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11.10.08 / Napoleon, Werther und die Wahrheit / Vor 200 Jahren in Erfurt und Weimar: Goethes Gespräche mit dem Kaiser der Franzosen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-08 vom 11. Oktober 2008

Napoleon, Werther und die Wahrheit
Vor 200 Jahren in Erfurt und Weimar: Goethes Gespräche mit dem Kaiser der Franzosen

Vor 200 Jahren tagte der Erfurter Fürstentag, ohne politisch Dauerhaftes zustande zu bringen. Was bleibt in der Erinnerung, sind die Treffen Napoleons mit Goethe.

Für knapp drei Wochen, vom 27. September bis 14. Oktober 1808, wurde die ansonsten eher geruhsame Residenzstadt im Herzen Deutschlands zum Nabel der Weltpolitik: Napoleon Bonaparte, Abwickler der französischen Revolution und Kaiser der Grande Nation von eigenen Gnaden, hatte zum Erfurter Fürstentag geladen, um seine ins Wanken geratenden Weltmachtträume neu abzusichern. Zar Alexander I. war der wichtigste Gast, neben dem russischen Monarchen fanden sich weitere vier Könige, eine Königin sowie 18 regierende Fürsten ein. Freilich bildeten sie nur die Kulisse für die Machtdemonstration des Korsen, der Rußland so an die Seite Frankreichs locken wollte.

Kulisse – das klingt nach Theater, was in diesem Falle kein Zufall ist. Napoleon hatte in seiner Begleitung nämlich nicht nur hochrangige politische und militärische Berater, sondern auch das komplette Ensemble der Comédie française mitgebracht.

Gewiß wollte der Kaiser damit nicht nur politisch-militärische, sondern auch kulturelle Hegemonie demonstrieren. Der Verlauf dieses Erfurter Fürstentages aber deutet darauf hin, daß es ihm um mehr ging. Napoleon war eben nicht nur der rücksichtslos aggressive Feldherr und macht­hung­rige Tyrann, als den ihn die heutige Geschichtsschreibung fast überall außerhalb Frankreichs sieht. Er war ein gebildeter, sehr belesener Kunstfreund und Literaturkenner, wie sich am sechsten Tag des Erfurter Kongresses besonders deutlich zeigte.

An diesem 2. Oktober 1808 war für 11 Uhr morgens eine ungewöhnliche Audienz angesetzt. Man traf sich in der ehemaligen Statthalterei des Erzbistums Mainz, zu dem Erfurt gehört hatte, bis es 1804 preußisch wurde. (Bernhard Vogel, der erst in Mainz und dann in Erfurt als Ministerpräsident regierte, ließ das Bauwerk liebevoll restaurieren; seit 1995 dient es als Staatskanzlei des Freistaats Thüringen.)

Unter den zum Fürstentag Geladenen war auch der aus dem nahen Weimar angereiste Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, der als Geheimer Legationsrat und Staatsminister (unter anderem für Finanzen) auch über hinreichende politische Erfahrung verfügte. So mochte es ihn, wie er später in den „Annalen als Ergänzung meiner sonstigen Bekenntnisse“ zu erkennen gibt, nicht sonderlich überrascht haben, daß Napoleon gleichzeitig frühstückte, mit Pierre Daru, seinem Finanzbevollmächtigten im zwei Jahre zuvor bei Jena und Auerstedt geschlagenen Preußen, die Beitreibung von Kontributionen besprach, mit Talleyrand das Streitgespräch über den rechten Umgang mit eben diesem Preußen fortsetzte, General Savary, seinen zeitweiligen Gouverneur in Ostpreußen, zur militärischen Lage konsultierte, mit Marschall Louis Alexandre Berthier kurz über dessen kaiserlich verordnete Verehelichung mit Prinzessin Marie Elisabeth von Bayern-Birkenfeld parlierte – und sich tiefschürfend über die „Leiden des jungen Werther“ auszulassen vermochte.

Siebenmal habe er den „Werther“ gelesen, verkündete Seine Majestät, und da sei ihm eine gewisse Stelle unangenehm aufgefallen. „Warum habt ihr das gethan?“ fragte er den Autor. Goethe räumte eine, daß „an dieser Stelle etwas Unwahres nachzuweisen sey“, rechtfertigte sich aber damit, es sei „dem Dichter zu verzeihen, wenn er sich eines nicht leicht zu entdeckenden Kunstgriffs bediene, um gewisse Wirkungen hervorzubringen, die er auf einem einfachen, natürlichen Wege nicht hätte erreichen können.“ Das entsprach offenbar des Kaisers literarischen wie politischen Intentionen; mit lobenden Worten für Goethe und kritischen Anmerkungen zum zeitgenössischen französischen Theater, insbesondere zu Voltaire, ließ Napoleon den Diskurs ausklingen.

Der Gast wähnte sich entlassen, entfernte sich in Richtung Tür, doch der Kaiser erhob sich und folgte ihm, um ihn gezielt nach seinen persönlichen, familiären und finanziellen Verhältnissen auszufragen. Was er damit bezweckte, wurde Goethe vier Tage später klar.

Offenbar unter dem Eindruck des Gesprächs mit Goethe verfügte Napoleon spontan, den ganzen Fürstentroß für einige Tage nach Weimar umzusiedeln. Am 6. Ok­tober ließ er dort in Goethes Hoftheater „La mort de César“ von Voltaire geben. Nach der Vorstellung ließ er „die Katze aus dem Sack“: Goethe möge doch nach Paris kommen, dort ein neues, besseres Stück über Caesars Tod schreiben und überhaupt Frankreichs Theater und Literatur auf Weltniveau heben. Was für den Kaiser durchaus auch eine machtpolitische Dimension hatte. Bis ein Uhr nachts, so berichtete Talleyrand, habe Napoleon „mit großer Lebhaftigkeit“ auf Goethe eingeredet – ohne Erfolg: Der Dichter sagte ab und blieb in Weimar.

Doch der Kaiser war nicht nachtragend. Am 14. Oktober, dem letzten Tag des Erfurter Fürstentags, verlieh er dem nach wie vor hochgeschätzten Dichter („Voilà un homme!“) das Kreuz der Ehrenlegion. Im Gegensatz zu dem zwei Tage zuvor unterzeichneten Vertrag mit Zar Alexander I., einer wert- und folgenlosen Farce, sollten die Gespräche des Kaisers mit dem Dichterfürsten dauerhafte Wirkung entfalten. Während Goethe auch nach Waterloo um ein ausgewogenes Urteil bemüht war, pflegte Napoleon geistreiche Streitgepräche mit dem Bonmot abzuschließen: „Qu’en dit Monsieur Goet?“ Ja – was würde Herr Goethe wohl dazu sagen?            Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Goethe und Napoleon: Begegnung im Umfeld des Erfurter Fürstenkongresses


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