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11.10.08 / Kaufhäuser werden zu Museen / Chemnitz als Stadt der Moderne – Reizvolle Architektur und sehenswerte Kunstsammlungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-08 vom 11. Oktober 2008

Kaufhäuser werden zu Museen
Chemnitz als Stadt der Moderne – Reizvolle Architektur und sehenswerte Kunstsammlungen

Aus der ehemaligen Karl-Marx-Stadt ist wieder Chemnitz geworden, eine Stadt, die sich auf ihr Erbe besinnt, aber auch einen Blick in die Zukunft wagt. Bemerkenswerte Kunst und Architektur gibt dem „sächsischen Manchester“ ein ansprechendes Gesicht.

Rauh und ungemütlich weht der Wind auf dem Chemnitzer Kaßberg. Dafür bietet sich von hier mitunter der schönste Panorama blick auf eine Stadt, in der Kunst und technischer Fortschritt seit der Industrialisierung miteinander harmonieren. Deutlich wird dies für Besucher der Villa, die der Textilfabrikant Herbert Eugen Esche Anfang des 20. Jahrhunderts dort oben errichten ließ. Für den Bau verpflichtete der Unternehmer 1902 den belgischen Künstler und Designer Henry Clément van de Velde (1863–1957).

In der denkmalgeschützten Jugendstilvilla mit rund 200 Quadratmetern Wohnfläche ist die eigenwillige, moderne Raumkonzeption bis heute erfahrbar. Das geräumige Bad und die Schlafzimmer scheinen wenig praktisch, dafür wirken sie elegant und vielleicht schon etwas protzig. Heute beherbergt das Gebäude, in dem schon der norwegische Maler Edvard Munch 1905 einige Wochen verbrachte, eine Ausstellung mit avantgardistischen Stücken aus dem Schaffen van de Veldes vom Eßgeschirr bis zu Originalmöbeln der Unternehmerfamilie. Noch bis zum 11. November kann man dort die Ausstellung „Henry van de Velde und seine Schüler: Erica von Scheel, Mathilde Satz-Glücksburg, Thilo Schoder“ sehen (Mittwoch, Freitag, Sonnabend, Sonntag von 10 bis 18 Uhr).

Der aufstrebende Geldadel des „sächsischen Manchesters“, wie Chemnitz dank seiner florierenden Wirtschaft genannt wurde, verwirklichte seine Visionen nicht nur auf dem noblen Kaßberg. Auch im Stadtzentrum fallen architektonisch mutige Bauten auf wie das Kaufhaus Schocken. Entworfen wurde es von dem 1887 in Allenstein geborenen Architekten Erich Mendelsohn. Er starb am 15. September vor 55 Jahren in San Francisco.

Erste Skizzen und Planungsunterlagen für das Kaufhaus der Brüder Schocken stammen aus dem Jahr 1928. Zuvor hatte Mendelsohn bereits in Nürnberg und Stuttgart Kaufhäuser für die Schockens errichtet. Schon im September des Jahres waren 57 Pläne gezeichnet worden, dennoch beklagte Mendelsohn sich über die „vertrackte Arbeit, die kaum vom Fleck kommt“. Am 15. Mai 1930 wurde das neue Schocken-Warenhaus an der Chemnitzer Brückenstraße endlich eröffnet. 1938 wurde die Betreibergesellschaft von den Nationalsozialisten enteignet und in Merkur AG umbenannt. 1953 erfolgte der Übergang auf die Merkur, Horten & Co. mit Hauptsitz in Nürnberg. Später wurde daraus die Horten AG mit Sitz in Düsseldorf, die schließlich durch die Kaufhof AG übernommen wurde.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bau als Warenhaus genutzt. 1948 bezog die Handelsorganisation (HO) das Gebäude und nutzte es als Verkaufsstätte; die Sächsische Landes-Versicherungsanstalt war Mieterin des ersten Obergeschosses. Nach der Wende übernahm die Kölner Kaufhof AG das Kaufhaus, bezog aber bald einen Neubau. Nun soll bis 2011 das Haus der Archäologie ins ehemalige Kaufhaus Schocken einziehen.

Das Stuttgarter Haus hatte nicht so viel Glück. Der angesehene Architekt Egon Eiermann (1904–1970), Erbauer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin,  ließ den Bau seines Kollegen Mendelsohn kurzerhand abreißen. Das Gebäude mit dem typischen Mendelsohn-Schwung mußte 1959 einem Neubau weichen, dem Kaufhaus Merkur der Firma Helmut Horten, der für alle seine Filialen eine einheitliche Fassadengestaltung wünschte – von Eiermann.

Auch „DAS Tietz“ in Chemnitz ist bemerkenswert. 1913 als Warenhaus errichtet, sind dort heute die Stadtbibliothek, die Volkshochschule, die Neue Sächsische Galerie und das Naturkundemuseum zu finden.

In diesem Museum ist mit dem „Steinernen Wald“ ein Teil des größten und schwersten pflanzlichen Fossils Europas zu sehen. Die ausgestellten Bäume wurden aufgrund aktiver Vulkane in der Region im Laufe der Zeit versteinert. Das Alter des Naturschatzes wird auf 290 Millionen Jahre geschätzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Umbenennung 1953 in Karl-Marx-Stadt wurde zu DDR-Zeiten versucht, die klassische Auffassung vom sozialistischen Städtebau umzusetzen. Nachteilig war die Stadtplanung der DDR-Führung für die Entstehung eines Innenstadtkerns, der sich in Chemnitz erst nach der Wende allmählich bildete. Mittlerweile beleben moderne Bauten mit hellen Glas- und Stahlkonstruktionen rund um das historische Rathaus die Flanier- und Einkaufsmeile.

Den Anspruch, als „Stadt der Moderne“ zu gelten, untermauert Chemnitz speziell im kulturellen Bereich nachhaltig. Ein besonderer Coup gelang den Chemnitzer Kunstsammlungen mit der Verpflichtung des US-amerikanischen Folk- und Rockmusikers Bob Dylan. Der Musiker wählte Chemnitz als Ort, um sein Talent als Maler Anfang 2008 erstmals öffentlich in einer Ausstellung mit Gouachen unter Beweis zu stellen.

Momentan besitzen die Kunstsammlungen mehr als 60000 Ausstellungsstücke. Darunter Gemälde von Karl Schmidt-Rottluff, der zusammen mit Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl und Erich Heckel 1905 die expressionistische Künstlergruppe „Die Brücke“ in Dresden gründete. Ergänzt wird das Angebot moderner Malerei durch das Museum Gunzenhauser. Mit 290 Bildern von Otto Dix beherbergt es zudem eine einmalige Sammlung des Künstlers. Daß das Museum vorher als Sparkassengebäude genutzt wurde, zeugt von einer Wandlungsfähigkeit, die den Charme der Stadt ausmacht, die Tradition und Moderne fließend verbindet.       F. Bittler/S. Osman

Foto: Wechselvolle Geschichte: Das ehemalige Kaufhaus Schocken in Chemnitz zählt zu den herausragenden Architekturzeugnissen des 20. Jahrhunderts.


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