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04.10.08 / »Ein Sieger ohne Armee« / Otto v. Habsburg über seinen Kampf für die Einheit Europas, Gefahren aus Moskau und über Königsberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-08 vom 04. Oktober 2008

S. 2 Aktuell

»Ein Sieger ohne Armee«
Otto v. Habsburg über seinen Kampf für die Einheit Europas, Gefahren aus Moskau und über Königsberg

Erzherzog Dr. Otto von Habsburg-Lothringen ist einer der herausragenden Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts. Jean-Paul Picaper hat hat den heute 95jährigen Sohn des letzten österreichischen Kaisers für die Preußische Allgemeine Zeitung interviewt.

PAZ: Kaiserliche Hoheit, Die EU erweitert sich durch Beitritte. Wo ist die Grenze Europas?

Otto v. Habsburg: Europa hat seine endgültige Größe noch nicht erreicht, wenn ich auch nicht zu denjenigen gehöre, die nicht-europäische Staaten wie die Türkei, Israel, Nordafrika und sonst welche noch in die EU aufnehmen möchten. Wir werden eines Tages mit der Erweiterung aufhören müssen. Ich betone aber auch, daß wir Verpflichtungen gegenüber denjenigen haben, die noch nicht EU-Mitglied sind. Ukrainer, Georgier, Armenier, Weißrussen, Balkanstaaten. Dabei dürfen diejenigen Staaten, die schon Mitglied sind, nicht über die Zukunft derjenigen bestimmen, die es noch nicht sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Länder Osteuropas den Preis des Zweiten Weltkrieges doppelt bezahlt haben.

PAZ: Sie mußten 1933 aus Deutschland und 1940 aus Belgien über Frankreich vor den Nationalsozialisten nach Amerika fliehen. Sie halfen noch mit Ihrem Bruder Felix unter Lebensgefahr vielen politischen und jüdischen Flüchtlingen aus Österreich, Europa zu verlassen. Nach dem Krieg haben Sie über 40 Jahre lang das Stalin-Regime politisch bekämpft, um die Befreiung der mittel- und osteuropäischen Staaten zu erlangen. Haben Sie denn nie die Hoffnung verloren?

Otto v. Habsburg: Zwischen 1940 und 1942, als Hitler überall Sieger war und angesichts der Kniefälle anderer Mächte vor ihm, habe ich ein bißchen die Hoffnung verloren, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, daß die Geschichte Europas so katastrophal enden könnte. Ich bin 1933 knapp dem Tod entgangen, weil treue Freunde mich gewarnt haben, daß Hitler, den ich mich geweigert hatte zu treffen, seine Schergen auf mich losgelassen hatte. Hitler war ein gefährlicher Psychopath. Dennoch habe ich den Mut nie verloren. Hitler ist in einer von ihm inszenierten Götterdämmerung, die mir ein Freund vor dem Krieg prophezeit hatte, untergegangen. Ich wußte, daß das Sowjetreich genau so enden würde. Aber wann? Ich danke Gott, daß ich das noch erleben durfte.

PAZ: Man hat manchmal gesagt, daß Sie die Fähigkeit haben, die Zukunft vorauszusehen…

Otto v. Habsburg: Machen Sie aus mir keinen Hellseher! Um den historischen Wandel vorauszusehen, soll man nur wissen, daß das, was heute ist, morgen nicht mehr existieren muß und daß es historische Konstanten oder Wurzeln gibt, die immer wieder auftauchen werden. Mit dem Ersten Weltkrieg angefangen und mit den beiden blutrünstigen Diktaturen der Nazis und der Kommunisten, die wohlgemerkt ihre Wurzeln in Europa und nirgendwo anders hatten, war das 20. Jahrhundert eine Folge von Elektroschocks, die Millionen von Toten verursacht haben. Das Europa, das wir aufgebaut haben, ist eine Reaktion auf diese Tragödien, um zu verhindern, daß sich das wiederholt.

PAZ: Welche Persönlichkeiten haben Sie in der Geschichte am meisten beeindruckt?

Otto v. Habsburg: Das Schlimme ist, daß die großen Persönlichkeiten in Kriegen erscheinen. Denken Sie an Winston Churchill und an Charles de Gaulle. Konrad Adenauer wurde auch durch die unmittelbare Nachkriegszeit nach oben getragen. Papst Johannes Paul II. war auch eine große Persönlichkeit, der es geschafft hat, den Kalten Krieg zu überwinden und als Sieger ohne Armee daraus hervorzugehen. Auch Helmut Kohl gehört dazu, weil er wider alle Auguren sein Land und Europa in dem kurzen Moment wiedervereinigt hat, als es möglich wurde. Heute ist die Lage ziemlich ruhig, und es gibt vielleicht deshalb keine großen Männer und Frauen mehr. Es kommen aber neue Gefahren auf uns zu, und wir werden sehen, ob Nicolas Sarkozy und Angela Merkel alle unsere Erwartungen erfüllen.

PAZ: Welches sind die Eigenschaften der großen Persönlichkeiten der Geschichte?

Otto v. Habsburg: Zuallererst der Mut, in schwierigen Situationen kaltblütig und besonnen zu reagieren – aber auch der Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Sobald bei uns jemand eine neue, glänzende Idee oder eine Lösung zum Hauptproblem hat, wird er niedergeschrien. Das erfordert Mut und Stehvermögen, sich durchzusetzen. Außerdem verhindern das Verhältniswahlrecht und die Politik als Showbusiness das Aufkommen starker Persönlichkeiten. Mir fallen im 20. Jahrhundert etwa zwölf Persönlichkeiten ein, die in die Zukunft geblickt haben und das friedliche Europa, das wir jetzt haben, vorbereitet und aufgebaut haben.

PAZ: Jetzt ist die sowjetische Drohung vorüber und das vereinigte Europa hat das in Osteuropa hinterlassene Vakuum eingenommen...

Otto v. Habsburg: Aber der Kreml hat nicht auf seinen imperialistischen Drang nach Westen verzichtet. Kurz nach seiner Machtübernahme hat Wladimir Putin in seiner berüchtigten Minsker Rede angekündigt, daß er die russische Militärrüstung in fünf Jahren verdoppeln würde. Man sollte aufmerksamer lesen oder hören, was Putin sagt. Im September 2001, während die deutschen Politiker seine Rede im Bundestag beklatschten, unterschrieb sein Verteidigungsminister einen Militärvertrag mit dem Iran. Die russische Haltung in dieser Region bleibt sehr unklar. Dabei hätten die Russen ein noch größeres Interesse als die Amerikaner, daß der terroristische Herd am Hindukusch gelöscht wird. Freilich, die amerikanische Präsenz in Zentralasien verwirrt die Russen, aber sie nimmt ihnen auch eine Sorge ab: Die islamistische Bedrohung auf ihrer Südflanke wird eingedämmt.

PAZ: Setzt das deutsche Auswärtige Amt die prorussische Politik Schröders fort?

Otto v. Habsburg: Nicht nur das Auswärtige Amt. Man sollte sich nicht wundern, daß der Schröder-Protegé Sigmar Gabriel mit Zähnen und Klauen den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernkraft verhindert. Die Waffe der Russen, um die Ukraine, Ungarn und Österreich, Finnland auch, aber doch auch Deutschland unter Druck zu setzen, sind doch die Gas- und Öllieferungen. Wenn sich herausstellen sollte, daß Schröder seine Vollmachten als Kanzler ausgenutzt hat, um die Abhängigkeit seines Landes und dabei seine eigenen Einkünfte zu vergrößern, so wäre das ein politischer Skandal größeren Ausmaßes. Aber ich glaube nicht, daß man da weiter nachforschen wird. Hat Schröder sein Land verraten oder nicht? Ich bin nicht sein Beichtvater! Ich muß aber sagen, ich habe ein geringes Verständnis für die Art und Weise, wie er vorgegangen ist, ganz besonders, wie er gleich nach seinem Rücktritt einen Posten von Seiten der Russen annahm, denn ich bin der Meinung, daß jemand der Kanzler war, einfach nicht das Recht hat, nachher in den Dienst einer Macht zu treten, von der man weiß, daß sie potentiell eine der größten Bedrohungen seiner Heimat ist.

PAZ: Wurde beim Streit um die Kernkraft immer mit offenem Visier gekämpft?

Otto v. Habsburg: Natürlich hat man immer in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, wissen müssen, daß der KGB alles getan hat, um die nukleare Entwicklung im Westen negativ zu beeinflussen. Für Rußland ist es jedenfalls von Interesse, daß die Nuklearindustrie bei uns nicht prosperiert.  Daher die vielen Räubergeschichten, die bezüglich der Atomunfälle immer wieder auftauchen. Frankreich jedenfalls ist dank seiner Kernkraftwerke viel weniger erpreßbar als die Bundesrepublik.

PAZ: Nicolas Sarkozy und Angela Merkel… Ist das Verhältnis zwischen ihnen wirklich so schlecht?

Otto v. Habsburg: Was die Beziehungen Sarkozy – Merkel betrifft, bin ich nicht glücklich. Ich halte es für wichtig, daß die deutsch-französischen Beziehungen weiter ausgebaut werden.

PAZ: Was halten Sie von der Umorientierung der Politik von Sarkozy in Richtung Amerika?

Otto v. Habsburg: Diese Normalisierung war dringend notwendig und trägt der wirklichen strategischen Lage Rechnung. Mit Amerika zusammen kann die EU die Welt ein bißchen bewegen. Man kann auch einander ablösen. Sehen Sie, die EU konnte beim Georgien-Konflikt diplomatisch eingreifen, während die USA mit ihren Wahlen beschäftigt waren. Aber bei aller Versöhnung mit Washington hat Sarkozy seine Denkfreiheit beibehalten. Das ist richtig, weil die Amerikaner sich von den Europäern unterscheiden. Als ich aus Amerika nach Europa nach Kriegsende zurück-kam, freute ich mich, Städte mit Kathedralen statt Großbanken in ihrer Mitte zu sehen. Wenn der französische Staatspräsident heute für eine „Moralisierung des Kapitalismus“ eintritt, so sind das die Worte eines Europäers. Die Worte von George W. Bush nach dem terroristischen Angriff auf das World Trade Center in New York waren dagegen in Europa nicht verstanden worden, aber seine Landsleute haben sie bejubelt. Der Unterschied rührt daher, daß eine Religionsgemeinschaft, die „Pilgrim Fathers“ Amerika gegründet hatte, im wesentlichen das Alte Testament mitbrachte. Europa wurde viel stärker vom Neuen Testament geprägt. Dieser Unterschied ist bis heute erhalten geblieben. 

PAZ: Sie warnen vor Risiken aus Moskau. Sind die Chinesen aus Ihrer Sicht für uns eine andere Bedrohung?

Otto v. Habsburg: Die chinesische Tradition ist nicht imperialistisch. Für den Westen sind sie sowieso keine Bedrohung, nur ein Mitbewerber. China ist für uns einer der wichtigsten Partner. Trotz allem Anschein ist China keine kriegerische Macht. Es will nicht bis Moskau vorstoßen. Nach dem Krieg zwischen Indien des Pandit Nehru und Volkschina von Mao- Zedong waren die Chinesen Sieger. Sie hätten ganz Indien besetzen können, taten es jedoch nicht.

PAZ: Glauben Sie nicht, daß Sie zu chinafreundlich und zu rußlandkritisch sind?

Otto v. Habsburg: Ich weiß, daß Tibet ein Argument gegen meine Meinung und daß Taiwan immer gefährdet ist. Aber das sind Sonderprobleme mit besonderen historischen Ursachen. Glauben Sie auch nicht, daß ich den Chinesen uneingeschränkt gewogen  wäre. Als alter Mensch, der ich den Anstieg des Totalitarismus unter Stalin und unter Hitler kennengelernt habe und dann beide politisch bekämpft habe, habe ich aber eine wesentlich pessimistischere Ansicht über das, was sich in Rußland abspielt, denn Putin erinnert mich allzusehr an Hitler. Man darf auch nicht vergessen: Die Strukturen der Diktatur-Parteien gehorchen immer gewissen Regeln, die inzwischen längst bekannt sind. Sie waren beim Hitlerismus und Stalinismus erkennbar. China hat längst keine Demokratie, aber in diesem großen Land spielen andere Regeln und Traditionen auch eine Rolle. Gegen die Russen an sich habe ich nichts. Ich selbst hatte Boris Jelzin im Europäischen Parlament empfangen und eingeführt. Er war ein überzeugter Demokrat. Unter Jelzin hat es vielleicht einen ziemlichen Unfug in der Wirtschaft gegeben, in der Politik aber war es ganz etwas anderes als heute, und jedenfalls gab es mehr Verständnis für die Menschenrechte, auch für gewisse Aspekte der Freiheit, als es nachher unter Putin der Fall war. So lange die russische Führung wie jetzt aus Epigonen von Stalin und Breschnew besteht, ist meines Erachtens Mißtrauen angebracht.

PAZ: Stimmt es, daß die Russen Kaliningrad remilitarisieren wollen?

Otto v. Habsburg: Was die Frage Kaliningrad, also Königsberg, betrifft, kann man nur sagen: Sie ist für die baltischen Staaten sehr wichtig. Sie sind irgendwie umzingelt und bei ihnen gibt es noch russische Minderheiten. Sie haben nicht mehr das gleiche Verhältnis zu Rußland, denn sie hatten die Gelegenheit, zu sehen, was Rußland wirklich ist. Kaliningrad ist in diesem Sinn eine absolute militärische Stellung der Russen, die übrigens eine Linie eröffnet hat, die man weit südwärts bis ins Schwarze Meer verfolgen kann, und die strategisch von größter Bedeutung ist.

Foto: Pionier der Einigung Europas und seit Jahrzehnten ein unermüdlicher Anwalt der deutschen Vertriebenen: Seine Kaiserliche Hoheit Dr. Otto v. Habsburg-Lothrigen.


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