würde es noch erleben, wie meine Mädchen vom Lande ihre verdiente Anerkennung erhalten, ... Das Beste, was sich ein ... Kaufmann ... erhoffen kann, ist, seine Vorräte ... jenen reichen Farmen zu verkaufen, über die nun die erste Generation dieser tapferen Mädchen aus Böhmen und Skandinavien herrschte.“

Doch der Weg bis dahin ist lang. Viel Ablehnung und viele Niederlagen müssen Antonia, Lena, Tiny und die drei Marys durchleben und häufig ist es nur Jim, der den wahren Wert dieser sich für ihre großen, hungerleidenden Familien aufopfernden Mädchen erkennt.

Aus fast jeder Zeile schwingt die Wärme und Tiefe, die die Autorin für Mensch und Natur empfindet, mit. Einfach wunderbar. R. Bellano

Willa Cather: „Meine Antonia“, Knaus, München 2008, geb., 319 Seiten, 19,95 Euro


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