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04.10.08 / Einzeltäterschaft war möglich / Sven Kellerhof über verschiedene Deutungen des Reichstagsbrandes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-08 vom 04. Oktober 2008

Einzeltäterschaft war möglich
Sven Kellerhof über verschiedene Deutungen des Reichstagsbrandes

Reichstagsbrand und kein Ende. Im Historikerstreit um die wahren Hintergründe des Ereignisses vom 27. Februar 1933 hat der Berliner Sven Kellerhoff einen weiteren Beitrag abgeliefert, betitelt „Der Reichstagsbrand – Die Karriere eines Kriminalfalls“. In seiner kompakten Darstellung widerspricht er der gängigen Lehrmeinung, die Nationalsozialisten hätten mit dem Reichstagsbrand einen vermeintlichen kommunistischen Revolutionsversuch inszeniert, um durch die  Notverordnung vom 28. Februar 1933 sowie der Verhaftung ihrer politischen Gegner die Diktatur in Deutschland durchzusetzen. Ebenfalls wendet sich der Autor gegen die Ansicht, daß der am Tatort verhaftete und am 10. Januar 1934 hingerichtete Holländer Marinus van der Lubbe als Einzeltäter nicht in Frage komme, da er nicht ortskundig und sehbehindert war und zudem den Großbrand nicht innerhalb einer Viertelstunde mit einigen Kohleanzündern hätte legen können.  

Ermüdend ist es schon, den jahrzehntelangen Schlagabtausch über das 85 Jahre zurückliegende Ereignis auch nur in seinen wichtigsten Etappen nachzuvollziehen. Immerhin, Kellerhoff trägt diese Rekapitulation knapp und leicht verständlich vor. Die Verantwortlichkeit für das Ereignis schien seit dem Nürnberger Prozeß durch eine Zeugenaussage endgültig geklärt zu sein. Die Annahme der Täterschaft durch ein NS-Kommando wurde zur Tatsache erklärt. Damit schien der Streit um das Politikum beendet, noch bevor er öffentlich ausgetragen wurde.

Erstmals vertrat der niedersächsische Ministerialdirigent Fritz Tobias in einer „Spiegel“-Serie 1959/60 öffentlich die gegenteilige These von der Alleintäterschaft, wonach van der Lubbe tatsächlich allein und auf eigene Initiative gehandelt habe. Demnach hätten die Nationalsozialisten lediglich die günstige Gelegenheit genutzt, um Beschuldigungen gegen die mitangeklagten Kommunisten zu erheben. Vier Jahre später bekannte sich auch der junge Historiker Hans Mommsen, der das Vorwort zum vorliegenden Werk geliefert hat, zur strittigen Position der Alleintäterschaft. Er und alle anderen, die später diese Ansicht vertraten, waren Anfeindungen ausgesetzt. Diejenigen Publizisten und Historiker, die mit ihrer These der NS-Urheberschaft die Deutungshoheit beanspruchten, beschworen medienwirksam eine „NS-Unschuldslegende“ herauf, dies mit Rückendeckung der Verantwortlichen in Rundfunk und Fernsehen. Ein Diskurs über die Urheberschaft der Brandstiftung ohne derartige Verdächtigungen blieb lange Zeit unmöglich. Den Vertretern der Alleintäter-These wurde unterstellt, sie wollten die Nationalsozialisten von einem ihrer Verbrechen reinwaschen, ein Vorwurf, der bei näherer Betrachtung jeder sachlichen Grundlage entbehrt.

Die Diskussion um die Frage, wer den Reichstag am Abend des 27. Februar 1933 tatsächlich in Brand gesetzt hat, glitt später noch deutlicher ins Irrationale ab. Vor einigen Jahren wurde sogar die Aussage eines Parapsychologen ins Feld geführt.

Kellerhoff verweist in seinem Buch zum einen auf die große Zahl an gefälschten Dokumenten, wodurch die Verfolgung der Spuren inzwischen nahezu unmöglich ist. Das entscheidende Argument für den Wahrheitsgehalt der Alleintäterthese ist nach seiner Darstellung ein pyrotechnisches Phänomen, das als „backdraft“ bezeichnet wird. Wenn es durch einen Schwelbrand in einem geschlossenen Raum zu einer Konzentration giftiger Gase kommt, erfolgt bei plötzlicher Luftzufuhr eine Brandexplosion. Ein derartiges Ereignis ist offenbar eingetreten. Als die Feuerwehrleute am 27. Februar 1933 um 21.27 Uhr die Tür zum Plenarsaal des brennenden Reichstagsgebäudes öffneten, ging dieser „ruckartig in einem Flammenmeer auf“, wie es im Protokoll heißt. Damit einher ging ein starker Sog nach innen. Der Autor möchte seine These mit der Vita van der Lubbes untermauern, beschreibt ihn als haßerfüllten Anarchisten und Einzelgänger, der zuvor schon drei mißglückte Brandanschläge in Berlin unternommen hatte.

Daß mit dieser Veröffentlichung nun ein Ende der Auseinandersetzung in greifbare Nähe rückt, ist unwahrscheinlich.      D. Jestrzemski

Sven Kellerhoff: „Der Reichstagsbrand – Die Karriere eines Kriminalfalls“, Be.bra Verlag, Berlin, geb., 14,90 Euro


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