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04.10.08 / Der kühle Klare aus dem Norden / Gerhard Stoltenberg zum 80. Geburtstag / Von Jörg Schönbohm

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-08 vom 04. Oktober 2008

Der kühle Klare aus dem Norden
Gerhard Stoltenberg zum 80. Geburtstag
von Jörg Schönbohm

Gerhard Stoltenberg wäre am 29. September 80 Jahre alt geworden. Ich bin bis heute dankbar dafür, daß es mir vergönnt war, diesen großen Deutschen kennenzulernen und einige Jahre eng mit ihm zusammenzuarbeiten.

Als ich Stoltenberg das erste Mal persönlich traf, hatte dieser bereits eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Er wurde 1928 in Kiel geboren. Gerade einmal 16 Jahre alt wurde er im letzten Kriegsjahr als Marine-Flakhelfer eingezogen. Nach Kriegsende holte der begabte Schüler zunächst sein Abitur nach und studierte anschließend Geschichte, Soziologie und Philosophie in Kiel.

Stoltenberg entschied sich zunächst für eine wissenschaftliche Karriere und promovierte 1954 mit einer Arbeit über den Deutschen Reichstag. 1962 folgte die Habilitation. Zu diesem Zeitpunkt war seine akademische Betätigung jedoch bereits in den Hintergrund getreten. Die Politik bestimmte zunehmend sein berufliches Leben.

Bereits im Jahr 1947 trat Stoltenberg in die schleswig-holsteinische CDU ein. 1954 wurde er in den Landtag gewählt. Nur drei Jahre später zog er – mit gerade einmal 29 Jahren – für den Wahlkreis Schleswig-Eckernförde in den Deutschen Bundestag ein.

Im Bundestag empfahl sich der talentierte junge Abgeordnete bald für höhere Aufgaben. So kam es, daß Bundeskanzler Ludwig Erhard den Holsteiner 1965 in sein Kabinett berief und ihm das Amt des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung übertrug. Auch während der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger sollte Stoltenberg dieses Amt behalten.

1971 wurde Stoltenberg zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gewählt. Über ein Jahrzehnt amtierte er in seiner holsteinischen Heimat und galt als äußerst beliebter Landesvater. Während dieser Zeit legte er den Grundstein für einen umfassenden Strukturwandel, von dem das Bundesland noch heute profitiert.

1982 berief ihn der frischgewählte Bundeskanzler Helmut Kohl erneut in ein Bundeskabinett. Nach seiner erfolgreichen Tätigkeit in Schleswig-Holstein wurde Stoltenberg nun das Amt des Bundesfinanzministers übertragen. Der sparsame Norddeutsche betrieb eine solide und disziplinierte Finanzpolitik, die einen wesentlichen Teil zur Sanierung des Staatshaushaltes beitrug. Schon bald galt Stoltenberg als der heimliche „Star“ in Kohls Kabinett. Immer wieder fiel sein Name, wenn es darum ging, wer Kohl im Fall der Fälle als Kanzler nachfolgen könne – selbst als Kandidat für das Bundespräsidentenamt war er im Gespräch.

Der „Reservekanzler“ machte sich jedoch nie etwas aus solchen Spekulationen. Politische Machtkämpfe waren nicht seine Art. Häufig hörte man von ihm, daß er nie in einer Situation gewesen sei, „in der um ein bestimmtes Amt gekämpft werden mußte“. Stoltenberg lagen keine spektakulären oder lauten Auftritte. Er überzeugte stattdessen durch Gelassenheit und die leisen Töne. Er gewann Zuhörer durch die Aufrichtigkeit und Authentizität, die er ausstrahlte, durch seine nüchterne Art und seine solide Sach- und Detailkenntnis. Nicht ohne Grund nannte Herbert Wehner ihn einmal „den kühlen Klaren aus dem Norden“.

Am 20. April 1989 übernahm Stoltenberg nach einer Kabinettsumbildung schließlich das Amt des Verteidigungsministers. Ich war seit 1988 als  Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium tätig und erlebte nun als engster Mitarbeiter und Berater des Bundesministers mit Gerhard Stoltenberg einen der klügsten und scharfsinnigsten Vorgesetzten meiner beruflichen Laufbahn. Seine Persönlichkeit hat mich damals tief beeindruckt – und tut es noch heute.

Er liebte das Gespräch und auch die kontroverse Diskussion im kleinen Kreis. Es ging immer um die Sache, nie um ihn. Die Aufgabe als Verteidigungsminister war für ihn neu – also ging er sie mit Systematik, Fleiß und seiner umfassenden Erfahrung an. Nach kurzer Zeit erwarb er sich die Achtung und das Vertrauen der Soldaten. Er schöpfte aus seiner Bildung und seiner reichhaltigen Erfahrung. Als überzeugter Atlantiker konnte er mit seinem Finanzministerkollegen James Baker, dem dann folgenden Außenminister einen engen Kontakt halten.

Mit Henry Kissinger verband ihn seit den fünfziger Jahren ein vertrauensvolles Verhältnis. Darauf aufbauend konnte er die Gestaltung der deutschen Einheit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik entschlossen angehen.

Nachdem am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit Wirklichkeit geworden war, übernahm die Hardthöhe auch die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte der NVA, die nun in die Bundeswehr integriert werden mußte. Gleichzeitig galt es, die mit den Vier Mächten beschlossenen verteidigungspolitischen Vereinbarungen umzusetzen und die militärischen und politischen Rahmenbedingungen für den Abzug der alliierten Truppen aus Deutschland zu schaffen. Stoltenberg meisterte diese schweren Aufgaben mit Bravour. Dennoch mußte er am 31. März 1992 seinen Hut nehmen.

Nach einer umstrittenen Lieferung von 15 Bundeswehrpanzern an die Türkei übernahm Stoltenberg die politische Verantwortung und trat von seinem Amt zurück. Dem Deutschen Bundestag gehörte er noch bis 1998 als Abgeordneter an.

Auch nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik genoß Stoltenberg national und international hohes Ansehen und wurde als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Ratgeber und Gesprächspartner geschätzt. Das Wort des hochgebildeten und scharf denkenden Analytikers hatte bis zuletzt Gewicht.

Über vier Jahrzehnte hat Stoltenberg die Politik des Nachkriegsdeutschlands geprägt – alleine 14 davon in Ministerverantwortung. Als wacher Protestant und Pflichtmensch verstand er sein politisches Engagement immer auch als Dienst am Staat. Er betrieb Politik aus christlich-moralischer Verpflichtung.

Stoltenberg war einer der herausragenden Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Am 23. November 2001 starb er im Alter von 73 Jahren nach langer Krankheit seinem Haus in Bad Godesberg. Die Bundesrepublik verlor einen ihrer verdientesten Politiker.


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